Geht die Stadt der Zukunft baden?
Schwimmende Städte waren bisher ein Thema für Science Fiction-Autoren und gedankliche Spielwiesen visionärer Architekten. Im Rahmen der UN-Habitat New Urban Agenda könnten sie in naher Zukunft aber Realität werden.
Die Menschen haben schon immer gerne nahe am Wasser gebaut. Heute leben rund 40 Prozent der Weltbevölkerung weniger als 100 Kilometer von der Küste entfernt und zehn Prozent in Regionen, die höchstens vier Meter über dem Meeresspiegel liegen. Und das wird zum Problem, denn seit Jahrzehnten steigt der Pegel durch die Erderwärmung.
Meeresspiegel steigt
Wie neueste Daten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigen, beschleunigt sich dieser Prozess. Wurde 2007 noch ein Anstieg von 59 Zentimeter bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert, gingen die Experten auf Grund genauerer Daten 2013 schon von knapp einem Meter aus. Und in dem neuen Bericht, der diesen Herbst präsentiert wird, wird dieser Wert nochmals nach oben korrigiert werden.
Bedrohte Städte & Ballungsräume
Durch den anhaltenden Zuzug in die Großstädte wird Schätzungen zu Folge in den nächsten Jahrzehnten daher rund die Hälfte der Menschheit mehr oder weniger stark vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein. Deiche, Pumpstationen und Wehranlagen werden dann in etlichen Regionen nicht mehr ausreichen, um dem Wasser Einhalt zu gebieten. Und nachdem rund um viele Metropolen auch der Platz für weiteres Wachstum rar und teuer ist, lautet der Plan B: Ausweichen auf das Wasser!
90% der größten Städte werden bis 2050 vom steigenden Meeresspiegel betroffen sein. Das Meer ist unser Verhängnis, es kann aber auch die Zukunft sein.
Bjarke Ingels, Architekt
Grundsätzlich keine neue Idee. Tradition haben amphibische Siedlungen am Tonle Sap See in Kambodscha, in der Halong-Bucht in Vietnam, am Titicacasee in Peru, in den Niederlanden und natürlich in der Sience Fiction. Doch jetzt haben sie es auch auf die Urban Agenda des UN Siedlungswerkes geschafft und waren kürzlich Thema einer Experten-Konferenz im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, bei der gleich ein konkretes Konzept vorgestellt wurde.
Die Masterminds hinter der maritimen Metropole sind der dänische Architekt Bjarke Ingels, bekannt für visionäre Ideen und Projekte, und die Firma Oceanix des Unternehmer Marc Collins Chen aus Französisch Polynesien, einer Regionen, die von Untergang besonders bedroht ist. Wissenschaftliche Unterstützung kam vom Center for Ocean Engineering des MIT und den Forschern des Explorers Club, die sich in unterschiedlichen Disziplinen ökologischen Themen widmen.
Was ist Oceanix City?
Oceanix City besteht aus einzelnen, rund zwei Hektar großen Plattformen mit einem kompletten Ökosystem für 300 Menschen. Die Gebäude sind rund um eine zentrale Grünfläche, die landwirtschaftlich genutzt wird, angeordnet und maximal sieben Stockwerke hoch, um die Windanfälligkeit zu minimieren und den Schwerpunkt niedrig zu halten.
Sechs solcher Grätzel bilden ein Dorf für 1.650 Einwohner. Sechs dieser Einheiten, ergänzt um spezialisierte Plattformen, etwa für Landwirtschaft, Energieerzeugung oder Produktion, ergeben eine 10.000 Einwohner-Stadt. Verankert ist diese nicht nur physisch am Meeresgrund – sondern auch gedanklich im Sinne umfassender Nachhaltigkeit und ökologischer Verträglichkeit.
Grüne Technik für die blaue Stadt
„Die nötigen Technologien, um auf dem Wasser zu leben ohne das Ökosystem zu zu zerstören, existieren bereits“, sagt Collins. Entsprechend vereint Oceanix City die gesamte Palette grüner Entwicklungen – so etwa Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, nachwachsende Materialien in der Architektur, Biorock-Konstruktionen für den Unterbau der Plattformen und ausgeklügelte Kreislaufsysteme, die sicher stellen, das praktisch kein Abfall entsteht, der entsorgt werden müsste.
Auf modernen Komfort sollen die Einwohner von Oceanix City zwar nicht verzichten müssen, auf etliche andere Dinge aber schon. Besonders jene, die die Misere des Klimawandels zu einem guten Teil mit verursachen, wie zum Beispiel hoher Fleischkonsum. Auf dem Speiseplan stehen vor allem Obst und Gemüse sowie Meeresfrüchte und Algen. Schließlich sollen alle Nahrungsmittel direkt in der Stadt produziert werden.
Für Viehhaltung, die deutlich mehr Fläche benötigt als der Anbau von Obst und Gemüse, ist schlicht kein Platz. Statt dem gewohnten Ex-und-hopp-Konsum heißt es teilen, tauschen und wiederverwerten. Auf Nachhaltigkeit und Ökologie ist auch das Mobilitätskonzept ausgelegt, das sich im Wesentlichen in zwei Bereiche gliedert: sportlich – von schwimmen und zu Fuß gehen über Rad und Kajak fahren bis segeln – und unterschiedliche, auch autonome e-Fahrzeuge für den Transport von Personen und Waren an Land, auf und unter Wasser und in der Luft.
Schwimmende Städte dürfen kein Privileg der Reichen sein, sondern müssen für alle Regionen, die vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind, leistbar und verfügbar sein.
Marc Collins Chen, Gründer von Oceanix
All diese Techniken und Ideen haben im kleinen oder großen Stil schon bewiesen, dass sie funktionieren. Daher klingt das Konzept von Oceanix City durchaus realistisch. Vor der Umsetzung sind aber noch etliche Hürden zu meistern.
Einerseits die Finanzierung. Baukosten wurden bisher noch keine genannt, allerdings herrscht Einigkeit darüber, dass Oceanix City keine Arche für Reiche sein soll, sondern ein leistbares Siedlungskonzept für alle Menschen in bedrohten Küstenregionen. Andererseits müssen sich auch Technik und Architektur in der Praxis bewähren. Dazu soll möglichst bald ein erster, eher kleiner Prototyp gebaut und im East River in New York getestet werden.
Wir unterstützen die Idee einer nachhaltigen schwimmenden Stadt, um zu gewährleisten, dass die Entwicklungen in diesem neuen Bereich allen Menschen zu Gute kommt.
Maimunah Mohd Sharif, Stadtplanerin und Exekutivdirektorin von UN-Habitat
Erweist sich dieser in jeder Hinsicht als tragfähig, wäre das ein wichtiger Schritt. Nicht nur in Richtung von Siedlungen am Meer. Vielmehr hätte dieser Vorbildfunktion – für mehr Nachhaltigkeit an Land und eine Zukunft, in der schwimmende Städte vielleicht nicht mehr notwendig wären.
Aber das scheint im Moment wohl utopischer als die Vorstellung, auf dem Wasser zu wohnen.
Text: Britta Biron
Fotos: Oceanix