Ein Museum in Yin-Yang-Form
Das Büro MUDA Architects hat das Tianfu-Museum für Traditionelle Chinesische Medizin entworfen. Die Form: Ein Yin und Yang Symbol, wie könnte es anders sein?
Auch in unseren Breitengraden ist die TCM, die Traditionelle Chinesische Medizin, mittlerweile vielen ein Begriff. Sie hat durchaus ihre Berechtigung. Allein in Deutschland sind schätzungsweise 40.000 Ärztinnen und Ärzte sowie zahlreiche Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker in Akupunktur ausgebildet. Und die TCM wird in 100 Mitgliedsstaaten der WHO als die am häufigsten genutzte alternative Therapieform angegeben. In 13 WHO-Mitgliedsstaaten werden die Kosten sogar von der staatlichen Krankenversicherung übernommen.
Die TCM betont die Harmonie und Entsprechung zwischen Mensch und Natur. Man geht davon aus, dass der Mensch ein Teil der gesamten Schöpfung ist. Diese wird im Dualismus von „Yin“ und „Yang“ gebildet. Diese beiden Kräfte bedingen sich gegenseitig in der ewigen Dynamik.
Was liegt näher, als ein TCM-Museum nach dem Symbol des Yin-Yang zu entwerfen? Im Tao Te King, der wichtigsten Schrift des Taoismus, einem umfassenden Werk über den Ursprung und die Einheit des Seins, über den Sinn und das Leben, steht der Spruch: „Alle Dinge tragen das ,Negative’, das Yin, und umarmen das ,Positive’, das Yang, um durch die Verschmelzung zweier Kräfte harmonisch zu werden.“
Tianfu TCM-Museum: Yin-Yang-Symbol als „Must“
Folglich führte für das Büro MUDA Architects fast zwangsläufig kein Weg daran vorbei, das Gebäude des Tianfu TCM-Museums als Yin-Yang-Dualität zu planen. Es wird interpretiert als eine Kombination aus leeren und festen Räumen, die durch die konzipierte Architektur und die natürliche Landschaft entsteht. Die Architektur und der Mensch sollen in Harmonie in die Natur integriert werden. So könne am besten der Geist und die Philosophie der TCM zum Ausdruck gebracht werden.
In Wahrheit spielte das Yin- und Yang-Symbol in der Fantasie vieler Architekten bereits zuvor eine große Rolle – manchmal auch nur im Hintergrund oder als Inspiration, als Anfangsidee. Tatsächlich hat es schon für vieles hergehalten: Von Häusern bis zu einem Panda-Gehege. Und nun eben bis hin zum Tianfu TCM-Museum. Es wurde unter den leitenden Architekten Lu Yun und He Fan designt.
Das Tianfu Museum für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist zwischen dem Huitong-See und einer Hauptverkehrsstraße in Chengdu, in der chinesischen Provinz Sichuan im Südwesten Chinas, angesiedelt.
Ligusticum-Projekt zieht viele Pharma-Betriebe an
Das Projekt ist Teil eines größeren Entwicklungsvorhabens der örtlichen Behörden zur Förderung der Traditionellen Chinesischen Medizin in diesem Gebiet. In der Tat wird die Landschaftsgestaltung auch einen Bereich umfassen, in dem eine Auswahl an für die TCM wesentlichen, saisonalen Kräutern gepflanzt sind. Die Schau informiert die breite Öffentlichkeit über die Verwendungsarten.
Als nordwestlicher Verkehrsknotenpunkt von Chengdu entwickelt die Stadtverwaltung Pengzhou seit 2019 ihre Themenstadt für TCM. Sie ist damit die größte landschaftliche Einrichtung für die Standardisierung der Produktion von Ligusticum striatum. Dies ist eine Gattung von etwa 60 Arten blühender Pflanzen in der Familie der Apiaceae, zu denen Liebstöckel und die Süßholzwurzel gehören. Mehr als 90 pharmazeutische Unternehmen sind bereits in die TCM-Stadt Pengzhou gezogen.
Tianfu TCM-Museum als spirituelles Wahrzeichen der Region
Das TCM-Museum nutzt diesen Standort, um einerseits ein spirituelles Wahrzeichen für die Region zu schaffen, eine Synthese aus Kultur und Ökologie zu bilden. Andererseits möchte man das Wissen über die Traditionelle Chinesische Medizin wieder- beziehungsweise neu beleben und verbreiten.
