Fahnenfabrik, St. Gallen, Alterslofts, Markus Alder, SeGeWo, Transformation, Re-Use
#architektur

Alterslofts in der Fahnenfabrik

Statt im Altersheim wohnen die Mieter der transformierten Fahnenfabrik in schicken Senioren-Lofts mit Gemeinschaftsräumen. Genossenschaftliche Finanzierung und ein nachhaltiges Energiekonzept halten die Mietkosten und die CO2-Bilanz niedrig.

Wo früher auf Industrie-Stickmaschinen Fahnen und Flaggen produziert wurden, verbringen heute Menschen ihren Lebensabend. Die älteste Fahnenfabrik der Schweiz wurde 1909 in St. Gallen als Familienbetrieb gegründet. Als die Firma vor einigen Jahren an einen neuen Standort wechselte, stand das alte Fabriksgebäude zum Verkauf. Die Wohnbaugenossenschaft SeGeWo fand sich als Käufer und baute den Bestand zu Alterswohnungen mit zahlreichen Gemeinschaftsräumen um.

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Die alte Fahnenfabrik in St. Gallen ist ein Vorzeigeprojekt für den adaptiven Re-Use.

Statt im abgelegenen und oft tristen Altersheim wohnen die Mieterinnen und Mieter hier in ikonischer Architektur, und das mitten in der Stadt.

Hochwertiger und leistbarer Wohnraum

Ziel war es, hochwertigen und zugleich leistbaren Wohnraum für ältere Menschen zu schaffen und damit eine Lücke im hiesigen Wohnungsmarkt zu schließen. „Was genossenschaftliche Wohnprojekte anbelangt, ist die Ostschweiz sehr stiefmütterlich versorgt“, klagt Architekt Markus Alder, der auch zu den Gründungsmitgliedern der Genossenschaft zählt. Die sonst verfügbaren Alterswohnungen würden meist von gewinnorientierten Verwaltungen geführt und seien extrem teuer. 

Dank der Selbstverwaltung und der unverzinslichen Genossenschaftseinlagen kann der Mietzins auf tiefem Niveau stabil gehalten werden.

Markus Alder, Architekt

Im Zuge der Transformation wurde der Bestand nachverdichtet. Den Fabrikstrakt hat man um ein Geschoss aufgestockt und um eine Laubengangerschließung ergänzt. Auf diese Weise sind 22 Wohneinheiten, ein Gemeinschaftsraum, vierAteliers, drei Gästezimmer und eine begrünte Dachterrasse entstanden. 

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Durch die Raumhöhe von 4,2 Metern im aufgestockten Fabrikstrakt haben die Wohneinheiten Loftcharakter.

Dass es sich um autarke Wohneinheiten handelt, lässt sich schon an den zehn straßenseitigen Zugangstreppen ablesen, die an die traditionellen Reihenhaussiedlungen in England erinnern. Entsprechend dem Konzept sind alle Räume natürlich barrierefrei erschlossen und auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten.

Selbstbestimmt Altwerden

Mit einer Raumhöhe von 4,2 Meter im Fabriksgeschoss haben die Wohneinheiten schicken Loftcharakter. Bezogen wurden sie alle letzten Oktober, und mittlerweile hat sich ein vielfältiges gemeinschaftliches Leben etabliert. Dieses reiche vom morgendlichen Kaffee, den man zusammen trinkt, bis hin zu musikalischen Veranstaltungen, wie Genossenschaftspräsident Christoph Posselt berichtet.

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Den alten Fabrikstrakt hat man aufgestockt und um einen vorgelagerten Laubengang ergänzt.

„Als vor kurzem ein Mieter leicht erkrankte, läutete es am nächsten Tag an seiner Tür, und die Nachbarin stand mit einem Essen davor. Genau diese Rücksichtnahme und das gegenseitige Aufeinander-Schauen wollten wir in der Fahnenfabrik haben. So macht das Altwerden Spaß“, schwärmt Posselt. 

Respekt vor dem modernistischen Erbe

Im Gegensatz zum Altersheim genießen die Mieter der Fahnenfabrik uneingeschränkte Selbstbestimmung. Wer gerade keine Lust auf die Gemeinschaft hat, kann sich in seine voll ausgestattete Wohnung zurückziehen. Außerdem verfügt jede Mieteinheit über einen eigenen Außenbereich, entweder einen lauschigen Platz im Garten oder eine Loggia auf der Südseite der Liegenschaft.

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Jede Mieteinheit verfügt über einen eigenen Außenbereich, in diesem Fall eine Loggia mit Oberlicht.

Dass der Plan für dieses adaptive Re-Use-Projekt nicht nur in sozialer, sondern auch in gestalterischer Hinsicht voll aufging, ist dem Fingerspitzengefühl des Architekten zu verdanken. Eine skulpturale Wendeltreppe aus schwarzem Stahl schmiegt sich in feinster Le Corbusier-Manier an den neuen Wohntrakt an. Dabei verleiht sie dem transformierten Bau einen eigenständigen Ausdruck und würdigt zugleich das modernistische Erbe. 

Geringe Kosten, reduzierte Emissionen

Dass die Nebenkosten für die Bewohnerinnen und Bewohner gering ausfallen, ist dem Energiekonzept zu verdanken, das auf erneuerbare Quellen setzt. 120 Quadratmeter Photovoltaikmodule am Dach und sieben Tiefensonden samt Wärmepumpe machen den Betrieb klimafreundlich und großteils energieautark. Die gerippten Betondecken, die bei der Aufstockung des Fabriktraktes hinzukamen, ermöglichen einen reduzierten Materialeinsatz und damit auch eine bessere CO2-Bilanz als herkömmliche Betondecken. 

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Le Corbusier lässt grüßen: Eine schwarze Wendeltreppe aus Stahl schmiegt sich an den transformierten Fabrikstrakt an.

Wir werden unsere Mieten die nächsten zehn Jahre sicher nicht erhöhen.

Christoph Posselt, Genossenschaftspräsident SeGeWo

Auch den letzthin stark gestiegenen Mietpreisen kann das genossenschaftliche Wohnmodell etwas entgegenhalten. „Dank der Selbstverwaltung und der unverzinslichen Genossenschaftseinlagen kann der Mietzins auf tiefem Niveau stabil gehalten werden“, erklärt Alder. Die Wohnungen kosten monatlich zwischen 1.400 und 1.910 Franken (1.480 bis 2.020 Euro) inklusive Nebenkosten. Dabei liegt man unter den derzeitigen Durchschnittsmieten in der Schweiz, und zugleich versichert Posselt: „Wir werden unsere Mieten die nächsten zehn Jahre sicher nicht erhöhen.“

Kein Wunder also, dass sich schon in der Projektierungsphase zahlreiche Interessenten fanden, die einen genossenschaftlichen Anteilsschein zu 50.000 Franken (rund 53.000 Euro) kauften und damit das notwendige Grundkapital schafften. Abgesehen von den Mietern können auch Außenstehende einen Anteilsschein kaufen, mit dem sie ein Mitspracherecht haben und die gemeinschaftlichen Räume nutzen können. Eine Investition, die auch eine ethische Komponente habe, wie der Genossenschaftspräsident betont. Immerhin unterstütze man damit ein Projekt, das langfristig günstigen Wohnraum sichert.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Jürg Zürcher

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