Wenn Märchen wahr werden
Auch wenn Hans Christian Andersen längst gestorben ist, so leben seine Märchen heute noch weiter. Deshalb wird ihm nun in seiner dänischen Heimat ein Denkmal in Form eines fantastischen Museums gesetzt.
Es war einmal vor langer Zeit ein Soldat. Er war gerade aus dem Krieg heimgekehrt, als er am Wegesrand auf eine alte Hexe trifft. „Guten Tag“, sagt der Soldat freundlich. „Guten Tag“, sagt auch die Hexe. Dann bittet sie ihn kurz anzuhalten. Sie würde ein Feuerzeug vermissen, das einst ihre Großmutter in einem hohlen Baum verloren habe. Wenn er ihr dieses wieder beschaffe, würde er reich entlohnt. Und so kam es, dass der Soldat unter dem hohlen Baum eine Schatzkammer entdeckt. Deren Inhalt macht ihn aber nicht nur reich, sondern auch geizig.
Kurz gesagt: Statt der Hexe das unter allem Gold gefundene Feuerzeug zu geben, schlägt er ihr den Kopf ab. Zudem nutzt er die magischen Kräfte des Funkenschlägers, um die Prinzessin zu heiraten. Zuvor aber tötet er noch deren königliche Eltern, um selbst das Zepter in Händen halten zu können.
Ja, die Märchen von Hans Christian Andersen sind eher von brutalerer Natur. Jedenfalls weniger romantisch als die der Brüder Grimm. Aber umso faszinierender sind die Welten, in die der berühmte Autor seine Leser entführt. Vor allem in der Heimat des Märchenerzählers leben diese und die Erinnerungen an ihn in vielen unterschiedlichen Ausprägungen weiter. Diesen Sommer aber wird im dänischen Odense zu Andersens Ehren nun ein besonders spektakuläres Denkmal eröffnet: Das Hans Christian Andersen-Museum. Gestaltet von einem Star der heutigen Zeit. Von Architektur-Ikone Kengo Kuma.
Tatsächlich ließ sich Kuma bei der Konzeption des besonderen Bauwerks vom schriftstellerischen Werk Andersens inspirieren. Ganz konkret von der Geschichte „Das Feuerzeug“, die seinen Helden in eine unterirdische Welt voll irdischer Schätze führt. „Die Idee hinter dem architektonischen Design ähnelte Andersens Methode, für den Leser eine kleine Welt plötzlich zu einem größeren Universum auszudehnen“, erklärt Kuma seinen Zugang.
Hans Christian Andersen unter der Erde
Und wenn man sich die Pläne des gerade im Bau befindlichen Museums ansieht, wird klar, was Kengo Kuma damit meint: Ein wesentlicher Teil des 5.600 Quadratmeter großen Museums präsentiert sich unterirdisch. Orientiert sich deutlich an der Höhle, die der Soldat aus Andersens Märchen im Inneren des hohlen Baums vorfindet.
Eine Höhle also, die den Besuchern ebenfalls einen Schatz offeriert – das Leben des Autors nämlich. „Um Andersens literarisches Universum räumlich zu verdeutlichen, wollen wir ein komplettes künstlerisches Erlebnis inszenieren“, so Kengo Kuma. Und Torben Grøngaard Jeppesen, Leiter der städtischen Museen in Odense ergänzt: „Das Projektteam musste besonders tief in Andersens Märchen eintauchen. Sie sind das, was jeder kennt. Also muss man sich auch daran orientieren.“ Aber: Es sei von vornherein nicht die Idee gewesen, Geschichten nachzuerzählen. „Vielmehr wollten wir ihre Vertrautheit vermitteln und zur weiteren Lektüre von Andersen-Märchen inspirieren.“
Neue Begegnungen werden erschaffen
Das soll durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel aus Architektur, Klangwelten, Lichteffekten und anderen visuellen Elementen Realität werden. „So werden wir ständig neue Begegnungen zwischen jedem Besucher und den Märchen schaffen“, heißt es offiziell. Und die Latte liegt in der Tat hoch: Das neue Museum ist eines der größten und ehrgeizigsten Museumsprojekte Dänemarks in den letzten Jahren. Es wurde von der A.P. Møller Stiftung sowie durch Beiträge von Nordea-Fonden, der Augustinus Stiftung, Knud Højgaards Fond und der Stadt Odense ermöglicht.
