Von zeitloser Schönheit
Historische Fliesen sind nicht nur bei originalgetreuen Sanierungen höchst gefragt. Daher hat sich der Wiener Hochbau-Ingenieur Philipp Schleidt auf Reproduktionen nach den ursprünglichen Herstellungsverfahren spezialisiert. 30.000 historische Original-Fliesen liegen dafür im Firmenlager als Inspirationsquelle.
Der Erwerb eines Eigenheims kann die Berufskarriere ändern. Denn Hochbau-Ingenieur Philipp Schleidt hatte keineswegs vor, mit antiken Baustoffen und historischen Fliesen zu handeln. Doch als er nach Jahren in den USA nach Österreich zurückkehrte, verliebte er sich in ein altes Wiener Winzerhaus. Das kleine Barock-Juwel in Nussdorf bedurfte jedoch der Sanierung – und wurde so zum Ausgangspunkt unerwarteter Wendungen.
Mit Glück dem Trend voraus
„Ich wollte die nötigen Arbeiten selbst erledigen. Das Angebot an historischen Materialien und Möbeln war vor 15 Jahren aber noch sehr überschaubar“, erinnert sich Schleidt an die Ereignisse, die ihm damals einen Branchenwechsel bescherten. Dass der Trend zu originalgetreuen Sanierungen rasant steigen würde und man heute sogar Nischenprodukte wie Replica-Beschläge für Fenster und Türen im Handel erwerben kann, konnte damals noch niemand ahnen.
Vom antiken Baustoff zur historischen Fliese
Also nützte der neue Besitzer eines alten Bauwerks all seine Kontakte, um Material zu finden, das dem Stil des Hauses entsprach. Was Freunde, Bekannte und einstige Schulkollegen zur Verfügung stellten, war vielfältig und schön. Nur leider: „Fast alles waren Jahrhundertwende-Originale. Die passten nicht zu Barock. Ich habe all die Türen, Fenster, Parketten, Kachelöfen und anderen Stücke also erst einmal bei meinen Eltern in Niederösterreich gelagert“.
Der Fundus drohte bald aus allen Nähten zu platzen. Alles zu viel – aber viel zu schade, um entsorgt zu werden. So kam Schleidt die Idee, die gefragten Stücke auf den Markt zu bringen. Ein aufwändiges Unterfangen, das spezielle Logistik, große Lagerkapazität, viel Mühe und Geduld erfordert. Kurzum: Ausschließlich mit antiken Baustoffen zu handeln schien, kaufmännisch gesehen, doch „keine gute Sache“.
Weil sich vor allem historische Fliesen als äußerst begehrt erwiesen, entschied der Unternehmer, sich auf diese zu konzentrieren.
Mit vorhandenen Stückzahlen historischer Fliesen war’s jedoch höchst selten getan: „Was verfügbar war, entsprach kaum je den konkreten Kundenwünschen. Es war meist entweder zu wenig für die vorhandene Fläche, ein anderes Muster, oder eben doch nicht ganz genau das Richtige“.
Neu-Produktion nach alter Handwerkskunst
Der nächste Schritt lag auf der Hand. Schleidt recherchierte die ursprünglichen Herstellungsverfahren der Originale. Und er beschloss, selbst herzustellen, was benötigt wird: „Ich sagte mir, vor 100 Jahren ging’s ja auch. Warum also nicht heute?“
Das Ergebnis der Recherchen: Die Herstellungsweise der meisten, heute international wieder heiss begehrten Fliesen stammt aus Frankreich. Das Material: Zement. Im Kaiserreich Österreich hingegen wurde meist Steingut aus Ton verwendet, was exakte Reproduktion deutlich erschwert. Und dies nicht nur, weil solche Keramikfliesen in der Regel kleiner sind als ihre Zement-Pendants und sich beim Brennen mitunter „verziehen“, also uneben werden.
Schwierige Herstellungsverfahren
„Farb-Pigmente reagieren unterschiedlich auf Hitze. Der endgültige Farbton ergibt sich erst beim Brennen der Keramikfliesen“, schildert Schleidt. Deshalb zeigten auch Originale oft hellere oder dunklere Schattierungen in ein und demselben Stück.
Viele Versuche bis zur Perfektion
Weil jede Fliese mehrere Farben enthält, sei hundertprozentig originalgetreue Reproduktion leider kaum machbar. Geringfügige Unterschiede müssten also hin und wieder in Kauf genommen werden. Bei Zementfliesen hingegen sei kein Brennvorgang erforderlich: „Hier kann man gut so lange experimentieren, bis alles passt“.
Alle Finessen im Griff, begann die Suche nach geeigneten Partnern für die Produktion. Denn Philipp Schleidt experimentiert wohl ab und an selbst mit Schablonen für bestimmte Muster. Auch eine kleine Produktionsstätte in Österreich ist aktuell geplant. Doch in der Regel bedarf es für die Herstellung der Vorlagen und entsprechenden Fliesen spezieller Anlagen und handwerklich versierter Mitarbeiter.
