Grazer Architekt baut Polens Elbphilharmonie
Um Superstar Zaha Hadid auszustechen, ersann der Grazer Architekt Thomas Pucher einst einen besonderen Plan. Nun baut sein Atelier das neue Konzerthaus in Warschau. Um 147 Millionen Euro.
Kleine Projekte sind seine Sache einfach nicht. Große Krankenhäuser in Deutschland. Spektakuläre Bürotürme im mittleren Osten. Schmucke Restaurantbetriebe überall. Das sind Objekte nach Thomas Puchers Geschmack. Herausforderungen mag der Mann. Das Match mit den Weltbesten liebt er.
Also verwundert es nicht, dass der 50-Jährige großen Spaß daran hatte, sich vor zehn Jahren mit Star-Architektin Zaha Hadid (1950–2016) zu matchen. Im Architekturwettbewerb um das neue Warschauer Konzerthaus der „Sinfonia Varsovia“. Eines gleich vorweg: Das Rennen ging schon vor Jahren an ihn – doch erst seit wenigen Tagen ist klar: Der Österreicher wird das 147-Millionen-Teil auch wirklich bauen! In vier Jahren soll das spektakuläre Bauwerk fertig sein. Wir haben ihn aber lieber schon vor der Eröffnung ausgefragt.
Auch wenn die Gratulation um zehn Jahre zu spät ist: Wow – Sie haben die weltberühmte Zaha Hadid mit Ihrem Konzept ausgestochen! Was war Ihr Erfolgsrezept?
Thomas Pucher: Danke für die späten Glückwünsche! Diesen Wettbewerb haben wir tatsächlich bereits vor zehn Jahren gewonnen. In einer Zeit, als Zaha Hadid jeden dritten Wettbewerb in jeder Stadt mit dem immer ziemlich gleichen Projekt für sich entschieden hat: Das war immer eine großartig-komplizierte, organische Form. Das ist in diesen Jahren so weit gegangen, dass jeder geglaubt hat: Die architektonische Zukunft sieht eben so aus und jede Stadt braucht so was auch. Nur so sagt eine Metropole: Ich bin fortschrittlich! Genau dieser Trend ist mir und uns damals echt aufgestoßen, das hat uns angezipft. Also haben wir gesagt: Für das Konzerthaus in Warschau gehen wir mit einer Story ins Rennen, die als Gegenentwurf zu einem Hadid-Entwurf zu verstehen ist. Wir wollten also einfach eine Kiste präsentieren, die ganz reduziert ist, gleichzeitig aber die Situation vor Ort nachhaltig und außergewöhnlich verändert.
Wie ist denn diese Situation vor Ort, was kann man sich da vorstellen?
Es sind dort Objekte vorhanden, die unter Denkmalschutz stehen und somit erhalten bleiben müssen. Im Zentrum steht eine dreigeschoßige alte Gründerzeitvilla und an den Grundstücksecken vier so ein- und zweigeschoßige begleitende Bauwerke. Da stellte sich für uns also schon einmal eine konkrete Frage: Wo kann man denn überhaupt ein Konzerthaus hinstellen? Vor der Gründerzeitvilla, wo es logisch gewesen wäre, ist schlicht kein Platz. Also haben wir den Spieß umgedreht und den Saal gleich ganz nach hinten gestellt. So steht er möglichst entfernt der vorbeiführenden Hauptstraße.
Gleichzeitig musste dieses für Warschau in Zukunft besonders wichtige Gebäude jedoch auch auf den ersten Blick sichtbar sein. Also sind wir auf die Idee gekommen, die Seitenwände nach vorne zu ziehen. Wir haben die bestehende Villa sozusagen umarmt und diesen Vorbau obendrein um drei Meter angehoben. Also schwebt ein 150 Meter langer und 100 Meter breiter Rahmen, wir sagen „Frame“ dazu, um das Konzerthaus herum. Und zwar so, dass man einfach nicht erkennen kann, wie dieser Rahmen halten kann. Wenn man also beim Konzerthaus ankommt, sieht man von weit weg diesen schwebenden Rahmen. Der soll natürlich schön sein, aber am Ende sieht er aus wie eine schlichte und sehr große Box.
… und somit sind die örtlichen Gegebenheiten quasi in dieser neuen Box verpackt?
