Darf´s ein bisserl mehr sein?
Das Lokal des legendären Gasthaus Figlmüller in der Wiener Bäckerstraße bietet jetzt mehr Platz. Gleichzeitig hat BWM Architekten dem Standort eine „Einser Panier” verpasst.
Das traditionelle Wiener Gasthaus an sich ist eine Institution. Und der Figlmüller gilt als Hort des originalen Wiener Schnitzels. Daher ist der Figlmüller sowas wie eine Institution mit Tradition zum Quadrat.
Das Stammhaus in der Wollzeile im ersten Wiener Gemeindebezirk existiert immerhin bereits seit 1905. Seit 2001 wird das zweite klassische Figlmüller Restaurant in der Bäckerstraße 6, ebenfalls in 1010 Wien, betrieben.
Bierig mitten in den Weinbergen
In vierter Generation bewirten die Figlmüllers ausländische Gäste und Einheimische mit Wiener Küche und feinen Hauerweinen. Wobei: Neben den zwei Restaurants in der Innenstadt findet man im 19. Wiener Bezirk das Figls. Beim Betreten dieses Lokals fällt der Blick sofort auf die riesigen Kupferkessel hinter der Schank. Kein Zweifel: Hier sprudelt inmitten der Grinzinger Weinberge als Alternative Gerstensaft. Es gibt offene Biersorten frisch vom Fass sowie ein Dutzend exklusive Craft Biere aus der Flasche.
Aber zurück zur Bäckerstraße. Die Figlmüllers haben dem Standort eine „Einser Panier” verpassen lassen. Für alle der österreichischen Mundart nicht mächtigen: Das hat nichts mit der knusprigen, goldenen Hülle des Schnitzels zu tun – damit umschreibt der Wiener bildlich-plastisch festliche Kleidung.
BWM entwarf neue Panier
Mit der Neugestaltung haben die Figlmüllers das multinationale, europaweit tätige Büro BWM Architekten betraut. 2004 gegründet und von Erich Bernard, Daniela Walten, Johann Moser und Markus Kaplan geführt, versteht sich BWM als Büro für Architektur, Interior Design und Kultur sowie Hospitality.
Projekte von BWM umfassen aktuell u.a. die Wohnbauprojekte Mautner-Markhof-Gasse 94, Mollardgasse 54 und Am Modenapark 1-2 sowie das Hotel-Ensemble Straubingerplatz und das Hotel Pauls (beide mit Fertigstellungsjahr 2022).
Das Figlmüller in der Bäckerstrasse 6 ist aber nicht nur neugestaltet, es ist auch gleich um eine Hausnummer größer. Damit finden nun auf insgesamt 450 Quadratmetern an die 250 Menschen Platz.
Figlmüller jetzt mit Galerie
Zudem haben die Neugestalter eine Galerie eingezogen – der Doppelstock erstreckt sich über beide Hausnummern. Die Verbindung hat man auch auf der Fassade farblich nachvollzogen.
So wie sich Kochgewohnheiten weiterentwickeln, aber in der Geschichte verwurzelt bleiben, so haben auch die Architekten von BWM versucht, zwischen Tradition und Innovation, Altem und Neuem zu vermitteln. Authentisches Wiener Flair sollte bleiben, die Erwartungen der Gäste an zeitgemäßes Feeling aber erfüllt werden. Den Gast erwarten (für den Gaumen) wie gehabt Schnitzel, Tafelspitz & Co. und (für’s Auge) klassische Wiener Materialien gepaart mit modernen Elementen.
Ein jedes alteingesessenes Wirtshaus ist eine Art Patchwork, hier allerdings wurde das Patchwork zum Konzept erhoben.
BWM-Architekt Erich Bernard
Eigene Licht-Lösung
Als klassische Wiener Wirtshaus-Materialen identifiziert der gelernte Österreicher Holz und Fliesen. Diese Elemente wurden neu interpretiert und stimmig mit modernen vereint: So hat BWM die Lambris, die für Wiener Wirtshäuser typische, halbhohe und hölzerne Wandvertäfelung beibehalten. Deren Profilierung hat nun aber einen frischen Touch.
Lichtplaner Christian Ploderer hat Spezialleuchten für das Figlmüller entwickelt, deren Gestell aus brüniertem Messing und Stoffschirmen mit gebeiztem Wiener Geflecht bespannt ist, wie man es von den berühmten Stühlen her kennt.
Im Bereich der Schank ergänzt nun roter Adneter Marmor den bestehende Steinboden. Die neuen Räume betritt man nun auf geöltem Fischgrät-Parkett, sie sind mit Feldern aus Triestiner Aurisina-Marmor durchzoniert.
Ein gern in Traditions-Gasthäusern in Wien verwendeter Farbton ist Grün – diese Farbschattierung wurde dezent beim „Figlmüller reloaded” eingesetzt, um dem Raum Tiefe zu verleihen.
Neugeschaffene Durchbrüche verbinden den neuen und den ursprünglichen Teil des Gasthauses. Geschichte und Marke Figlmüller seien stets berücksichtigt worden, heißt es bei BWM.
Uriges und Neues
Bei der Bestuhlung entschied man sich für gebrauchte, urige Wirtshausstühle, die frisch gebeizt und lackiert wurden. Gänzlich neu sind die beiden Schankbereiche, die mit warmem Kirschholz und mit dunkelgrünen Fliesen verkleidet wurden.
Ob man nun selbst in der „Einser Panier” beim „Figlmüller reloaded” aufkreuzt oder nicht: Wer allzu „paniert ist” dem werden die gelungenen neuen Details womöglich doppelt erscheinen.
Text: Linda Benkö
Fotos: BWM Architekten / Severin Wurnig