Chinas feuriges Watergate
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Feuer am Wasser: Chinas Watergate

Die chinesische Metropole Hengyang setzt sich ein wahrlich monumentales Denkmal: Zwei ineinander verschlungene Türme, die 177 Meter über dem Meer in den Himmel ragen! Und von Feuer, Wasser und Vögeln erzählen …

Die Geschichte der chinesischen Großstadt Hengyang in der Provinz Hunan reicht weit in die Vergangenheit zurück. Sie kann von Schlachten berichten, von Heldentaten und von Siegen. Vor allem aber heißt es, in ihr sei das Feuer geboren. Und tatsächlich besagen Angaben von Archäologen und die Funde diverser Reliquien, dass hier schon sehr früh mit Feuer hantiert wurde.

Auf Feuer gebaut

In der religiösen Tradition wird diese Suppe freilich heißer gegessen. Sie besagt etwas schwülstig: „Die Stadt Hengyang hat als erste das Zeichen von Zhu Rong, dem Gott des Feuers und des Südens, getragen.“

Feuer
Aus der Vogelperspektive betrachtet, würden die beiden Türme wie ein schmaler Wasserstrom wirken, der durch zwei Landteile fließt … sagen die Architekten.

Doch Architektur hat nicht die Aufgabe, Historisches zu belegen oder zu widerlegen. Eine Episode zu erzählen, das vermag sie aber sehr wohl. Und die in dieser Region verwurzelte Geschichte, wird von dem gerade publizierten und wahrlich spektakulären Bauprojekt am Flussufer der südchinesischen Stadt jedenfalls eindrucksvoll nacherzählt.

Konkret handelt es sich um den Bau eines außergewöhnlichen Stadttors, dem so genannten Xiangjiang Gate. Für dessen Errichtung wurde ein Architektur-Wettbewerb ausgelobt, den nun das Architekturstudio RMJM Shanghai für sich entscheiden konnte. Und den Ausschlag dürfte eben der philosophische Unterbau des vorgelegten Turm-Konzepts sein.

Drei Geschichten aus einem Guß

Denn der orientiert sich gleich auf drei unterschiedlichen Säulen an der historischen DNA der Region.

In dieser spielt – wie gesagt – das Feuer eine zentrale Rolle. Im Monument selbst wird es freilich bloß in einer metaphorischen Abwandlung dargestellt: Frontal betrachtet sehen die beiden Türme wie zwei erstarrte Feuerzungen aus. Sagen die Wettbewerbssieger.

Feuer
Würde man die Türme auf den Kopf stellen, werden sie zu einer Gans, die in die Ferne fliegt … sagen die Architekten.

Somit sind wir auch schon beim wesentlichen Gedankenspiel der Architekten angelangt: Je nach Blickwinkel verändert das Objekt nämlich seine Form – und erzählt jeweils ein andere Geschichte. Stellt man das Gebäude etwa auf den Kopf, wird es – mit ausreichend Phantasie – zu einer Gans, die in die Ferne fliegt.

Der Hintergrund zu diesem Bild liegt erneut viele Jahrtausende hinter uns. In der alten chinesischen Poesie galt Hangyang als Winterquartier für Wildgänse, die der Kälte des Nordens entkamen. Dieser Umstand brachte der Stadt gar den Spitznamen „Wildgänse-Stadt“ ein.

Gans oder gar nicht

Traditionell weist die Wildgans in China zudem auf einen jahreszeitlichen Wechsel hin, trägt aber auch eine Botschaft der Liebe aus der Ferne mit sich. Und diese ist wiederum: feurig.

Doch damit nicht genug der Metaphern! Würde nun eine Gans über das Bauwerk hinwegfliegen, so hätte sie wiederum einen gänzlich anderen Blick auf das Objekt. Vogelperspektive, also. Von oben sehen die zentralen Türme des Gebäudes jedoch weder nach Gänsen noch nach Feuerzungen aus, sondern wie ein schmaler Wasserstrom, der durch zwei Landstücke fließt. So gesehen ist das Werk ein Tor aus Wasser am Wasser – ein „Watergate„, wie bereits augenzwinkernd gewitzelt wird.

Jedenfalls ist die Wasseridee eine Hommage an die geografische Lage der Stadt, die eben vom Fluss Xiangjiang geteilt wird. Aber auch eine Hommage an ihren konvergenten Geist, betonen die Architekten: Hangyang sei eine Stadt, in der Alt und Neu, Kultur und Moderne in vielerlei Hinsicht zusammenfließen. Und jetzt eben auch Feuer und Wasser.

Feuer
Von der Seite betrachtet, erinnern die beiden Türme an …

Feuer
… erstarrte Feuerzungen. Sagen die Architekten auch.

Aber was bleibt, wenn man diesen gewiss spannenden philosophischen Unterbau kurz ausblendet? Zwei gigantische Säulen, die 177 Meter in die Höhe ragen und der Region weltweit ein Denkmal setzen sollen. Schließlich versteht sich Hengyang nicht nur als Stadt mit reicher kultureller Vergangenheit. Sie ist vor allem die zweitgrößte Stadt der Region. Und als diese inszeniert sie sich gerne als schnell entwickelndes Technologiezentrum.

Technische Trickkiste

Darauf zahlt die komplexe Strukturbauweise des „Tores von Xiangjiang“ ein – sie spiegle das höchstmögliche Niveau an Baukunst wider, heißt es. Außerdem bezieht der siegreiche Entwurf die lokale Umgebung mit ein und bildet eine Interaktion zwischen Technologie, Klima, Baumaterialien und menschlichem Verhalten.

So stellten sich die Designer von RMJM die Fassade des Monuments als ein Fenster zur hießigen Kultur vor, das die Lichter, Farben und Schatten der Jahreszeiten ausstrahlt. Die gläserne Vorhangfassade wird auch nachts durch die Integration einer speziellen LED-Technologie erstrahlen.

Die Beziehung zwischen Architektur und Umwelt war schon immer eine komplexe. Um eine Harmonie zwischen beiden zu erreichen, verwenden wir Klimastatistiken und technische Parameter, um die am besten geeigneten Entwurfsformen zu evaluieren.

Qiu Jiehe, CEO von RMJM Shanghai

Dazu sagt Qiu Jiehe, CEO von RMJM Shanghai: „Die Beziehung zwischen Architektur und Umwelt war schon immer eine komplexe. Um eine Harmonie zwischen beiden zu erreichen, verwenden wir Klimastatistiken und technische Parameter, um die am besten geeigneten Entwurfsformen zu evaluieren. Damit ist es uns möglich, die besten und geeignetsten architektonischen Formen unter besonderen Umweltbedingungen zu gestalten.“

Frage nach dem Warum

Fazit: Wenn man so will, ist bei diesem Bauwerk für jeden eine Interpretation dabei. Das ist vermutlich ein probates Mittel, um eine Wettbewerbs-Jury für sich zu gewinnen. Jedenfalls aber liegt der Plan eines spektakulären Baus vor, dessen genaue Sinnhaftigkeit sich dem Außenstehenden noch nicht so erschließt. Ganz im Gegensatz zum nicht minder spektakulären und soeben fertiggestellten „China Zun“-Tower in Peking.

Jedenfalls aber wissen wir bereits: Am Fuß der Türme soll eine Touristeninformationsstelle in das Bauwerk integriert werden.

Dort können wir dann in ein paar Jahren gewiss nachfragen, wenn wir mehr wissen wollen …

Text: Johannes Stühlinger
Fotos: RMJM Studios Shanghai

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