„Fotografiska“ erobert New York
Die US-Außenstelle des berühmten Stockholmer „Fotografiska“ Fotomuseums brilliert nicht nur mit spannenden Ausstellungen. Ihr Sitz in einem kunstvoll adaptierten, historischen New Yorker Stadthaus ist ein gestalterisches Meisterstück – und ein neuer Hotspot für Kreative und Genießer.
Vergleichbares hat New York lang nicht mehr erlebt. Schon klar, dass auch neue Kulturzentren wie „The Shed“ eine Menge Aufsehen erregten. Doch die erst im vergangenen Winter eröffnete US-Dependance des berühmten Stockholmer Fotografiska ist ein ganz anderes Kaliber. Schließlich residiert das moderne Fotomuseum in einem zwischen 1892 und 1894 errichteten Stadthaus. Und dieses wurde eigens für den Zweck umgebaut und adaptiert, ohne den historischen Charakter seiner Außenansicht zu verlieren. Anders gesagt: Außen würdig bewahrtes Gestern, innen Hi-Tech und kreatives Morgen.
Historisches Haus, moderne Kunst
Der neue US-Außenposten des 2010 gegründeten Fotografiska-Museums thront in Manhattan. Genauer gesagt: 281 Park Ave South und 22nd Street im Flatiron District. Hier hat das New Yorker Architekturbüro Cetra Ruddy die sechs Etagen des alten, als Wahrzeichen verehrten Bauwerks einer gründlichen Modernisierung unterzogen. In enger Zusammenarbeit mit den Auftraggebern Jan und Per Broman, den Gründern des erfolgreichen schwedischen Fotografiska.
Ziel war es, ein attraktives Zentrum für wechselnde Ausstellungen zu schaffen, das zu Kulturgenuss, Kommunikation und Unterhaltung einlädt. Zugleich sollte das historische Haus mit neuem Leben erfüllt und wieder für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden. Obendrein wollte man sich natürlich mit Qualität und Look anderer Fotografiska-Dependancen messen können. Schließlich wurde 2019 bereits eine in Tallinn eröffnet. Und weitere sollen bald Londons Whitechapel High Street sowie das Berliner Tacheles-Areal bereichern.
Innovativ und verlockend
Dass alle Vorgaben erfüllt wurden, liegt vor allem am gut durchdachten, innovativen Konzept der Cetra Ruddy Architekten. Schade, dass das brandneue Museum wegen der Corona-Pandemie nicht lange offen halten konnte. Doch die Betreiber bemühen sich, die Zwangspause durch interessante Präsentationen auf Instagram und Facebook zu überbrücken. Und diese machen große Lust darauf, das New Yorker Fotografiska „live“ zu erleben.
Im Erdgeschoss locken ein Café, eine Wein-Bar und ein Kunstbuchladen mit gemütlichen Lese- und Sitz-Ecken Besucher. Eine ansprechende Vorschau informiert über alles, was das Haus zu bieten hat. Denn die Lobby wurde als zentraler Knotenpunkt konzipiert, der es den Gästen leichter macht, das vielfältige Programm ohne Irrwege zu genießen.
Einladendes Design, flexibles Raumkonzept
Große Wandgrafiken säumen die Haupttreppe. Sie wirken wie eine Einladung, die darüber liegenden Galerien zu besuchen. Zudem dient der Aufgang selbst als vertikale Erweiterung der Ausstellungsflächen der Stockwerke drei bis fünf. Diese sind quasi das „Herz“ des Museums. Ganz zeitgenössischer Fotografie gewidmet, beherbergten sie zur Eröffnung etwa Präsentationen der Werke einschlägiger Künstler wie Ellen von Unwerth, Adi Nes, Anastasia Taylor-Lind, Tawny Chatmon und Helene Schmitz.
Die Galerie-Etagen sind als Reihe kleinerer, ineinandergreifender Räume konzipiert. Dadurch haben die Fotografiska-Kuratoren die Möglichkeit, die einzelnen Bereiche bedarfsgerecht flexibel zu gestalten. Sichtkorridore zwischen den Einheiten sorgen beim Wandeln durch die verschiedenen Schauräume für Transparenz.
Spezielle Licht-Strategie
Als Berater bei der aufwändigen Restauration fungierte das renommierte Büro Higgins Quasebarth & Partners. Fürs optimale Lichtkonzept kooperierten die CetraRuddy Architekten mit Kugler Ning Lighting Design. Um störende Lichteinflüsse auszublenden, wurden neue Innenwände installiert. Kontrollierte, gezielt eingesetzte künstliche Beleuchtung hebt die Kunstwerke in den verdunkelten Ausstellungsräumen dramatisch hervor.
Die Rückseiten der neuen Innenwände sind von der Straße aus durch die ikonischen Fensteröffnungen des Gebäudes sichtbar. Und sie wurden kreativ genützt: In Projektionsflächen verwandelt, machen sie die Fassade zur Leinwand für die Galerien. Jeder, der am Fotografiska vorübergeht, bekommt durch synchronisierte Projektionen Kunst zu sehen – und einen Eindruck davon, was im Inneren des beeindruckenden Gebäudes geboten wird.
Der Dachboden im sechsten Stock wurde umfunktioniert und erweitert, um verborgene architektonische Elemente hervorzuheben. Durch die Entfernung der niedrigen, mehr als ein Jahrhundert alten Decke, traten ursprüngliche Details des ehrwürdigen Hauses zutage. So wurden etwa gusseiserne Balken und Terrakottafliesen freigelegt, die das Spitzdach des Gebäudes stützten.
In dieser außergewöhnlichen Dachetage befindet sich jetzt ein gemütlicher, flexibler Raum. Hier sollen öffentliche und private Events, Konzerte und Vorträge stattfinden.
Ein besonderes Juwel aus frühen Zeiten, das ebenfalls im Zug der Renovierungsarbeiten entdeckt wurde, ist ein Buntglasfenster aus dem 19. Jahrhundert. Bisher durch eine Haustechnikanlage verdeckt, ziert es nun die Bar des Café-Restaurants „Verōnika“ im zweiten Stock des Fotografiska Museums.
Das Lokal avancierte rasch zum beliebten Treffpunkt für New Yorker Kunst- und Kulinarik-Fans. Es reanimiert europäischen Jahrhundertwende-Stil auf charmante Art. Geführt wird es vom bekannten US-Gastronomen und Unternehmer Stephen Starr.
Zusatznutzen fürs Fotografiska
Für das romantische Interieur sorgte das gefragte Studio Roman and Williams. Harmonisch ins Gesamtbild des neuen Museums im alten Gemäuer eingefügt, zieht es zusätzliches Publikum ins – wie sein Stockholmer Stammhaus privat finanzierte – Fotografiska. Und wer dort all die dargebotene Kunst entdecken möchte, wird eine kulinarische Erholungspause zwischendurch vermutlich nötig haben.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: David Sundberg / Esto