Das ist unser Pier!
Wo sich sonst Marvels Superhelden profilieren, hat sich nun die Bevölkerung auf ihre Hinterbeine gestellt. Und einen grünen Pier für Hell’s Kitchen durchgebracht.
Es ist schon lange her. Da stand ein erfahrener Cop mit seinem jungen Kollegen an einer Straßenecke, als plötzlich ein Tumult losbrach. So heftig und so unerwartet, das die beiden New Yorker Polizisten gar nicht wussten, wie ihnen geschah. „Dieses Viertel ist ja die reinste Hölle“, entfuhr es also dem jungen Cop. Worauf der Ältere erwiderte: „In der Hölle herrscht da noch ein vergleichsweise mildes Klima. Das hier ist doch die reinste Höllenküche.“ Was bekanntlich auf Englisch „Hell’s Kitchen“ heißt. Jedenfalls aber soll so der Name dieses berühmt berüchtigten Stadtteils, in dem viele Superhelden der Marvel-Comics leben, entstanden sein. Sagt man.
Hell’s Kitchen soll endlich erblühen
Nun jedenfalls soll eben dieses Viertel des Big Apple einen echten Aufputz erhalten. Und zwar soll der aktuell wie ein loser und vor allem fauler Zahn ins Meer ragende Pier aufwändig und modern renoviert werden. Auf ihm soll schon bald ein zwei Hektar großes Naherholungsgebiet für die in Hell’s Kitchen lebende Bevölkerung erblühen.
Bevor wir uns in die Details vertiefen, schauen wir uns aber erst einmal die nackten Fakten an, auf denen dieses Pier-Projekt ruht: Konkret handelt es sich um den nördlichsten Pier des Hudson River in New York, der um 38 Millionen Dollar revitalisiert werden soll. Dazu hat sich die Designfirma Melk mit dem für das Areal verantwortlichen Hudson River Park Trust zusammengetan, um die große Mole unter dem Namen Pier 97 neu zu gestalten. Man wolle für die Menschen einen neuen und entrückten Platz inmitten der Metropole schaffen, heißt es.
Die Bevölkerung als Superheld
Der Grund für dieses Projekt ist allerdings nicht bloß in einer überraschenden Weitsicht der Lokalpolitik zu finden, sondern bei der in Hell’s Kitchen lebenden Bevölkerung: Diese hat sich nämlich zusammengetan und eine Umfrage initiiert, um auf ihre Wünsche aufmerksam zu machen.
Das Ergebnis: Man hätte lieber offene Flächen und architektonisch integrative Lösung als die berüchtigten eingezäunten Parks und Spielplätze. Dieses Papier hat dann ganz ohne jegliche Marvel-Superhelden-Unterstützung einen gewissen Druck erzeugt, dem man sich nun zumindest in einem ersten Schritt beugt.
Darauf nimmt auch Jerry van Eyck, Chefdesigner von Melk, Bezug, wenn er sagt: „Wir wollten dem Pier eine signifikante Identität verleihen.“ Schließlich sei er eine Art Tor zum Hudson River Park. Und weiter: „Was wir versuchten, war, eine Art Romantik zurückzubringen, die in den begrenzten Immobilien, die wir haben, immer nur in irgendwelche Reglementierungen eingepfercht wird.“
Picknick in Hell’s Kitchen
Eben deshalb wurde Pier 97 als eine Kette zusammenhängender und nicht voneinander getrennter Areale geplant. Von Gehwegen mit skulpturalen Vordächern über einen Spielplatz mit einer turmhohen Dschungelhalle bis hin zu einem erhöhten Aussichtspunkt mit Blick auf den Fluss. Außerdem wurde ein kleines Spielfeld für sportliche Aktivitäten integriert. Diejenigen, die faulenzen möchten, können sich wiederum auf der sanft geneigten Sonnenwiese des Piers ausbreiten oder sich mit Freunden an Picknicktischen mit Blick auf den Hudson treffen.
Jenseitiger Ort der Entspannung
Selbst an die Lärmbelästigung durch den vorbeiführenden West Side Highway hat man gedacht. So werden in Zukunft Baum- und Felsformationen am Eingang einen Teil des Verkehrslärms wie natürliche Schallschutzwände blockieren. Und so erklärte Madelyn Wils, die Präsidentin des Hudson River Park Trust bei der Präsentation der Pläne nun stolz: „Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man auf den Fluss hinausgehen, den Sonnenuntergang betrachten und unter einem Baum sitzen kann. Man hat wirklich das Gefühl, an einem jenseitigen Ort zu sein und nicht in Hell’s Kitchen.“
Ob die Realität ihrer Vision tatsächlich derartig romantisch sein wird, kann man übrigens schon bald überprüfen: Tatsächlich sollen noch heuer die Bagger auffahren und spätestens 2022 die Eröffnung gefeiert werden. Bis dahin hat sich dann vielleicht endgültig auch die neue Viertelbezeichnung für den berüchtigten Stadtteil etabliert: Clinton.
Eine Referenz an den früheren New Yorker Bürgermeister und Gouverneur DeWitt Clinton, der 1828 von der Weltbühne abtrat. Und heute hoffentlich genau so wenig mit der Hölle zu tun hat, wie die Bewohner „seines“ immer himmlischer werdenden Stadtteils.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Melk