Ein Sessel für die Ewigkeit
Als Charles und Ray Eames an einem kostengünstigen Sessel tüftelten, ging es ihnen bloß um dessen Praktikabilität. Geschaffen haben sie mit ihrem „Eames Plastic Chair“ jedoch eine Design-Ikone, die nun ihren 70. Geburtstag feiert.
Charles und Ray Eames heirateten 1941, zogen nach Los Angeles und arbeiteten gemeinsam an der Technik zur dreidimensionalen Verformung von Sperrholz. Das Ziel war, preiswerte und komfortable Stühle zu realisieren. 1950 gelang Ihnen mit dem „Eames Palstic Chair“ der absolute Durchbruch.
Ihr Grundverständnis von Design wich wohl wesentlich von dem der meisten Designer ab. Bis heute. Und vermutlich macht eben dies genau den Unterschied.
Designer als Gastgeber
Die Rede ist vom Ehepaar Charles und Ray Eames, das in seinen vier Schaffensjahrzehnten niemals das für Designer klischeehafte Ziel, ikonische Entwürfe zu erschaffen, verfolgte. Vielmehr hatten sich die beiden manischen Schöpfer besonderer Kunstwerke in den Gedanken verliebt, für sich selbst zu entwerfen – und eben nicht für andere.
Außerdem aber waren die Eames der Meinung, ein guter Designer solle schlicht die Rolle eines guten Gastgebers einnehmen, der die Bedürfnisse seiner Gäste antizipiert.
Ein Sessel für alle
Und so verwundert es nicht, dass die beiden 1948 auf die Idee kamen, einen möglichst praktischen, bequemen und leicht zu reinigenden Stuhl für den Privatgebrauch – für so viele Menschen wie möglich also – zu entwerfen.
Dieser sollte erschwinglich und industriell herstellbar sein. Nach einiger Tüftelei entschied sich das Designer-Paar schlussendlich für einen Entwurf, der dem heutigen „Eames Plastic Chair“ schon sehr ähnlich ist: Bloß aus einem Unterbau und einer Sitzschale bestehend, solle er bestechend wirken.
Allein, die Sitzschale war damals noch nicht aus Plastik, sondern vielmehr aus gestanzten Metall gefertigt. Jedenfalls aber wurde der Entwurf beim Wettbewerb „International Competition for Low-Cost Furniture Design“ des Museum of Modern Art eingereicht – und eben wegen seiner metallenen Konstruktion nicht sonderlich beachtet. Er erwieß sich schlicht als zu schwer und zu unpraktisch.
Doch die beiden damals schon renommierten Designer ließen sich davon keineswegs entmutigen. Vielmehr suchten sie intensiv nach einem alternativen Material, um die gestanzte Metallschale ersetzen zu können. Der Anspruch an den gesuchten Stoff: Er sollte so leicht wie robust sein und in der Herstellung nicht zu teuer.
Ein neuer Zauberstoff
Auf ihrer Suche stießen sie schließlich vor genau 70 Jahren auf mit Fiberglasfasern verstärktes Polyesterharz. Ein Material, das bis dahin ausschließlich für militärische Zwecke, zum Beispiel für Gehäuse von Radargeräten, verwendet worden war.
Doch sie erkannten die Vorteile des Materials – Formbarkeit, Festigkeit und Eignung zur industriellen Verarbeitung – und begannen, diese für sich zu nutzen. Als Ersatz für die gestanzte Metallplatte ihres Sessel-Entwurfs.
Und so ward der Fiberglass Chair geboren! Seine organisch geformte, einteilige Sitzschale war zu einer Zeit, in der Stühle vornehmlich einen Sitz und eine Rückenlehne hatten, ein vielbeachtetes Novum in einer Welt, in der Holz als Werkstoff dominierte. Das eingesetzte Fiberglas bestach außerdem durch eine angenehme Haptik und seine leicht verformbare Schale, die für individuellen und guten Komfort sorgt.
„Die Form des Fiberglass Chair war der Höhepunkt der elfjährigen intensiven Auseinandersetzung von Charles und Ray Eames mit drei wichtigen Materialien: Holz, Draht und natürlich Kunststoff.“ erinnert sich heute Eames Demetrios, Enkel von Charles Eames. „Der Stuhl war sofort sehr beliebt und brachte eine neue Art von Schönheit in das Leben vieler Menschen.“
Die Form des Fiberglass Chair war der Höhepunkt der elfjährigen intensiven Auseinandersetzung von Charles und Ray Eames mit drei wichtigen Materialien: Holz, Draht und natürlich Kunststoff.
Eames Demetrios, Enkel von Charley Eames
Eben dieser Einfluss des Möbelstücks wurde in den folgenden Jahrzehnten außergewöhnlich intensiv: Obwohl für den privaten Gebrauch entwickelt, etablierte er sich heimlich, still und leise im öffentlichen Raum.
Und so nahm er wegen seiner allgegenwärtigen Präsenz eine gewisse „Unsichtbarkeit“ an; er wurde für diejenigen, die ihn in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, die es bald gab, täglich in Restaurants, Schulen und Bürogebäuden nutzten, zu einer selbstverständlichen Erscheinung. So war der Sessel in designbewussten Kreisen höchst „sichtbar“, während er in der normalen Welt „unsichtbar“ wurde.
Die besondere Aura, die diesen Stuhl umgibt, erkannte allerdings schon viel früher, 1953 nämlich, ein gewisser Willi Fehlbaum. Der Schweizer Unternehmer entdeckte während einer USA-Reise in einem Schaufenster in New York besagten Eames-Entwurf.
Davon inspiriert, entschloss er sich, nicht nur selbst Möbelhersteller zu werden, sondern erwarb auch gleich die Europa-Lizenz, um die Stühle produzieren und vertreiben zu können.
Seither ist in Europa der Eames-Chair untrennbar mit Vitra, Fehlbaums Unternehmen, verbunden. Doch nicht nur das: Auf dem Sessel gründet eine bis heute bestehende enge Freundschaft zwischen Vitra und der Eames-Familie, die über den Tod von Charles und Ray Eames Bestand hat. Gemeinsam und mit viel Vorsicht und Respekt pflegen beide Seiten das Erbe des großen Designer-Paares.
Und so dürfen wir jedenfalls gespannt sein, wie im kommenden Jahr das offizielle 70-Jahr-Jubiläum des „Eames Plastic Chairs“ als Stil-Ikone gefeiert wird. Auf jeden Fall aber wohl mit medialen „Standing Ovations“.
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: Vitra