Der Berghütte entwachsen
MoDus Architects haben einen über Jahrzehnte gewachsenen Hotelkomplex neu strukturiert. Außen wirkt die zusätzliche Raumschicht aus Holz für den heterogenen Bestand wie eine Klammer. Innen lässt man älplerische Klischees mit Augenzwinkern hochleben.
Südtirol, insbesondere die Region am Fuß der Dolomiten, ist mit seinen zahlreichen zuweilen jahrhundertealten Hütten und Hotels, eine architektonische Spielwiese: Nicht nur, dass zahlreiche Beherbergungsbetriebe aus allen Nähten platzen und daher Erweiterung benötigen. Etliche sind auch in die Jahre gekommen und können eine Generalüberholung gut gebrauchen. Zudem zeigt sich so manche – auch alteingesessene – Hotelier-Familie nicht nur investitionsfreudig sondern auch frischen Design-Ansätzen gegenüber aufgeschlossen.
Hotel Icaro: Sanft umgemodelt
Eine ideale Gegend also für Architekten, die mit ihren Auftraggebern neue Wege beschreiten wollen, ohne all zu viel in die lokale Identität der Bauwerke der spezifischen Region Südtirol einzugreifen. So geschehen beim Hotel Icaro in Kastelruth mit den Brixener MoDus Architects. Ähnlich wie beim Hotel Aeon, das von noa* redesignt wurde.
Die italienische Marktgemeinde Kastelruth – italienisch Castelrotto oder ladinisch Ćiastel – liegt in der Nähe von Bozen. Die gemischt deutsch- und ladinischsprachige Gemeinde ist speziell dank der Seiser Alm, der größten Hochalm Europas, ein bekannter Tourismusort. Es wäre schade, wenn Hotel- und Pensionsbesitzer mit der ursprünglichen Architektur brechen würden, zweifellos würde ein Teil der Anziehung und des Flairs verloren gehen.
Traditionshaus in dritter Generation
Nach der Renovierung und Erweiterung des Traditionshotels Icaro im Besitz der Familie Sattler finden sich an einem Fleck Tradition, Kunst und Architektur vereint. Seit drei Generationen wird das Icaro von den Sattlers geführt, nun von Angelika Sattler. Die Entwicklungen in der Tourismus-Region machten einige Anpassungen nötig. Und so bestand die Aufgabe von MoDus darin, das Gebäude zu erweitern und doch auch eine neue Identität zu geben, ohne es von Grund auf neu zu errichten.
Das Hotel Icaro begann in den 1930er Jahren als Hütte für Wanderer und Skifahrer, mit Blick auf die zerklüfteten Gipfel von Langkofel und Schlern. Es liegt auf 1.900 Metern über dem Meeresspiegel auf dem Südtiroler Hochplateau der Seiser Alm. Diese ist Teil des UNESCO-Welterbes Dolomiten.
Das ursprüngliche, vierstöckige Gebäude war ein einziger, in zwei Teile unterteilter Baukörper, bestehend aus Beton mit Holzverkleidung und Loggien. Die in das schräge Holzdach eingebauten zahlreichen Gauben sorgten für die traditionelle Alpenfassade.
Im Dialog: Kunst, Architektur, Design, Natur
Mit Blick auf das kulturelle Erbe des Ortes wurde ein Hotelkonzept erarbeitet, bei dem Kunst, Architektur, Design und Natur in ständigem Dialog stehen. Diese architektonische Sprache haben die treibenden Kräfte bei MoDus, Sandy Attia und Matteo Scagnol, bereits im Atelierhaus des Künstlers Hubert Kostner, er ist der Ehemann der Hotelbesitzerin Angelika Sattler, im Zentrum von Kastelruth angewandt.
Zu den wichtigsten Eingriffen durch MoDus gehören der Anbau eines neuen Personalgebäudes, der neue Nordflügel, ein neuer Trakt – im Osten – mit acht zusätzlichen Zimmern, die Neugestaltung der Gemeinschaftsbereiche einschließlich des Schwimmbads, der Rezeption und des Restaurants. Schließlich die Erweiterung der Tiefgarage, die Neugestaltung des Dachs und die riesige Holzkolonnade entlang der Hauptfassade.
Wie aus einem Guss
Die Lösung von MoDus orientiert sich an der ursprünglichen Struktur: Der Anbau im Osten kopiert den Grundriss des bestehenden Flügels im Westen. Die Lärchenholzverkleidung der Fassade und ein hölzerner Säulengang unter dem gewölbten Satteldach bilden einen einheitlichen architektonischen Rahmen für die neuen Elemente.