Wenn man dann näherkommt, geht man unter diesem Frame durch und befindet sich plötzlich in einem Garten, in dem eben diese alte Villa steht. Der Garten wiederum hat barocke Anklänge. Durch den Frame wird die Gesamtstimmung ruhiger, der Rahmen schottet den Besucher ab. Der barocke Garten, der ufo-artige Rahmen – man weiß nicht mehr, in welcher Zeit man gerade ist. Dann betritt man die Villa, erste Klänge dringen durch Türen, Restaurantgeräusche ebenso. Als Besucher weiß man aber immer noch nicht, wo jetzt eigentlich das Konzerthaus sein soll. Alle Wände sehen gleich aus. Doch auf einer Seite ist diese eine Wand so dick, dass das ganze Konzerthaus drinnen Platz findet. Also, vom Gefühl her, in dieser Wand. Man tritt durch die Tür, wird im nur drei Meter niedrigen Foyer noch einmal ein bisschen zusammengestaucht, um dann plötzlich den 26 Meter hohen Saal zu betreten. Und alles macht auf.
Uns ging es darum, den Stadioneffekt, bei dem alle Zuschauer so nah wie möglich am Spielfeld sitzen, zu integrieren.
Thomas Pucher, Architekt
Was macht in Ihrer Planung den Saal, also dieses Herzstück, außergewöhnlich?
Wenn man in den Saal seitlich eintritt, verändert sich das Erlebnis unmittelbar und total. Der Saal ist eine Mischung aus Konzertsaal und Stadion. Uns ging es darum, den Stadioneffekt, bei dem alle Zuschauer so nah wie möglich am Spielfeld sitzen, zu integrieren. Deshalb haben wir das Orchester in die Mitte gerückt und das Publikum in immer steiler werdenden Ringen nach oben hin angeordnet. Das wird für den Besucher schon sehr dramatisch werden, seine Reise wird am Ziel zum intensiven Schlusspunkt.
Welche Reise meinen Sie da jetzt genau?
Ich möchte mit diesem Bau natürlich eine Geschichte erzählen. Die Geschichte einer Reise voll Überraschungen. Und ich glaube, wir haben eben genau wegen dieser Geschichte diesen Wettbewerb – tatsächlich übrigens vor Zaha Hadid, die Zweite wurde – gewonnen. Weil diese Story einfach überzeugt und berührt hat. Mir ging es bei der gesamten Konzeption darum, eine Art Prozessionsweg von zu Hause bis in den Saal zu generieren. Aus dem Taxi raus. In den barocken Garten. Rein in eine klingende und lebendige Lobby, um am Ende in einem intimen Saal auf den Punkt zu kommen. Hier werden 1.800 Menschen Platz finden, das ist ein eher intimer Rahmen. Da werde ich als Gast ruhiger, gleichzeitig aber wird es aufregender. Ich werde auf das Konzert vorbereitet. Und dieses ist der Schluss- und Höhepunkt meiner Reise.
Aber kommen wir zurück zu Ihrer persönlichen Reise, die eben schon vor zehn Jahren begonnen hat. Warum haben sich die Dinge bei diesem Projekt dermaßen verzögert?
Die Initiative des Projekts geht vom Orchester selbst, also von der „Sinfonia Varsovia“, aus. Und um den Stein einfach einmal ins Rollen zu bringen, hat man damals den Architekturwettbewerb ausgeschrieben. So nach dem Motto: Schauen wir einmal, was dabei rauskommt. Nun, dann hat es gleich einmal fünf Jahre gedauert, bis die Finanzierung gestanden ist. Dann noch ein Jahr, bis es einen Vertrag gab, dann noch ein paar kleine Verzögerungen, bis wird jetzt nun tatsächlich die Einreichplanung bewilligt bekommen haben.
Wann rechnen Sie mit dem Baubeginn?
Wir gehen von einem Baubeginn im nächsten Jahr aus, also 2020. Und wir rechnen dann mit drei bis vier Jahren Bauzeit.
Jetzt ist das ein 145-Millionen-Euro-Projekt. In einer fremden Stadt, einem fremden Land, mit politisch nicht einfachen Gegebenheiten. Haben Sie da keine Angst?
Angst macht mir das gar keine. Sonst dürfte ich nicht in diesem Business arbeiten. Respekt würde ich als Begriff dafür vorschlagen, das haben wir schon. Wir machen einige große Projekte, dieses ist nicht einmal unser größtes. Aber: Es ist unser kompliziertestes! Und wir wissen aus Erfahrung, was alles schieflaufen kann, bis das Haus am Ende auch wirklich gebaut ist.
