Halle-luja!
Unter dem Namen „Green Connect“ definieren Zaha Hadid Architects die Bahnhofshalle neu. Und machen aus dem Bahnhof von Vilnius einen umweltfreundlichen Knotenpunkt für Menschen. Nicht bloß für Züge.
So ein Bahnhof liegt in einem eher abgewrackten Stadtteil. Er ist mehr oder weniger versifft, bietet Obdachlosen Unterschlupf und ist jedenfalls ein Umschlagplatz für Drogen. Auch wenn diese Beschreibung vielleicht ein wenig zugespitzt ist – aber mit Bahnhöfen assoziiert man eher selten lässige Locations, die man gesehen haben muss. In denen man Freizeit verbringen möchte.
Flughäfen in der Vorreiterrolle
Ganz im Gegensatz zu spektakulären Flughäfen. Hier will man schon einmal den aus architektonischer Sicht jedenfalls interessanten Dubai International Airport gesehen haben. Auch der Singapore Changi Airport ist eine wahre Augenweide – begrünt wie eine Gartenausstellung. Nicht zu vergessen das aktuelle Highlight – der Krake von Peking. Eines der aktuellen Meisterwerke aus dem Haus Zaha Hadid Architects.
Und das Studio der 2016 verstorbenen Architektur-Größe Zaha Hadid ist es nun auch, das explizit versucht, Bahnhöfen das Schmuddel-Image zu nehmen. Bestes Beispiel: Das soeben präsentierte Konzept für die Neugestaltung des Bahnhofs in Vilnius in Litauen.
Green Connect als Ort der Begegnung
Unter dem Namen Green Connect hat man ein modernes Areal entworfen, das weit mehr sein wird, als bloß ein Verkehrsknotenpunkt. „Green Connect wird ein zukunftssicherer Verkehrsknotenpunkt sein, bei dessen Gestaltung das Erlebnis der Fahrgäste im Vordergrund steht“, bringt es Gianluca Racana, Studioleiter von Zaha Hadid Architects auf den Punkt.
Es geht also hier nicht mehr bloß um die praktischen Aspekte einer Zugreise. Es geht darum, dass der Bahnhof zur Wohlfühloase wird. Zum Knotenpunkt der Menschen, die in Vilnius leben.
Herzstück dieser Vision ist eine spektakuläre und 46 Meter breite Brücke. Sie wird sich 150 Meter lang und in zehn Meter Höhe über die bestehenden Bahngleise und ihre Bahnsteige spannen. Die Brücke soll dazu beitragen, die Verbindungen zwischen den Stadtvierteln auf beiden Seiten des Bahnhofs zu verbessern. Man trifft sich sozusagen in ihrem Zentrum – die Bahnhofshalle wird nämlich über den Gleisen schweben.
Fließendes Dach der Superlative
Aus architektonischer Sicht wird die Brücke eine moderne Adaption des aktuell bestehenden Bahnhofs darstellen, sagen die Architekten selbst. Allerdings braucht man als Laie schon recht viel Phantasie, um die Parallele verstehen zu können. Was aber nicht weiter stört – denn die fließende Form des gigantischen Dachs besticht so oder so auf den ersten Blick.
Diese wird durch eine spezielle Holzlaminatstruktur erreicht, die von Zaha Hadid Architects eigens ausgewählt wurde. „Sie ist leicht und feuerbeständig und hat einen geringen CO2-Fußabdruck“, so die Begründung. Die Brücke wird mit einem linearen Oberlicht und verglasten Fassaden über den Bahngleisen ausgestattet sein, um das natürliche Licht zu maximieren und den Reisenden die Orientierung zu erleichtern.
Gesamtes Areal wird neu gedacht
Um das verbindende Element dieses spektakulären Baus zu unterstreichen, ließen die Planer ihren Blick jedoch auch über den Tellerrand schweifen. Im Zuge des Green Connect-Projekts wird nicht nur der bestehende Bahnhof modernisiert, betont man. Auch die angrenzenden öffentlichen Plätze werden neu gedacht. Nur so sei es möglich, dem gesamte Areal ein neues Image zu verpassen, sind sich die Experten sicher.
„Unsere Vorschläge bieten eine Fülle neuer öffentlicher Flächen. Sie werden das gesamte Gelände in einen Ort verwandeln, der nicht nur für die Nutzer des Verkehrsknotens relevant sein wird. Sondern auch für die Stadt Vilnius und die örtliche Gemeinschaft“, so Gianluca Racana.
Das bedeutet, dass dieses Konzept sowohl Geh- als auch Radwege umfassen wird. Damit will man das Nachhaltigkeitsprogramm von Vilnius unterstützen, das die Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer in der Stadt verbessern soll. Es heißt aber auch, dass man sich der „unpassenden Kioske und Büroräume, die in den letzten zehn Jahren im Bahnhof errichtet worden sind“, entledigen wird. Sprich: Manches wird schlichtweg geschliffen werden, um Neuem Platz zu machen.
Busbahnhof mit Gastro-Terrasse
So soll etwa ein Teil des so freiwerdenden Platzes in einen Park umgewandelt werden. Und auch der vorgelagerte Busbahnhof wird im Zuge des Baus von Green Connect mitbedacht: Ähnlich wie die Brücke wird auch dieser mit einem gebogenen Dach aus Brettschichtholz versehen werden. Dieses Dach jedoch wird eine Terrasse enthalten, die mittels schicker Gastronomie die Bevölkerung anlocken soll.
Unsere Vorschläge bieten eine Fülle neuer öffentlicher Flächen. Sie werden das gesamte Gelände in einen Ort verwandeln, der nicht nur für die Nutzer des Verkehrsknotens relevant sein wird. Sondern auch für die Stadt Vilnius und die örtliche Gemeinschaft.
Gianluca Racana, Studioleiter von Zaha Hadid Architects
Warum das Projekt Green Connect heißt, wird spätestens dann ersichtlich sein, wenn die 300 neuen Bäume, die der zum Bahnhof zugehörige Landschaftsentwurf von Zaha Hadid Architects vorsieht, gepflanzt und die Wassergärten aktiviert wurden. Die Vision reicht gar so weit, dass durch die bepflanzten Areale und Dächer gar die Artenvielfalt der Region gefördert wird.
Ebenfalls im Green Connect-Kontext: Alle neuen Gebäude werden mit Fassaden ausstaffiert sein, die im Winter den Sonnenertrag maximieren und im Sommer die Blendung reduzieren. So will man die Abhängigkeit von künstlicher Beleuchtung, Heizung und Kühlung verringern. Dass Photovoltaik-Paneele zur Stromerzeugung des neuen Bahnhofs beitragen werden, liegt auf der Hand.
Nächster Halt: Vilnius Hauptbahnhof
Und wenn das alles wahr wird, was man derzeit bloß auf Renderings bestaunen kann, dann sollte man sich vielleicht sogar überlegen, einmal einen Abstecher in die litauische Stadt zu machen. Mit dem Zug versteht sich.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Zaha Hadid Architects; Frontop; Negative