Die unteren Stockwerke wurden mit Sichtbeton und großen Fenstern, die nach Norden in den Spa-Bereich zeigen, gestaltet. Die vorgebauten Obergeschosse zeigen nach hinten versetzte Fassaden, die zwei Reihen von Laubengängen Platz machen.
An der langen Hauptfassade im Süden wird das Dach von der Kolonnade aus 13 Stützpfeilern mit einer Höhe von 7,5 Metern getragen. Diese Lösung erinnert nach wie vor stark an die Bautradition der Alpen.
Der Ausbau und die Umgestaltungen erzeugen durchaus eine „spannende” Wirkung: Während die monumentale Holzfassade hervorragend in die umgebende Berglandschaft passt, ist das Innere wie eine bunte Explosion von Möbeln und raffiniert kombinierten Farben.
Älplerisches Flair mit Augenzwinkern
So kontrastiert im Erdgeschoß das Holz in den Essnischen mit dem monolithischen, wolkengrauen Marmor des Buffettisches und des Bartresens. Die charakteristische Kassettendecke der traditionellen, mit einem Ofen beheizten alpinen Bauernstube wird in Form einer Oberfläche aus Akustikfilzpaneelen aufgegriffen. Diese sind durch sich kreuzende gelbe Leistenprofile unterteilt.
Das Erdgeschoss erstreckt sich über die gesamte Länge des Gebäudes. Die Abfolge der Gemeinschaftsbereiche sind klar definiert: Eingang, Rezeption, Shop, Lounge, Bar und Speisesaal.
Familienerbstücke, Kunsthandwerk und weitere Gegenstände aus dem Familienbesitz geben dem Empfangsbereich seinen folkloristischen Touch. Sie stellen eine Verbindung zur Familie und ihrer Geschichte her – jedoch ohne es allzu ernst zu nehmen.
In den allgemein zugänglichen Gebäudeteilen sind zudem Werke lokaler Künstler wie Roland Senonder und Hubert Kostner selbst ausgestellt.
Synthese aus Behaglichkeit und Luxus
Die neuen Zimmer wiederum sind einerseits vom rustikalen Image einer Berghütte, andererseits dem eleganten Flair eines Kurorts geprägt. Das Holz in den Innenräumen steht dabei für Kontinuität und Tradition.
Diese Qualitäten kommen etwa in den Eichendielen und den Holzverkleidungen zum Ausdruck. Die lebhaften Stoffe und flotten Möbel geben dem Ganzen dabei eine Neuinterpretation. So muten die Sitzmöbel, Sessel, Tische und Sofas im Empfangs- und Barbereich fast schon urban-komfortabel an.
Verbesserte Energieeffizienz
Dabei wurde auf das Verständnis lokaler Handwerker für die Materialien und deren Interaktion mit den klimatischen Bedingungen Südtirols zurück gegriffen. Diese fanden ihren Niederschlag in der Gestaltung des neuen Icaro. Mit der Einbindung lokaler Handwerker trage man auch dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung, heißt es.
Seit 2010 sei das Icaro das erste klimaneutrale Hotel (mit EU-Umweltzeichen) in den Dolomiten, wird betont. Dabei sind Hotels traditionellerweise sehr energiehungrige Gebäude: die vielen Zimmer und die öffentlichen Räume, eine große Küche, Schwimmbad und Wellness- oder Spa-Bereiche … Architekten sind vor allem in den alpinen Gegenden wie der Seiser Alm vor große Herausforderungen gestellt, um die Energieeffizienz zu erhöhen.
Hotel Icaro jetzt mit mehr Zimmern
Die neuen Zimmer tragen vielsagende Namen: Bei „Telescope“ etwa kann man sich schon bei der Buchung auf den einzigartigen Ausblick freuen. Bei „Lux“ und „Grandangolo“ weiß man auch schon vorab in etwa woran man ist.
Und wie wird auf die dem Hotelnamen zugrundeliegende Ikarus-Sage Referenz genommen? Sie ist in der künstlerischen Arbeit der vor Ort gegossenen Betonwand zu finden: Dort rahmen orthogonale Holzprofile „Risse“ ein, gegossene Wachseinlagen, die der Künstler Hubert Kostner eigens geschaffen hat. Der Sohn des Daedalus wollte ja der Sonne mit seinen Flügeln aus Wachs entgegen fliegen. Von weiter unten kann man die fernen imposanten Gipfel des Schlernmassivs aber auch sehr gut betrachten.
Text: Linda Benkö
Fotos: Gustav Willeit, Icaro Hotel