Ein Hoch auf das Schilfdach
Das Schilfdach ist eine fast vergessene Tradition im Burgenland. Der Quantenphysiker und Schilfdachdecker Jacobus van Hoorne hat sie zurückgeholt und mit seinem Vorzeigehaus dem Burgenland erstmals zum renommierten Bauherr:innenpreis verholfen.
Als unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit sesshaft wurden, begannen sie mit dem Bau von Hütten, die mit Stroh oder Schilf gedeckt waren. Da das Material am Neusiedlersee mit seinem flachen, schilfbewachsenen Ufer zur Genüge vorhanden war, fand dieser Dachtypus auch im Burgenland große Verbreitung. In der Neubausiedlung in Weiden am See, wo Jacobus van Hoorne und seine Familie leben, ist ihr Haus heute das einzige mit einem Schilfdach. Für die Baugenehmigung hat der studierte Quantenphysiker, der zuvor sieben Jahre lang am CERN in der Schweiz forschte, bürokratische Pionierarbeit geleistet.
Das Schilfdach hat viele Vorteile, allem voran natürlich den Nachhaltigkeitsaspekt, und es ist lokal in großen Mengen verfügbar.
Jacobus van Hoorne, Quantenphysiker, Schilfdecker und Bauherr
Denn ein Schilfdach auf einem Einfamilienhaus, das war baubehördlich nicht erlaubt. Erst als van Hoorne einen Versuch durchführte und ein Modell in Brand setzte, gelang es ihm nachzuweisen, dass ein korrekt ausgeführtes Schilfdach keine Brandgefahr darstellte. Damit konnte er nicht nur sein eigenes Haus nach seinen Vorstellungen bauen, er hat damit auch den Weg für die Wiederbelebung dieser baukulturellen Tradition geebnet.
Schilf als CO2-Senke
Eine Tradition, der in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zukommt. „Das Schilfdach hat viele Vorteile, allem voran natürlich den Nachhaltigkeitsaspekt, und es ist lokal in großen Mengen verfügbar“, sagt van Hoorne, der vor ein paar Jahren seine Physikerkarriere an den Nagel gehängt und den Schilfdecker-Betrieb seines Vaters im Burgenland übernommen hat. Ein Handwerk, das nicht nur identitätsstiftend ist, sondern auch einen Beitrag leisten kann, um die CO2-intensive Baubranche zu dekarbonisieren.
Als nachwachsender Baustoff bildet das Schilf nämlich, so wie das Holz auch, eine CO2-Senke. Während seines Wachstums entzieht es der Atmosphäre CO2 und speichert es in Form von Kohlenstoff, der die gesamte Lebensdauer des Schilfdaches über gebunden bleibt. Gleichzeitig wächst das Schilf jedes Jahr nach und setzt so die Kohlendioxidreduktion fort.
Es fehlt an Aufklärung
Die heutige Generation der Häuslebauer hat allerdings große Vorbehalte gegenüber so einem archaisch anmutenden Dach, wie van Hoorne erläutert. “Das Problem in Österreich ist, dass das Schilfdach, ebenso wie das Strohdach, im Gegensatz zu den nordeuropäischen Ländern in der Nachkriegszeit fast völlig verschwunden ist.“ Deshalb bestehe große Unsicherheit gegenüber dieser Bauweise, insbesondere im Hinblick auf Lebensdauer, Brandschutz, Ungeziefer und Leistbarkeit.
Vom Preis her sind wir günstiger als andere Dachdeckungen, wenn man die Dämmwirkung des Schilfes mit einberechnet.
Jacobus van Hoorne, Quantenphysiker, Schilfdecker und Bauherr
All diese Bedenken kann van Hoorne ausräumen: „Ein genügend steiles und fachkundig hergestelltes Schilfdach hält leicht über 40 Jahre, also ähnlich lang wie andere Dachdeckungen. Mit unserem Versuch haben wir gezeigt, dass es einen Dachaufbau gibt, der brandsicher ist. Ungeziefer gibt es im Schilfdach keines, weil es für dieses nichts zu fressen gibt. Und vom Preis her sind wir günstiger als andere Dachdeckungen, wenn man die Dämmwirkung des Schilfes mit einberechnet.“
Durch die Hohlkammern der Halme verfügt das Reetdach nämlich über einen sehr guten Dämmwert, wodurch sich zusätzliches Isolationsmaterial einsparen lässt. Und am Ende seiner Lebensdauer kann man das naturbelassene Schilf zur Gänze kompostieren und den Draht recyceln.
Angesichts von Klimakrise und nötiger Bauwende eine Lösung, die ganzheitlich und regenerativ gedacht ist. „Was es also in erster Linie braucht, ist die Aufklärung der Öffentlichkeit darüber. Da wir aber die einzig verbliebenen ernstzunehmenden Schilfdachdecker in Österreich sind, wird das einfach seine Zeit brauchen.“
Kontrapunkt in der Fertighaus-Monotonie
Sein Wohnhaus aus Holz, Glas und Schilf hat van Hoorne eigenhändig gedeckt, geplant wurde es vom Wiener Architekten Gilbert Berthold. Der Fertighaus-Monotonie von Neubausiedlungen hat das Einfamilienhaus nicht nur klimaschutztechnisch einiges entgegenzusetzen, es hebt sich auch optisch sehr positiv von der umliegenden Bebauung ab.
Indem seine Hülle aus den Naturmaterialien Holz und Schilf besteht, lässt sich der biophile Baukörper mehr dem ockerfarbenen Landstrich des Seewinkels zuordnen als den vielgestaltigen weißen Fassaden der Siedlungsstruktur. Durch den s-förmigen Grundriss zieht das Haus elegante Schwünge an der Fassade und am Dach, wodurch das Organische des Entwurfs weiter unterstrichen wird.
Erster Bauherr:innenpreis im Burgenland
„Ich möchte dazu inspirieren, auch als Bauherr den Mut zu haben etwas Außergewöhnliches zu machen und nicht einfach dem Standard zu folgen“, sagt van Hoorne, der für sein handwerklich geprägtes Bauprojekt mit dem Bauherr:innenpreis 2024 ausgezeichnet wurde.
Dies ist das erste Mal, dass der renommierte Architekturpreis, der seit 1967 jährlich vergeben wird, an das Burgenland geht. Mit der behördlichen Pionierarbeit, die der Bauherr bei seinem Eigenheim geleistet hat, steht einem Comeback des zeitgemäßen Schilfdachhauses nichts mehr im Weg.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Arnaud Bostelmann, Gilbert Berthold, Hanno Mackowitz