Eine Höhle für Insekten
Studio Gang hat für das American Museum of Natural History in New York einen höhlenartigen Zubau geschaffen: Im Gilder Center werden ab sofort drei Millionen Insekten ausgestellt.
Am 4. Mai 2023 war es soweit. Das Richard Gilder Center for Science, Education and Innovation in New York, kurz: Gilder Center, wurde endlich eröffnet. „Endlich“ nicht nur deshalb, weil der Anbau des American Museum of Natural History (AMNH) rund zehn Jahre bis zu seiner Fertigstellung benötigte.
Nein, er hat auch deutlich mehr zu bieten als simple Ausstellungsräume. Insbesondere die angekündigte spektakuläre Architektur schraubte die Erwartungen für Interessierte in schwindelnde Höhen. Man darf davon ausgehen, dass sie nicht enttäuscht wurden.
Erkunden & entdecken
Das in Chicago ansässige Architekturbüro Studio Gang hat das Gilder Center rund um eine gewaltige zentrale Höhlenkonstruktion, dem Kenneth C Griffin Exploration Atrium, entworfen. Eine Höhle, die ein Gefühl „des Erkundens und Entdeckens hervorrufen soll“, wie das Büro erklärt.
„In einer Zeit, in der dringend ein besseres öffentliches Verständnis für Wissenschaft sowie ein besserer Zugang zu naturwissenschaftlicher Bildung erforderlich sind, soll das Gilder Center die intellektuelle Wirkung des Museums durch eine erlebbare Architektur verstärken. Diese regt zum Erkunden an und bringt Menschen jeglicher Altersgruppe, Herkunft und Bildung dazu, die Begeisterung für wissenschaftliche Entdeckungen und das Lernen über die Natur zu teilen.“
Es krabbelt und flattert
Vom zentralen Atrium aus können Besucher:innen mittels „Höhlenausgängen“ und Brücken in die umliegenden Räume gelangen. Dort widmet sich der Neuzugang des New Yorker Naturkundemuseums ganz der Welt der nach ihrer Verbreitung größten, nach ihrem Wuchs doch sehr kleinen Tierwelt. Er beherbergt in raumhohen Sammlungsausstellungen unter anderem ein Insektarium sowie ein Schmetterlingsvivarium – inklusive interaktiven Ausstellungen mit lebenden Insekten, Modellen ihrer ökologischen Lebensräume sowie der multimedialen Dauerausstellung „Invisible World“.
Mehr als 3 Millionen Exemplare verschiedenster Insektenarten sind im Gilder Center zu finden. Eine Forschungsbibliothek, Lernlabore und Bildungsbereiche für Lernende von der Grundschule bis hin zum professionellen Lehramt ergänzen das Angebot.
Poröse Felsenhöhle
Das Gebäude ist mit Milford Pink Granit verkleidet, dem gleichen Stein, der auch für den Eingang des AMNH am Central Park West verwendet wird. Die abgerundeten Fenster wurden mit Scheiben aus Glasfritte versehen, damit Vögel sie sehen können und nicht mit ihnen kollidieren.
Der Fokus des Gebäudedesign lag auf natürlicher Formgebung. Das fünfstöckige Atrium ähnelt einer porösen Felsenhöhle, von Wind und Wasser über Jahrtausende geformt. Hier werden die Besucher:innen von einer „faszinierende Landschaft empfangen“, wie Studio Gang es ausdrückt. „Aufgrund des einfallenden Tageslichts bietet die Atriumstruktur außerdem faszinierende Ausblicke in verschiedene Räume. Gleichzeitig stellt sie eine physische Verbindung zu ihnen her.“
Nahtlos verbindend
Dominiert wird die zentrale Höhle von einer großen Treppe. Darauf laden zahlreiche Sitzgelegenheiten zum Ausruhen und zur Reflexion ein. Das Atrium stellt nicht nur das organisatorische, sondern auch das strukturelle Zentrum des Gilder Centers dar, da es den Rest des Gebäudes statisch trägt. Aus Spritzbeton gebaut, enstand eine nahtlose, optisch und räumlich durchgehende Struktur. Ebenso nahtlos sollen die Wege für die Besuchenden sein, die durch das neue Gebäude möglich werden.
Studio Gang: „Das von innen nach außen konzipierte Design verbessert die Funktionalität und das Besuchserlebnis des gesamten Museumscampus erheblich. Durch die Schaffung eines neuen, vollständig barrierefreien Eingangs und einer starken Ost-West-Achse kreiert das Projekt mehr als dreißig Verbindungen zwischen zehn verschiedenen Gebäuden. Es schafft Durchgänge, wo früher Sackgassen waren.“
Wissenschaftsreise
Der Eingang des Gebäudes besteht aus einer massiven Glaswand, die sich fast über die gesamte Höhe des Atriums erstreckt. Studio Gang wollte zusammen mit den Museumsverantwortlichen das Gilder Center auch von außen als einen Ort präsentieren, der „Menschen einlädt“ und so „größeres Verstehen und größere Wertschätzung für Wissenschaft“ fördert.
„Wenn Sie das Gilder Center betreten, verspüren Sie sofort ein Gefühl des Staunens“, meint demnach auch Studio-Gründerin Jeanne Gang. „Sie können einen Blick auf die verschiedenen Exponate werfen und sich zwischen ihnen bewegen. Das Gebäude lädt Sie zu einer Reise zu tieferem Verständnis ein. Es weckt Ihre Neugier und hilft Ihnen, die erstaunlichen Organismen und das Wissen im Inneren zu entdecken.“
Text: Michi Reichelt
Bilder: Iwan Baan