Mit dem Rad bis in den 8. Stock
Das Architekturbüro Hauschild + Siegel hat mit Ohboy Hotell ein Apartmenthaus und Hotel in Malmö realisiert, das ganz auf die Bedürfnisse von Fahrradfahrern abgestimmt ist.
Während sich im deutschsprachigen Raum die Städter glücklich wähnen, wenn das Netz an Fahrradwegen ausgedehnt und perfektioniert wird, ist man im hohen Norden schon wieder einen Schritt weiter. Dort gibt es bereits Gebäude, wo man mit dem geliebten Drahtesel bequem und unkompliziert bis in den achten Stock gelangt.
Ohboy Hotell: Kein einziger Kfz-Stellplatz
In Malmö in Schweden etwa steht so ein Ding. Das Ohboy Hotell und Bostad lässt Radlerherzen höher schlagen. Das vom Architekturbüro Hauschild + Siegel gemeinsam mit Martin Svensson realisierte Gebäude ist Hotel und Wohnhaus in einem. Und: Es hat keinen einzigen Stellplatz für Kfz, sondern wurde speziell für die Bedürfnisse von Menschen mit Fahrrädern konzipiert und gebaut.
Eigentlich ging es in erster Linie einmal darum, festzustellen, warum der Städter so sehr auf das Auto angewiesen ist und ob er nicht ohne den fahrbaren Untersatz auskommen könne. Dies war Cord Siegel von h+s Architekten ein Anliegen, so geht die Fama.
Beim „Cykelhuset” (zu Deutsch Fahrradhaus) ist an alles gedacht, so dass die Nutzer jederzeit gut versorgt sind: Auch ohne die Möglichkeit, Großeinkäufe mit dem Kfz nach Hause zu transportieren. So gibt es etwa riesige Lieferbriefkästen, in denen die Online-Einkäufe deponiert werden können.
Hotel-Wohnhaus für die smarte, grüne Stadt
Lastenfahrräder stehen allen Nutzern dort zur Verfügung, so können sie schwere Ladungen auch selbst abholen. Pendler können zudem auf Klappfahrräder zurückgreifen. Weiters gibt es ein „Mobilitätsabonnement”, das Fahrgemeinschaften, einen Fahrradreparaturservice und Gutschriften für Bus und Bahn bei schlechtem Wetter inkludiert.
Im Gebäude selbst gibt es eine riesige Fahrradgarage, draußen jede Menge Fahrradabstellplätze im Freien.
Es ist dies das erste mehrstöckige Wohngebäude, das eine Baugenehmigung ohne vorgeschriebene Straßenparkplätze erhielt. Denn das schwedische Baurecht sieht normalerweise für Neubauten entsprechende Kfz-Stellplätze vor.
Moderner, urbaner Wohnstil
Im Souterrain und Erdgeschoss des lang gestreckten Baukörpers befindet sich das „Fahrradhotel”. Die 31 Hotelzimmer sind somit auf Split-Levels untergebracht. Diese Hotelzimmer sind für Besucher gedacht, die sich eine Woche bis zu einigen Monaten in der Stadt aufhalten.
Teil der Ausstattung dieser Zimmer sind logischerweise Aufhängungselemente an der Wand für die Fahrräder. Reisende ohne Fahrrad werden gleich bei ihrer Ankunft in Malmö am Hauptbahnhof mit Leih-Fahrrädern versorgt. Von dort ist es nicht weit bis zum Cykelhuset – nur wenige Minuten strampeln.
Jedes der 31 Gästeräume wird, gleich einem Reihenhaus, auf einer der beiden Längsseiten unmittelbar von außen erschlossen. Sie sind mit einem schlüssellosen Check-in-System zugänglich. Die Gäste erhalten einen Tür-Code und ein digitales Yale Doorman-Schloss. Jedes der loftähnlichen Hotelzimmer hat zudem einen charmanten, kleinen Innenhof. Haustiere sind willkommen.
Über dem Hotel-Bereich „sitzen” die Wohnungen, die in den Stockwerken eins bis vier eingeschossig, in der fünften und sechsten Etage als Maisonetten gestaltet sind.
Öko-Wohnen auf hohem Niveau
Ganz oben ist in Holzbauweise die sogenannte Orangerie aufgesetzt – ein gemeinschaftlich genutzter Raum für Veranstaltungen und Austausch.
