Frische Brise in Rotterdam
Europas größter Hafen erlebt einen Innovationsboom, der die gesamte niederländische Energiewende antreiben soll. Im Zuge des Aufschwungs nach der Pandemie wurde auch das ikonische World Port Center nachhaltig renoviert.
Der Port of Rotterdam ist der größte Hafen Europas; weltweit werden nur in neun asiatischen Anlagen größere Mengen an Containern umgeschlagen. Auch die Folgen der Corona-Pandemie scheinen ausgestanden zu sein: Mit 15,3 Millionen TEU-Containern, also den großen Zwanzig-Fuß-Standardcontainern, wurde im Vorjahr (mit einer Gesamtmenge von 468,7 Millionen Tonnen) sogar ein neuer Rekord aufgestellt. Geschäftsführer Allard Castelein durfte im Februar eine Dividende von 122,6 Millionen Euro an die Stadt Rotterdam und an den niederländischen Staat verkünden.
Investitionen in die Energiewende
Der Hafen, der seit Beginn des 14. Jahrhunderts genutzt und stetig ausgebaut wird, ist heute für Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu 24 Metern anfahrbar. Die Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität ist für Allard Castelein ein Auftrag, mutig in Richtung Zukunft zu segeln: „Was das Umschlagsvolumen betrifft, so hat der Hafen wieder das Niveau von vor der Corona-Krise erreicht. Wir investieren jetzt in den Bau zusätzlicher Terminalkapazitäten, um den Containersektor weiter zu fördern.“
Vor allem sei jetzt aber der richtige Zeitpunkt, Investitionen in neue Energien zu tätigen: „Wir erwarten in diesem Jahr Entscheidungen für verschiedene Energiewendeprojekte. Die laufenden Projekte der Unternehmen im Rotterdamer Hafengebiet könnten zusammengenommen immerhin 35 Prozent der niederländischen CO2-Reduktion bis 2030 ermöglichen.“
World Port Center – Prestigeobjekt und Wahrzeichen
Von der Aufbruchstimmung in der zweitgrößten Stadt der Niederlande ist auch das 123 Meter hohe World Port Center, das neunthöchste Gebäude des Landes, betroffen. Das ikonische Wahrzeichen Rotterdams wurde ursprünglich nach Plänen von Sir Norman Foster errichtet und im Jahr 2001 als Prestigeobjekt des Stadterneuerungsprogramms Kop van Zuid eröffnet.
Der 32 Stockwerke umfassende, halbkreisförmige Büroturm überblickt von seinem prominenten Standort an der westlichen Spitze des Wilhelmina-Piers nicht nur den umliegenden Hafen, sondern ganz Rotterdam. Doch speziell der Eingangsbereich galt schon längere Zeit als nicht mehr zweckgemäß. Und so wurde das Architekturbüro Mecanoo mit der Modernisierung des Erdgeschoßes und Teilen des ersten Stocks beauftragt. Ziel: gute Zugänglichkeit und verbesserte Verbindung nach außen, verstärkte soziale Interaktion und generell eine einladende Straßenebene.
Aktivitätsorientierter Raum
Dass ausgerechnet Mecanoo mit der Renovierung beauftragt wurde, ist kein Zufall: Das niederländische Unternehmen, das unter anderem das Natural History Museum in Abu Dhabi und die Martin Luther King Jr. Memorial Library in Washington DC geplant hat, zeichnete bereits für das benachbarte „Montevideo“ verantwortlich. Das 2005 eröffnete Wohnhaus überragt das World Port Center noch um zehn Meter (inklusive M-Symbol am Dach, das als Wetterfahne genutzt wird, sogar um fast 30 Meter) und ist das dritthöchste Gebäude der Niederlande.
Mecanoo wollte aus nutzerorientierter Perspektive auf 1.550 Quadratmetern „einen kohärenten, aktivitätsorientierten Raum mit klarer Identität“ schaffen. Wichtig in ihrem Konzept war eine Vielzahl variabel nutzbarer Räumlichkeiten für unterschiedliche formelle und informelle Aktivitäten – neben einem einladenden Lounge-Bereich mit freundlichem, halbrundem Empfangsschalter gibt es seit dem Vorjahr verschiedene Sitzungszimmer, eine Bar und Veranstaltungsflächen.
Identitätsstiftendes Design
Mecanoos Pläne nutzen den Raum entlang der Fassade für aussichtsreiche Sitzgelegenheiten. Außerdem platzieren sie alle relevanten Einrichtungen in der Nähe des Gebäudekerns – mit verbesserten Sichtachsen und Verbindungen zwischen dem Innen und dem Außen. Identitätsstiftende Designelemente wie das hinterleuchtete „World Port Center Rotterdam“-Logo und der luftige Vorhang über der Bar sind von außen sichtbar.
