Ein wohnliches Möbelstück
Eigentlich wird die sogenannte Bugholz-Technik dazu verwendet, geschwungene Sessel oder Bänke zu fertigen. Jetzt haben kanadische Architekten damit gar ein ganzes Haus gebaut.
Was muss das für ein Gefühl gewesen sein! Als Michael Thonet im Jahr 1836 nach jahrelanger Tüftelei endlich vor seinem ersten aus gebogenen Vollholzteilen gezimmerten Stuhl stand. Endlich!
Dabei war dem Visionär damals vermutlich keineswegs klar, dass die von ihm entwickelte Methode hartes Holz mittels Wasserdampf in gebogene Form zu bringen, die Möbelwelt revolutionieren würde. Bis heute spielt die so genannte Bugholztechnik im Interior-Design eine große Rolle. Aber auch im Instrumentenbau hat sie sich als relevant erwiesen. Und nun sieht es so aus, als würde die Erfindung des Herrn Thonet gar die Welt der Architektur aufmischen.
Fold House, ganz nach Thonets Geschmack
In der Tat verstehen moderne Architekten Holz nicht mehr bloß als Werkstoff, sondern immer öfter auch als großartigen Baustoff. „Holz kann im Hausbau mit Beton längst mithalten“, sind sich Experten inzwischen einig. Und so ist es kein Wunder, dass Holz inzwischen auch die Kreativität findiger Architekten anregt.
Das beste Beispiel wurde kürzlich unter dem Namen Fold House im kanadischen Ontario fertiggestellt. Ein Haus, das vorwiegend aus Stahl und Holz errichtet wurde. Das wäre jetzt keine Sensation, hätten die Architekten des Studios Partisans nicht statt gerade Holzbalken und geschwungene Holzflächen in großem Stil eingesetzt. Die gesamte spektakuläre Dachkonstruktion wurde aus gebogenem Eichenholz errichtet!
Um eben diese gigantischen gebogenen Holzteile zu fertigen, bediente man sich der einst von Herrn Thonet entwickelten Biegetechnik. „Wir haben die Dampfkompressionstechnik einfach aus der kleinen Werkstatt in eine große Dimension übersetzt“, so das Studio.
Nasses Holz ist schwer zu vermessen
Jetzt klingt das auf den ersten Blick ja relativ einfach und logisch. Doch der Teufel steckt bei so einem Unterfangen freilich im Detail, wie die Architekten bestätigen: „Durch diesen Prozess schrumpfen die Bretter auf bis zu 25 Prozent der ursprünglichen Länge!“ Ein exaktes Arbeiten war also nur sehr bedingt möglich.
Die Lösung: „Wir haben das Holz mit einem noch relativ hohen Feuchtigkeitsgehalt zur Baustelle geliefert und erst dort final in Form gebracht und verbaut trocknen lassen“, heißt es. Dazu wurden für jedes Stück eigene überdimensionale Sperrholzrahmen gebaut, die das feuchte Weißeichenholz in die für den jeweiligen Abschnitt notwendige Form zwangen.
Erst wenn das eine Teil fertig getrocknet war, wurde das nächste angedockt. So arbeiteten sich die Architekten Schritt für Schritt voran und konnten so mit jedem neuen Bauteil unerwartete Maß-Abweichungen der bereits verbauten Elemente ausgleichen.
Jetzt stellt sich aber natürlich auch die Frage, warum eigentlich so viel Aufwand getrieben wurde, um ein geschwungenes Holzdach zu errichten. Die Antwort liegt freilich in der Aufgabenstellung des Auftraggebers verborgen. Dieser wünschte sich auf seinem großen Anwesen ein Gäste- und Poolhaus, das sich möglichst unauffällig in die Landschaft einbettet (ähnlich dem „Haus im Wald„). Deshalb war von vornherein schon einmal klar, dass mit möglichst viel natürlichen Baustoffen gearbeitet werden sollte.
3D-Scans als wichtige Grundlage
Der Entschluss des geschwungenen Holzdachs basiert jedoch vor allem auch auf den 3D-Scans, die im Vorfeld angefertigt wurden. Damit sollte das Gelände möglichst exakt vermessen werden, um das geplante Objekt wie ein Puzzleteil einfügen zu können. Aus eben diesem Gedankengang, Fold House förmlich ich den vorliegenden Hang einzubetten, entstand schließlich die Bugholzdach-Variante. Für diese waren am Ende dann die 3D-Scans zudem wie gemacht. „So konnten wir besonders exakte Sperrholzformen anfertigen“, sagen die Architekten.
Nur logisch, dass auch die Innenräume des Gästehauses mit seinen drei Schlafzimmern, der Wohnküche und einem Wohnraum vorwiegend mit Holz ausgestattet sind. Die Bäder hingegen bilden mit glänzenden quadratischen Fliesen in einem leuchtenden Jadegrün einen schönen Spannungsbogen. Wirklich spektakulär wird es aber, wenn man ins feuchte Nass des Pools springt. Dann schwimmt man nämlich in spiegelglattem Wasser unter hölzernen Wellen, die nur durch die Zufuhr von Wasser entstehen konnten. Und das hat schon etwas Magisches!
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Partisans Architects