Die 55 Wohnungen warten mit automatisch bewässerten Blumen- und Pflanztrögen auf den Balkonen auf. So wird einem die urbane Selbstversorgung mit frischem Gemüse leicht gemacht. Zudem wird im Garten auf dem Dach gemeinsam gegartelt, die Vitamine sind also ganzjährig gesichert.
Hauschild + Siegel hat das Projekt von Anfang bis Ende, oder in diesem Fall von der Grundstücksgenehmigung bis zur Fertigstellung und Verwertung betreut. h+s ist damit eines der sehr wenigen Unternehmen in Schweden, das im gesamten Bauprozess involviert war beziehungsweise ist: von der Idee und dem Entwurf bis hin zum Bauen inklusive Bauleitung vor Ort und schliesslich der Vermittlung bis hin zum täglichen, operativen Betrieb, betont man im h+s Headquarter, das gleich in der Nähe ist.
Das Lastenfahrrad bequem in der Küche ausladen
Für den Rohbau wählten die Planer eine Schottenbauweise mit vorgefertigten Bauteilen. Dabei sind die tragenden Wände in Querrichtung angeordnet. Die Außenwände in Längsrichtung und innenliegende Trennwände sind von ihrer statischen Funktion befreit. Man ist damit relativ frei in der Gestaltung der Fassade, so kommt der Gedanke an Plattenbauten erst gar nicht auf.
Der Bau berücksichtigt die speziellen Bedürfnisse der Radfahrer auch bei den Türrahmen, die extra breit sind. Auch die Erschließungsflächen, wie etwa Laubengänge, sind breiter angelegt als üblich.
Die Aufzüge sind nicht nur riesig: Ihre Türen öffnen nach zwei Seiten, sodass man das Gefährt nicht wenden, sondern bequem in zwei Fahrtrichtungen schieben kann. Die Oberflächen in den Wohnungen sind strapazierfähig und leicht zu säubern. Ein voll beladenes Lastenfahrrad fährt so mühelos bis in die Küche.
Der Verzicht auf die teuren Stellplätze sowie die wirtschaftliche Bauweise mit Fertigteilen ermöglichte all diese Schmankerl für die Zyklisten.
Da das Projekt in Fahrradentfernung zu den Büros von Hauschild + Siegel liegt, konnten wir während intensiver Bauphasen nahezu täglich vor Ort sein, sodass viele Entscheidungen direkt vor Ort getroffen werden konnten.
Architekturbüro Hauschild + Siegel
Der Nachhaltigkeitsgedanke beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Fahrräder. Weite Teile des Hauses wurden mit einheimischem Holz errichtet. Die Hoteleinrichtung entstand in Zusammenarbeit mit lokalen Designern und Handwerkern.
Die Heizung wird durch Erdwärme betrieben und Solarzellen tragen zur Stromversorgung bei. Optisches Highight in den Wohnheinheiten: Die Trennwände aus anthrazitfarbenem Beton wurden im Inneren sichtbar belassen.
Traumhafte Lage am Meer, gleich beim Bahnhof
Die Lage ist ein Traum, denn nicht nur der Bahnhof und die City sind fußläufig erreichbar. Die Umgebung bietet viel Freizeit- und Sport-Einrichtungen: So ist das Meer mit seinem Ribersborg Strand plus ein Kaltbadehaus aus dem 19. Jahrhundert sowie das Tiefseebad Scandiabad gleich um die Ecke, Cafés und Geschäfte sowieso.
Der lang gestreckte Baukörper erhebt sich zudem in unmittelbarer Nachbarschaft eines Skaterparks (Stapelbäddsparken). Auch ein Bereich zum Bouldern und eine Roller Derby Bahn befinden sich in der Nähe. Schulen und Nahversorgung fehlen ebensowenig.
Einst gab es rund um Malmös Westhafen Werften und Industrie. Nun entsteht dort ein moderner neuer Stadtteil zum Wohnen und Arbeiten. Das ganze Quartier wird sehr fahrradfreundlich – dank der Nähe zur Innenstadt eignet es sich bestens für innovative Lebenskonzepte.
Text: Linda Benkö
Fotos: Hauschild + Siegel