Verschiedene Sitzgruppierungen verteilt über die gesamte Lobby, wo es auch einen neu gestalteten Bereich für Schließfächer und einen neuen Abgang zur Garage gibt, sollen die Kommunikation zwischen Büroangestellten und Besuchern erleichtern. Gleichzeitig erlaubt die neue Anordnung dieser Meetingflächen einen verstärkten Einfall von Tageslicht.
Mehr Grün am Hafen
Eine neue Wendeltreppe verbindet die Lobby mit dem ersten Stock und bietet einen malerischen Blick aufs Wasser. Eine großzügige Terrasse, die zur Nieuwe Maas hin abfällt, bildet eine beliebte Erweiterung des Restaurants und jede Menge Platz für Veranstaltungen, von Vorträgen bis zu Partys.
Jedes Projekt entspricht den Bedürfnissen der Nutzer, dem physischen Kontext, dem Klima und der Kultur.
Mecanoo
Besonderer Wert wurde bei der Gestaltung auf die Begrünung der Lobby gelegt: Verschiedene Arten von Pflanzen in unterschiedlichen Gefäßen, freistehend oder ins Design integriert, bringen die Natur ins Innere des Hafenbetriebs und sorgen für eine frische Atmosphäre. „Diese Begrünung im Innen- und Außenbereich fördert nicht nur die biologische Vielfalt, sondern verbessert auch die Akustik.“
Design, das alle Sinne berührt
Mecanoo wurde 1984 im niederländischen Delft gegründet und umfasst heute ein multidisziplinäres Team von Experten – darunter Architekten, Innenarchitekten, Stadtplaner, Landschaftsplaner und Bautechniker – aus mehr als 25 Ländern. Die Philosophie fußt auf vier Pfeilern, die im englischen schön als „People, Place, Purpose, Poetry“ zusammengefasst werden: „Jedes Projekt entspricht den Bedürfnissen der Nutzer, dem physischen Kontext, dem Klima und der Kultur. Und dem aktuellen und prognostizierten Potenzial der Funktion eines Gebäudes, um Design zu schaffen, das alle Sinne berührt.“
Nachhaltigkeit, heißt es bei Mecanoo, „ist ein inhärenter Aspekt unseres Entwurfsansatzes. Er spiegelt sich in dem Bestreben wider, in einer Welt der Globalisierung eine neue Identität zu schaffen, die zu inspirierenden und authentischen Orten führt, die für Menschen und Gemeinschaften von sozialer Bedeutung sind. Wir bauen Räume, die für den Ort relevant sind und schaffen Verbindungen, die einem Gebäude Sinn geben.“
Thermischer und visueller Komfort
Im World Port Center Rotterdam soll ein sicheres, integratives und komfortables Umfeld für gesundes Arbeiten sorgen. Da das Wohlbefinden aller Nutzer des insgesamt 35.500 Quadratmeter Bürofläche umfassenden Hochhauses im Vordergrund steht, streben die Besitzer – ein internationales Joint Venture der Unifore und Marathon Vermögensverwaltung – eine WELL-Zertifizierung an. Dieses Bewertungssystem umfasst unter anderem Raumluftqualität, Wasserqualität, aber auch Raum- und Bauakustik sowie thermischen und visuellen Komfort der Innenräume.
Letzteres soll durch natürliche, schallabsorbierende Materialen gelingen. Um das nachhaltige Wohlbefinden zu fördern, wurden in den renovierten Bereichen vermehrt Wasserspender installiert, um den Genuss von Trinkwasser zu fördern und gleichzeitig den Gebrauch von Plastikflaschen zu minimieren.
Ressourcen schonen
Hinzu kommt, dass bei den Renovierungsarbeiten prinzipiell versucht wurde, Ressourcen zu schonen: „Wir haben viele der vorhandenen Innenelemente und Oberflächen wiederverwendet, etwa die Decke, den Bodenbelag, die Belüftung und die Konvektoren für die Heizung des Raums.“ Außerdem wurden zertifiziertes Holz und weitere pflegeleichte Materialien eingesetzt, die selbst erneut genutzt werden könnten.
In der Aufzugslobby sorgt eine Verkleidung aus gehämmerten Metallpaneelen in Wasserrippeloptik für einen direkten architektonischen Bezug zum umgebenden Hafen. Doch den kann man ohnehin am besten bewundern, indem man vor die Tür tritt und die Nase in den Wind hält. Dort weht er dann, der Duft der großen, weiten Welt.
Text: Hannes Kropik
Fotos: Mecanoo