3-D-Druck, wie ihn heute viele Architekten und Designer verwenden, könnte dabei zwar mitunter helfen. Doch was den Prozess dominiert, ist – heute wie anno dazumal – gekonnte Handarbeit.
Muster, Schablonen, Handarbeit
Schablone und Muster der Original-Fliese werden zwecks Farbabgleich ans Produktionsteam weitergegeben. Sobald eine exakte Reproduktion gelungen scheint, ergehen Fotos zum Gegencheck an den Firmenchef. Beurteilt der mittlerweile renommierte Spezialist das Ergebnis als perfekt, darf die Produktion beginnen.
Viele Tests waren nötig, um Partner zu finden. Denn die entsprechende, traditionelle Handwerkskunst gibt es nicht überall. Schleidt: „Letztlich hat mir der Gedanke an die Kolonien der Ursprungsländer dabei geholfen.“ Inzwischen werden seine Zementfliesen in Vietnam und Varianten aus Keramik in Tschechien hergestellt. Exakt nach Kundenwunsch und Original-Vorlage, versteht sich.
Historische Fliesen für historische Gebäude
Ein aufwändiger Prozess. Allerdings einer, der sich lohnt: Böden, Eingänge und Wände unzähliger Lokale, Wohnungen, Hotels und öffentlicher Gebäude erstrahlen bereits in neuem Glanz – mit historisch stilgetreu wiederhergestellten Fliesen-Flächen. Und nicht selten ist es das Bundesdenkmalamt, das sich zwecks Restaurierung besonderer Gebäude an den Anbieter des begehrten Nischenprodukts wendet.
Professionell verlegt, sind sowohl Zement-, als auch Keramikfliesen außerordentlich halt- und belastbar, versichert Philipp Schleidt. In Kombination mit Fußbodenheizung ein wunderbarer Wärmeleiter, im Sommer aber angenehm kühl, sind Fliesen allgemein wieder im Trend. Natürlich finden sich deshalb auch unzählige Varianten in jedem Baumarkt.
Zeitloser Jahrhundertwende-Stil
Allerdings: Was heute en vogue ist, wirkt oft rasch wieder unmodern. Historische Fliesen indes sind aktuell vor allem deshalb so begehrt, weil der „1900-Stil“ inzwischen längst als zeitlos gilt.
Rund 30.000 historische Original-Fliesen warten aktuell im Firmenlager auf interessierte Kunden. Kosten: Knapp über fünf Euro netto pro Stück. Der Preis für neu gefertigte Schönheiten liegt darunter. Er beläuft sich auf rund 1.300 Euro (netto) für eine Beispielfläche von 12 Quadratmetern. Sind Fliesen nach Mustern aus anderen Epochen oder individuellen Entwürfen gefragt, wird ein Aufschlag fällig.
Drei Grundmotive für jede Fläche
Mit gutem Grund, wie Schleidt erläutert: „Wenn ein eigener Entwurf umgesetzt oder ein bestimmtes Original reproduziert werden soll, sind mehrere Schablonen nötig“. Schließlich brauchen perfekt verflieste Bereiche stets drei Grundvarianten: Rand-, Eck- und Mittelfliesen, die sich harmonisch aneinanderfügen.
Für den Fall späterer Schäden wird stets ein Vorrat für etwaige Ausbesserungen mitgeliefert. Obwohl weder Keramik-, noch Zementfliesen zu Bruch oder Absplitterungen neigen.
Auch diffizile Muster sind reproduzierbar
In Sachen Muster-Vielfalt und Farbenpracht gibt es so gut wie keine Grenzen. Geht es jedoch um sehr spezielle Wünsche, ist mitunter Geduld gefragt: „Die Herstellung glasierter Jugendstil-Fliesen zum Beispiel ist sehr aufwändig und nimmt viel Zeit in Anspruch“, erklärt der Spezialist.
Der Großteil der Klientel setzt sich aus Bauträgern und Hausverwaltungen zusammen. Doch auch Privatpersonen, die – wie Schleidt selbst – die historische Substanz ihres Domizils sanieren möchten oder Fans bestimmter alter Stile sind, finden sich im wachsenden Kundenkreis.
Das Winzerhaus in Nussdorf, das Ausgangspunkt des erfolgreichen Firmenkonzepts war, geriet zum veritablen Barock-Schmuckkästchen. Antike Baustoffe werden in Schleidts naher Geschäftszentrale zwar nach wie vor angeboten – allerdings nur noch als Nebenschiene. Denn die Idee, historische Fliesen nach alter Art neu herzustellen, kam zur rechten Zeit.
Interior-Hit historische Fliese
Die vielfältigen, pflegeleichten und wunderschönen Raumgestaltungs-Elemente rangieren weit oben auf der Hitliste der Interior-Designer unserer Tage. Und die Nachfrage hat ihren Höhepunkt wohl kaum erreicht. Weil historische Fliesen nicht nur stilistisch zeitlos sind, sondern auch widerstandsfähig genug, um lange Zeiten starker Belastung unbeschadet zu überdauern.
Text: Elisabeth Schneyder
Fotos: Philipp Schleidt