Haus in der Düne
Das Architekturstudio Vural hat ein Ferienhaus entworfen, das in eine Sanddüne gegraben ist. Das autarke Energiekonzept des Dune House ist ein Vorzeigeprojekt in Sachen Nachhaltigkeit.
In der Sanddüne klafft eine Lücke. Es sieht aus wie das Werk eines Chirurgen, der mit Präzision und scharfem Werkzeug zwei saubere Schnitte in die Landschaft gesetzt hat. Unter dem sanften Schwung der Düne liegt das Wohnhaus, das über den Einschnitt begehbar ist. Zwei Geschoße liegen quasi unter der Erde, doch von einer düsteren Behausung kann hier nicht die Rede sein. Das Dune House ist von Licht durchflutet und nutzt den Sand als natürliche Isolierung.
Subtraktion in der Landschaft
„Subtraktive Architektur“ nennt Selim Vural seinen Entwurf für ein Ferienhaus auf der Halbinsel Cape Cod in Massachusetts. Anstatt der Landschaft einen Baukörper hinzuzufügen, zog der Gründer des Brooklyner Architekturbüros Studio Vural ein Volumen von der Landschaft ab. In dieses Volumen setzte er einen avantgardistischen Baukörper. Vorerst zwar nur im Entwurf, doch die Bauarbeiten für das Dune House sollen bereits im Herbst beginnen.
Das Bestreben zeitgenössischer Architektur, möglichst minimal in die Landschaft einzugreifen, hat Vural mit seinem Entwurf auf die Spitze getrieben. „Vom Meer aus ist das Haus nur als Kreisanschnitt zu sehen, es fügt sich nahtlos in die Natur ein“, sagt Vural. „Die Küstensilhouette bleibt unverändert – das Haus erhebt sich nicht aus der Landschaft, es taucht in sie ein.“
Das Haus erhebt sich nicht aus der Landschaft, es taucht in sie ein.
Selim Vural, Architekt
Das Projekt erinnert an das spektakuläre Haus im Felsen von Architekt Amey Kandalgaonkar, der – zumindest in seinen Renderings – einen Stein-Monolithen wohnbar gemacht hat. Auch der Künstler César Manrique kommt einem in den Sinn. Er verpflanzte auf seiner Heimatinsel Lanzarote ganze Wohnlandschaften in vulkanische Lavablasen.
100% energieautark
Vural ist mit dem Landstrich rund um die hakenförmige Halbinsel Cape Cod bestens vertraut. Der Architekt verbringt dort jedes Jahr seinen Urlaub und hat Klima, Landschaft und lokale Bauweise eingehend studiert. Bei einer nächtlichen Fischexpedition wurde er Zeuge eines seltenen Naturspektakels. Ein Tintenfisch sandte einen regenbogenfarbenen Blitz aus. Ein Vorgang, den man Bioluminiszenz nennt. „Wenn Tintenfische selbst Energie erzeugen können, sollten Häuser das auch können“, dachte Vural und setzte seine Idee in die Tat um.
Das Grundstück für das Dune House wird nicht im herkömmlichen Sinn aufgeschlossen. Es ist nicht an das Stromnetz angeschlossen, sondern versorgt sich selbst über eine vorgelagerte Anlage mit Photovoltaik-Elementen und Mini-Windrädern mit Strom. Das System ist so ausgelegt, dass mehr grüne Energie erzeugt als verbraucht wird. Damit ist es ein Plus-Energie-Haus.
Im Dune House sind Mensch, Vogel, Architektur und Landschaft zu einem untrennbaren Ganzen verbunden.
Selim Vural, Architekt
Die hohe Energieeffizienz wird durch das Eingraben des Baukörpers in die Düne erreicht. Das Fundament und rund 80 Prozent der Gebäudehülle werden von den geothermalen Temperaturen des Sandes gewärmt. Neueste Forschungsergebnisse über absorbierende Baumaterialien und Erdbautechnik fließen ebenso in das Projekt ein wie Erkenntnisse über die positive Auswirkung von Wasserkreisläufen auf die Erderwärmung.
„Das Dune House ist die nächste Generation an hyper-nachhaltigen Häusern, die aggressiv vorangetrieben werden müssen, um den Klimawandel zu stoppen“, postuliert der Architekt.
Der technologische Fortschritt, der uns den Klimawandel beschert hat, werde uns auch wieder aus der Krise herausführen, ist Vural überzeugt. „Im Dune House sind Mensch, Vogel, Architektur und Landschaft zu einem untrennbaren Ganzen verbunden. Technologie und Natur sind endlich miteinander versöhnt.“
Text: Gertraud Gerst
Renderings: Studio Vural, Dom Wipas