Friedensprojekt „Abrahamic Family House“
Das „Abrahamic Family House“ von Star-Architekt Sir David Adjayes vereint eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge in einer außergewöhnlichen Anlage. Ganz im Sinne eines hochrangigen, interkonfessionellen Komitees, das Frieden zwischen Nationalitäten und Glaubensrichtungen stiften will. 2022 soll der Neubau in Abu Dhabi eröffnet werden.
Was das Higher Committee of Human Fraternity (Höheres Komitee für menschliche Brüderlichkeit) in New York präsentierte, hat starken Symbolcharakter. Schließlich handelt es sich um den Entwurf für ein interkonfessionelles Gebäude, das nun auf Saadiyat Island in Abu Dhabi errichtet wird.
Kirche, Moschee und Synagoge
Der Plan zu diesem, „Abrahamic Family House“ genannten Projekt stammt von keinem Geringeren als Star-Architekt Sir David Adjaye. Und er ist in der Tat bemerkenswert: Das neue Zentrum wird eine Kirche, eine Moschee, eine Synagoge und einen weltlichen Besucherbereich umfassen. Drei Weltreligionen vereint – in einem architektonisch faszinierenden Bauwerk.
„Die Form ist eine Übersetzung aus den drei Glaubensrichtungen. Wir definieren das, was ähnlich ist, im Gegensatz zu den Unterschieden. Und wir nutzen die Kraft dieser Offenbarung, um die Form zu erstellen“, erklärt Sir David Adjaye das Konzept. Durch sein Design soll das Abrahamic Family House die gemeinsamen Werte der Religionen repräsentieren und zur inspirierenden Plattform werden, die Dialog und gegenseitiges Verständnis fördert.
Bauwerk repräsentiert Vision
Die Vision eines solchen Abrahamic Family House entstand nach einem Papstbesuch in Abu Dhabi, bei dem Franziskus und Großimam Ahmed Al-Tayyeb im Februar 2019 ein historisches Dokument signierten. Das darin festgeschriebene, gemeinsame Ziel: Die Förderung von Brüderlichkeit, Verständnis und gegenseitigem Respekt zwischen allen Nationalitäten und Glaubensrichtungen.
Ein gewichtiges Signal, das zur Bildung des Higher Committee of Human Fraternity führte. Dieses besteht aus hochrangigen Vertretern des katholischen, muslimischen und jüdischen Glaubens. Das Gremium bemüht sich nun um die Umsetzung des Dokuments. Der Auftrag zum Neubau in Abu Dhabi ist eine seiner ersten Initiativen.
Raum für zukünftige Generationen
Adjaye Associates‘ Konzept sei nach einem strengen Prozess ausgewählt worden, kommentierte das Komitee seine Entscheidung. Architekten aus aller Welt, mit unterschiedlichem Hintergrund und Glauben, hatten am entsprechenden Wettbewerb teilgenommen.
Sir Adjayes zeitgenössischer Entwurf habe den Zuschlag unter anderem erhalten, weil er sowohl separate Anbetungsräume für jede Religion, als auch gemeinsamen Raum für Zusammenarbeit und informelle Zusammenkunft umfasst: „Als modernes Konzept spiegelt das Design auch das Ziel wider, einen dauerhaften Raum für zukünftige Generationen zu schaffen“.
Im Zuge der Arbeiten am Entwurf des Abrahamic Family House habe man einen neuen Blick auf die Glaubensrichtungen gewonnen, berichtet Sir David Adjaye: „Ich habe diese drei Religionen stets als sehr unterschiedlich betrachtet. Das ist es, was zu glauben wir gelernt haben. Doch dann entdeckt man diese unglaublichen Verbindungen und Überschneidungen“.
Drei Würfel, ein Sockel
Ein Lernprozess, der sich nun im Design wiederfinde, schildert der renommierte Architekt: „Wir wurden zu diesen kraftvollen plutonischen Formen mit klarer Geometrie hingeführt. Drei Würfel, die auf einem Sockel ruhen. Obwohl nicht ausgerichtet, sind sie unterschiedlich orientiert“.