Ehrgeizigstes Projekt seiner Art
Es geht also für viele unterschiedliche Seiten und Geldgeber um viel Prestige, Ruhm und Ehre. Und so verspricht das Projektteam auch eine breite Palette an modernsten Technologien und Ansätzen für das Set-Design nutzen zu wollen, die allesamt Andersens magisches Universum zum Leben erwecken sollen. „Das Museum wird ein einzigartiges Kunsterlebnis bieten, das Landschaft, Architektur und modernes Ausstellungsdesign verbindet und neue Perspektiven auf einen der beliebtesten und kreativsten Denker der Weltgeschichte bietet.“
Wenn man sich die überirdischen Elemente des Objekts ansieht, kommt man übrigens nicht umhin, an ein weiteres berühmtes Märchen aus Hans Christian Andersens Feder zu denken: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Denn: Eine imposante Holzkonstruktion ist einer der bestimmenden Blickfänge des neuen Museums. Aus österreichischer Sicht übrigens ein besonders interessanter Aspekt: Die heimischen Holzbauspezialisten von Wiehag sind nämlich für diesen Part verantwortlich!
Märchenauftrag für Österreicher
„Es ist uns eine besondere Ehre, dieses Projekt von dem weltweit bekannten Stararchitekten Kengo Kuma zu realisieren“, meint Wiehag-Geschäftsführer Erich Wiesner. Das Design sei von den historischen Fachwerkhäusern Odenses inspiriert, daher würde das Holz auch so einen relevanten Faktor beim Bau dieses Museums ausmachen.
Umgeben wird die Holzfassade übrigens von einem gigantischen, magischen Garten. Dieser soll sozusagen über den unterirdischen Andersen-Welten in eine zusätzliche überirdische Märchenwelt entführen. Schließlich wolle man eben ein einzigartiges Kunsterlebnis bieten, das Landschaft, Architektur und modernes Ausstellungsdesign miteinander verbindet.
Kengo Kuma selbst meint, dass die Geschichten, die im neuen Gebäude erzählt werden sollen, durch physische Räume und im Garten erlebt und empfunden werden müssen. Er postuliert mittels Pressemeldung: „Es gibt eine tiefe Essenz in Hand Christians Andersens Märchen und Erzählungen, die das Leben des Autors und seine lebenslange Reise widerspiegeln. Sein Werk projiziert die Dualität der Gegensätze, die uns umgeben: real und imaginär, Natur und künstlich, Mensch und Tier, hell und dunkel. Diese Gegensätze existieren nebeneinander, sie sind nicht schwarz und weiß. Bei der Gestaltung des Museums habe ich mich darauf konzentriert, diese Essenz seiner Arbeit in architektonischer und landschaftlicher Form zu reflektieren“, erzählt der Stararchitekt.
Viele wichtige Worte
Und weil es mit Henrik Lübker auch schon einen Kreativdirektor des bald eröffneten Museums gibt, hat sich der auch schon etwas konkreter zu seinen Plänen geäußert: „Hans Christian Andersens künstlerisches Universum ist phantastisch. Vor allem deshalb, weil es die Vorstellung von der Welt, die man zu kennen glaubt, umkehrt, ohne jedoch etwas anderes an ihre Stelle zu setzen. Seine Märchen weisen nicht auf eine universelle Wahrheit hin, sondern ins Offene. Auf die Eigenartigkeit und Vielfältigkeit der Welt. Im neuen Museum halten wir diese Mehrdeutigkeit aufrecht, indem wir Andersens eigene künstlerische Strategien als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Gartens, des Hauses und der Ausstellung verwenden, sowie für die vielen künstlerischen Beiträge, die ebenfalls Teil des Museums sein werden.“
Schon bald wird sich die Märchenwelt des berühmten Schriftstellers also in unserer Realität manifestiert haben. Die fantasievollen bunten Bilder, die beim Lesen von Hans Christian Andersens Märchen in unseren Köpfen entstehen, werden aber auch Kengo Kuma und Freunde nicht ersetzen können.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Kengo Kuma