Erinnerungen an die Zukunft
Am ehemaligen Regenrückhaltebecken des Berliner Flughafens Tempelhof hat sich die mehrfach prämierte Floating University angesiedelt. Ein archaisch anmutender Pfahlbau mit futuristischen Leuchtkörpern, wo akute Themen der Stadtplanung neu verhandelt werden.
Zwei Dinge sollte man über die Floating University vorausschicken: Sie ist weder eine Universität, noch ist sie „floating“, also eine schwimmende Anlage. Ersteres deshalb, weil es sich um keine offizielle, staatliche Institution handelt, und ihr deshalb von offizieller Seite die Bezeichnung „Universität“ untersagt wurde. Zweiteres, weil der Teich, auf dem sie gebaut ist, bisweilen gar kein Wasser führt. Es handelt sich nämlich um den Anfang der 1930er-Jahre angelegten Wasserablauf des Flughafens Tempelhof, der diesen vor Überschwemmung schützen sollte. Ein Betonbecken, das fast ein Jahrhundert lang fernab der öffentlichen Wahrnehmung existierte. Von Schilf und Sträuchern umwuchert, hat sich aus dem kontaminierten Becken mit der Zeit ein renaturiertes Ökosystem entwickelt.
Radikales, spielerisches Konzept
Nachdem sich die Berlinerinnen und Berliner in einem Referendum gegen die Neubebauung des stillgelegten Flughafenareals aussprachen, wurde Tempelhof in einen Park verwandelt. Es entstand einer der größten öffentlichen Räume Europas, und der Evaluierung entdeckte man das einstige Regenwasserauffangbecken wieder. Das Berliner Architektenkollektiv Raumlabor entwickelte hier gemeinsam mit anderen Akteuren ein radikales und spielerisches Raumexperiment, das sich keiner gängigen Typologie zuordnen lässt.
Die Floating University ist ein innerstädtisches Offshore-Labor für Visionen urbaner Praxis. Ein Experiment zum gemeinsamen Lernen und Vernetzen.
Raumlabor Berlin, Architekten-Kollektiv
Halb Naturbeobachtungsstation, halb Freiluft-Schule. Halb Kunstraum, halb Sundowner-Bar mit Strand-Feeling. Die Vision von Architekten und der Initiative Floating e.V. liest sich wie folgt: „Ein innerstädtisches Offshore-Labor für Visionen urbaner Praxis. Ein Experiment zum gemeinsamen Lernen und Vernetzen. Ein Versuchsaufbau zum Hinterfragen städtischer Routinen.“
Es sollte ein niederschwelliger Ort sein, der allen offen steht. Während der Besuch einer anerkannten Universität an Zulassung und Studiengebühren gebunden ist, wollte man diese Grenzen ganz bewusst sprengen.
Saisonale Holzstrukturen
Konkret handelt es sich um eine saisonal wechselnde Konstellation an offenen Holzstrukturen mit aufblasbaren Dächern. In seiner ersten Edition im Jahr 2018 gab es Lernräume und Werkstätten, ein Auditorium und einen Laborturm mit einem DIY-Wasserfiltrationssystem. Entstanden in einem kollaborativen Bauprozess, an dem sich verschiedene europäische Universitäten beteiligten, sollte der Ort auch dazu dienen, neue Unterrichtsformen auszuprobieren.
Die Floating University ändert ihre Form und Erscheinung von Saison zu Saison. Vor dem Winter baut man die temporären Strukturen jeweils ab, um sie im Frühjahr immer wieder neu entstehen zu lassen. Je nachdem, worauf der inhaltliche Fokus gelegt wird, und wie der budgetäre Rahmen aussieht, wird das Konzept entsprechend angepasst.
Partizipation und kollektive Verantwortung
Das Projekt schaffte es auf die Shortlist des Mies van der Rohe-Awards 2024. Hervorgehoben wurde unter anderem das naturbasierte Filtersystem, das Teil der gebauten Struktur ist. „Anstatt das Regenwasser ungefiltert in die Spree zu leiten, wie dies seit gut 100 Jahren der Fall war, kann es auf diese Weise wiederverwendet werden und zur Bewässerung der von Dürre betroffenen örtlichen Parks und Friedhöfe dienen“, heißt es auf der Shortlist-Seite des renommierten europäischen Architekturpreises.
Anstatt das Regenwasser ungefiltert in die Spree zu leiten, wie dies seit gut 100 Jahren der Fall war, kann es auf diese Weise wiederverwendet werden.
Shortlist Mies van der Rohe Award 2024
Bereits 2021 erfuhr das Projekt eine besondere Ehrung, als die Jury der Architekturbiennale ihm den Goldenen Löwen für den besten Beitrag verlieh. Die Jury lobte den „inspirierenden, kollaborativen Designansatz, der Partizipation, Erneuerung und kollektive Verantwortung weckt“.
Science Fiction am Teich
Bei der Floating University handelt es sich um eine Art von regenerativer Architektur, die dem Zyklus der Natur folgt. Anstatt aus dem Flughafen-Teich einen trivialen Paradiesgarten zu machen, haben die Akteure hier nichts beschönigt. Mal spiegelt der Teich malerisch die Landschaft, mal wird er zur mahnenden Schlammgrube, die den Klimawandel sichtbar macht.
Der Genius Loci, also die Besonderheit des Ortes, ist hier ein einverleibtes Element des temporären Ensembles. Die Durchlässigkeit und Leichtigkeit der Strukturen sorgen dafür, dass die Grenzen zwischen Architektur und Natur fließend sind. Auch wenn es sich um keine schwimmende Konstruktion handelt, hat die Beschreibung „Floating“ im Namen am Ende also doch ihre Berechtigung. Die gerüstartigen Strukturen ähneln mehr den altertümlichen Pfahlbauten und vermitteln somit etwas Archaisches.
Gleichzeitig scheinen die aufblasbaren Dächer und Korpusse, die nachts zu Leuchtkörpern werden, wie Raumschiffe aus der fernen Zukunft. Gestern trifft hier quasi auf Morgen. Der einst übersehene Ort wurde durch die Architektur zu einer Plattform, auf der akute Themen der Stadtplanung neu verhandelt werden. Und weckt dabei Erinnerungen an die Zukunft.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Viktoria Tamaschko, Daniel Seiffert / Raumlabor Berlin