Durch die Kraft der Silhouette werde die Geschichte sichtbar, die mit Gemeinsamkeit und Ausdruck der drei Formen zusammenhänge. Jeder Teil werde mit Kolonnaden und Gewölben illustriert, die „sein heiliges Wesen“ repräsentieren.
Die Strukturen des Abrahamic Family House sollen einen sicheren Raum schaffen. In jedem der Gotteshäuser werden Besucher die Möglichkeit haben, Gottesdienste zu beobachten, Schriften zu lesen und Rituale mitzuerleben.
Ich glaube, Architektur sollte daran arbeiten, die Welt zu schaffen, in der wir leben wollen. Eine Welt der Toleranz, Offenheit und ständigen Weiterentwicklung
Sir David Adjaye, Gründer und Geschäftsführer von Adjaye Associates
Der vierte Bereich indes wird keiner bestimmten Religion zugeordnet. Er soll als Zentrum für alle Menschen guten Willens dienen, die sich dort zu einer Einheit zusammenzuschließen.
„Unsere Entdeckungsreise setzte sich mit dem öffentlichen Raum fort, wo sich die Unterschiede aufheben. Ich habe den Garten als kraftvolle Metapher gesehen. Diesen sicheren Bereich, in dem sich Gemeinschaft, Verbundenheit und Höflichkeit verbinden“, erklärt Adjaye.
„Abrahamic Family“ – ohne Barrieren
Der genannte Bereich befindet sich zwischen den drei Kammern der Glaubensrichtungen. Wie ein gemeinsames Podium ermöglicht er die Interaktion mit jedem Raum. Sir David Adjaye: „Es gibt hier keine präventive Schwelle. So wird das Gefühl des Nicht-Einbezogen-Seins aufgelöst. Und das Feiern der kollektiven Geschichte und Identität wird gefördert.“
Die Fertigstellung des Neubaus ist für 2022 geplant. Dann sollen im Abrahamic Family House auch Bildungs- und Veranstaltungsprogramme geboten werden, die Verständnis, Frieden und geschwisterliche Koexistenz von Nationalitäten, Kulturen und Religionen weltweit fördern.
Ein Ansinnen, das auch den Idealen des Architekten entspricht: „Ich glaube, Architektur sollte daran arbeiten, die Welt zu schaffen, in der wir leben wollen. Eine Welt der Toleranz, Offenheit und ständigen Weiterentwicklung“.
Als Architekt möchte ich ein Gebäude schaffen, das den Begriff der hierarchischen Differenz auflöst. Es sollte Universalität und Totalität repräsentieren – etwas Höheres, das das menschliche Leben bereichert
Sir David Adjaye, Gründer und Geschäftsführer von Adjaye Associates
David Adjaye hat viel Erfahrung mit unterschiedlichen Kulturen: Die Eltern des mit dem „Order of the British Empire“ ausgezeichneten Firmengründers stammen aus Ghana. Er selbst wuchs in Kairo und Saudi-Arabien auf und studierte in London, wo er heute lebt. Sein Architekturbüro verfügt über Niederlassungen in London, Accra und New York.
Adjayes Projektliste umfasst spannende Projekte rund um den Globus. So war Adjaye Associates am Neubau des Smithsonian National Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur in Washington DC beteiligt. Auch die Moskauer SKOLKOVO Managementschule findet sich im Portfolio. Ebenso, wie das Friedensnobelpreis-Zentrum in Oslo.
Aktuelle Projekte sind etwa IFC-Büros in Dakar (Senegal), die Linda Pace Foundation-Galerie in San Antonio (Texas) und ein Kulturcampus in Tel Aviv.
Architektur für Weltfrieden
Mit dem Abrahamic Family House beweist sich Adjaye als Visionär besonderer Art. Während andere Top-Architekten ihre Projekte auf Nachhaltigkeit oder menschenfreundliche Stadtverdichtung konzentrieren, verfolgt der Neubau in Abu Dhabi ein nicht minder wichtiges Ziel. Eines, das aufs Erste naiv klingen mag, jedoch auf bessere Zukunft hoffen lässt: Weltfrieden.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Adjaye Associates