Londons Niedrigenergie-Hochhaus
New Yorks Bürgermeister will gläserne Wolkenkratzer aus Klimaschutzgründen verbieten. Ein Hersteller aus dem bayerischen Gundelfingen zeigt mit einem Niedrigenergie-Hochhaus in London, dass die Glasfassade auch nachhaltig sein kann.
Der Ruf nach Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist laut in der Architektur. Soeben hat New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio angekündigt, er wolle den Bau gläserner Wolkenkratzer verbieten lassen. Die Glasfassaden seien zu klimaschädlich. Vor allem Hochhäuser mit einschaligen Fassaden und Klimaanlagen waren zuletzt in die Kritik geraten. Dabei können heute schon Niedrigenergie-Hochhäuser mit Glasfassaden gebaut werden, die gleich hohe Dämmwerte haben wie die einer geschlossenen Fassade. Alles nur eine Frage der Ausführung.
Londons Finanzzentrum, kurz City genannt, ist New Yorks Bürgermeister eine Nasenlänge voraus. Mit dem Bau von 22 Bishopsgate, kurz Twentytwo genannt, kriegt die Metropole an der Themse nicht nur ihren größten Wolkenkratzer, der 278 Meter hohe Büroturm ist auch auf internationaler Ebene herausragend. Seine 67.000 qm große Closed Cavity-Verschalung macht ihn zum weltweit höchsten Gebäude mit nachhaltiger Glasfassade.
Gebaut und montiert wird sie vom Unternehmen Josef Gartner aus dem bayerischen Gundelfingen, das die nachhaltige Fassadenbauweise auch erfunden hat. Was kann die Closed Cavity Fassade (CCF), was andere nicht können?
Die geschlossene Kammer
Die Antwort liegt in einem Fassaden-System mit zwei Schalen. Sogenannte Zweite-Haut-Fassaden schaffen durch eine geschlossene Kammer zwischen der Außen- und der Innenhaut eine Pufferzone. Während bei herkömmlichen Systemen eine aufwändige Reinigung des Scheibenzwischenraums nötig ist, hat Gartner ein System entwickelt, bei dem der Raum zwischen innerer und äußerer Fassadenschale vollständig gekapselt ist. Mit leichtem Überdruck wird der geschlossenen Kammer getrocknete und gereinigte Luft zugeführt. Dadurch kann verhindert werden, dass sich auf den Fensterscheiben Kondensat oder Schmutz ablagert.
Im Fall von 22 Bishopsgate beträgt die Gesamttiefe des geschlossenen Innenraums höchstens 250 mm und ist somit kaum als Zweite-Haut-Fassade erkennbar. Zwischen innerer und äußerer Verglasung befinden sich elektrisch betriebene zweifarbige Lamellen zum Sonnen- und Blendschutz.
Der von PLP Architecture & Lipton Rogers geplante Bau soll Büroflächen für mehr als 12.000 Menschen bieten. Zudem versteht sich das Twentytwo als öffentlicher Raum, der Kunst ausstellt, eine atemberaubende Aussicht über London freigibt und in einer eigenen Food Hall vermutlich Hipster-Kaffee zum allseits beliebten Sourdough-Toast kredenzt. Das neue Wahrzeichen der Londoner Innenstadt soll noch 2019 eröffnet werden.
Die Science-Fiction-Stadt
Ein zukunftsweisendes Projekt mit Science-Fiction-Charakter ist das derzeit größte Bauvorhaben der Schweiz. Der Gebäudekomplex „The Circle“ am Flughafen Zürich ist als überdachte Stadt geplant. Durch den Einsatz einer Closed Cavity Fassade von Gartner und Schallschutzfenstern soll eine City ohne Lärm entstehen.
Architekt Riken Yamamoto plante Häuser, die zwischen 9 und 11 Stockwerke hoch sind. Die Plätze und Gassen sind mit einem luftdurchlässigen Glasdach überspannt und geben Besuchern so das Gefühl im Freien zu sein. Bis Ende 2019 soll die Montage der 8.600 CCF-Elemente von Gartner abgeschlossen sein.
Die Apple-Zentrale wurde mit den bis dato größten gläsernen Fassadenelementen der Welt verkleidet.
Geschäftsleitung Josef Gartner GmbH
Von Cupertino bis Singapur
Auch abseits der Niedrigenergie-Bauten lieferte der Fassadenspezialist bereits Hüllen für die spektakulärsten Bauwerke der Welt. So trägt die kreisrunde Apple-Zentrale im kalifornischen Cupertino eine Gartnerfassade „mit den bis dato größten gläsernen Fassadenelementen der Welt“, wie die Geschäftsleitung erklärt.
Auch die Elbphilharmonie im Hamburger Hafen und der Lakhta-Turm in St. Petersburg zählen zum Portfolio des bayerischen Unternehmens. In London wird für Google gerade die neue Europa-Zentrale verschalt und in Singapur empfängt Apple demnächst seine Kunden in einer Kugel aus Glas, die halb ins Meer ragt.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Getty Bruno_il_segretario, Stephan Liebl, Dillingen, Simon Kennedy, Timelab