Mit seinem Architekturbüro gewann der Grazer bereits über 30 Wettbewerbe auf der ganzen Welt. Unter anderem für das Headquarter der OIC, die Musikschule in Tallinn und das China North City Development in Tianjin.
Wir wissen aus Erfahrung, was alles schieflaufen kann, bis das Haus am Ende auch wirklich gebaut ist.
Thomas Pucher, Architekt
Und: Was kann da alles passieren?
Man muss sich das so vorstellen: Da werden ein paar hundert Leute auf der Baustelle sein. Und nicht alle von denen haben das Interesse, hier das qualitativ beste Projekt hinzustellen. Manche wollen einfach mit wenig Arbeit viel Geld verdienen, andere sind nur Bauarbeiter mit ganz anderen Sorgen als diesem Bauwerk. Aber gerade bei so einem großen Ding kann eben ein Fehler eine sehr gravierende Auswirkung haben. Und da müssen wir zusätzliche Kontrollinstanzen einbauen, alles gut abfedern, sehr gut aufpassen, dass möglichst wenig passieren kann. Deshalb haben wir Respekt und denken alles zwei- bis dreimal durch. Am Ende muss das Teil nicht nur auf dem Plan schön ausschauen, sondern auch in der Realität. Es muss vor allem das können, was es verspricht. Und bei diesem Objekt geht es eben zusätzlich noch um das große Thema Akustik …
… die vermutlich den besonders komplexen Part in Ihrer Planung einnimmt, oder?
Genau. Und es hat uns tatsächlich ein bisschen überrascht, um wie viel komplexer das Projekt durch die hohen akustischen Anforderungen geworden ist. Sprechen wir über den großen Saal dieses Konzerthauses: Mit seinen 1.800 Sitzplätzen ist er genau an der Grenze, wo man noch ohne elektroakustische Maßnahmen, also künstliche Verstärker, auskommt. Aber wir haben eine Bühne, und wenn jemand auf dieser eine Nadel fallen lässt, soll man das auf jedem Sitzplatz des Saals gleich gut hören können. Jetzt kann man sich vorstellen, was das bedeutet …
Vermutlich eine ziemliche Herausforderung! Können Sie uns das ein bisschen erläutern?
Der Saal braucht etwa trotzdem eine Klimatisierung. Eine Lüftung, die man natürlich nicht hören darf. Deshalb werden wir hier eine so genannte ,Displacement Ventilation‘ installieren. Das bedeutet: Über riesige Öffnungen werden gigantische Luftmengen in den Saal hineingelassen. Die notwendige Luftzirkulation passiert dann aber nicht über Ventilatoren, sondern über die Wärme, die das Publikum abgibt. So entsteht ein natürlicher Kamineffekt, und die aufsteigende Luft wird am Ende ganz vorsichtig oben aus dem Saal entlassen. Außerdem ist jeder Oberfläche des Saals – von der Balustrade bis zum Sessel – ein Material mit der richtigen Dichte, dem richtigen Gewicht und der richtigen Neigung zugewiesen. An jedem Millimeter muss der Schall exakt richtig reflektiert oder absorbiert werden.
Aber wie kann man diese Details berechnen?
Das passiert in mehreren Etappen. Erst wird mithilfe von Spezialisten einmal das Grundlegende festgelegt. Dieses Rohgerüst wird dann verfeinert, bis man alles mit einem Computermodell prüfen kann. Weil es aber nicht möglich ist, ein Rechenmodell zu erstellen, dass 100%ig richtig ist, bauen wir jetzt gerade den gesamten Saal mit den richtigen Materialien im Maßstab 1:10 nach. Das ist so groß, dass man reingehen kann! Da werden dann Schallmessungen durchgeführt, die am Ende den Ausschlag für den Bau geben. Der letzte Schritt erfolgt dann mittels variabler Vorhänge, Textilien und Schilde, wenn der Saal fertig ist. Diese Objekte sind dann fürs Finetuning, das immer möglich sein muss. Wenn Sie also auch in anderen Sälen solche Elemente sehen: Da hat sich niemand verrechnet, das gehört ganz genau so (lacht).
Interview: Johannes Stühlinger
Fotos: Atelier Thomas Pucher & Michael Gries