Das Gebäude ist der Mittelpunkt der gesamten Umgebung. Der Baukörper, der hügelige Landschaftsbereich mit seinen wellenförmigen Grünflächen, die geschwungene Wasserlandschaft mit ihren Wasserinseln und der von dem kreisförmigen Weg umschlossene, öffentliche Platz, sind alles Bestandteile des Ensembles, das in ständiger Bewegung zu sein scheint.
Unsere Vorfahren dachten, dass Yin und Yang sich in einer dynamischen Situation ständig ergänzen und voneinander abhängig sind. Sie verwendeten das Taiji-Diagramm, auch bekannt als Yin- und Yang-Symbol, um diese Sichtweise darzustellen.
MUDA Architects
Der Komplex gibt seiner Umgebung Schwung, die Menschen, die sich im Museum bewegen sowie das fließende und sprudelnde Wasser kontrastieren energetisch mit der Architektur, die Stille und Ruhe ausstrahlt.
Architektonisches Motiv setzt sich im Inneren fort
Die fließenden Kurven der äußeren Form, das architektonische Motiv setzen sich in den Innenräumen fort. Alles gemeinsam verbindet Yin und Yang und verwandelt das Chaos in eine bewusste Ordnung.
Bei der Gestaltung wurden sowohl die Gesetze des Kosmos als auch die Grundlagen des Lebens berücksichtigt. Das TCM-Museum ist so Ausdruck des Verständnisses der MUDA-Architekten von der Harmonie und Vereinigung aller Wesen.
Da Landschaft und Gebäude ein echter öffentlicher Raum für die Stadtbevölkerung sein sollen, hat man den Eingang und den Rundweg vom Museumszutritt getrennt. Teile des Ensembles sind der Bevölkerung daher rund um die Uhr zugänglich.
Perforierte Paneele schirmen die Sonne ab
Die Westfassade des Gebäudes ist mit gebogenen, perforierten Aluminiumpaneelen versehen. So wird verhindert, dass sich das Innere des Gebäudes durch Sonneneinstrahlung übermäßig aufheizt. An dieser Seite befindet sich der Haupteingang – er ist durch einen begrünten Platz mit der Hauptstraße der Stadt verbunden.
Die Ostfassade des Gebäudes wiederum ist mit einem großen, doppelt gekrümmten Glasabschnitt bestückt. Die Glasfassade lässt die Grenze zwischen Architektur und Landschaft verschwimmen. Sie holt die Umgebung ins Innere, denn sie ist dem See zugewandt und rahmt ihn gleichsam ein. Zudem sorgt sie für mehr natürliches Licht im Inneren. Außerdem wird es Oberlichter geben, um das Maximum aus dem Tageslicht herauszuholen.
Das Innere des Museums wird 13.000 Quadratmeter groß sein und sich über drei Stockwerke sowie ein Untergeschoss erstrecken. An seiner höchsten Stelle erreicht das Gebäude eine Höhe von 22,4 Metern.
Im ersten Stock befinden sich die Eingangshalle, ein interaktiver Ausstellungsbereich und ein Speiseraum. In den oberen Stockwerken sind die Hauptausstellungsbereiche und einige Werkstätten untergebracht. Im Untergeschoss sind jede Menge Parkplätze vorhanden, außerdem die Technik-, Service- und Versorgungsbereiche.
Wir wollten das Tianfu TCM-Museum mit einer Ästhetik gestalten, die die gegensätzlichen Kräfte in ein Gleichgewicht bringt. Der Entwurf fängt die Essenz der Traditionellen Chinesischen Medizin ein.
MUDA Architects
Die Gäste werden zweifellos den Geist der taoistischen Philosophie spüren, sobald sie das Gelände betreten. Für alle jene, die mit der Traditionellen Chinesischen Medizin arbeiten ist der Besuch des Tianfu TCM-Museums fast ein Must.
Muda Architects wurde 2015 gegründet und hat Büros in Peking, Chengdu und Boston. Das Büro wurde 2022 bei den Dezeen Awards in der Kategorie „Aufstrebendes Architekturbüro des Jahres“ auf die Longlist gesetzt.
Chengdu erhält autofreies Stadtquartier
Andernorts in Chengdu entwickelt das Architekturbüro OMA derzeit einen autofreien Masterplan für einen Stadtteil. Der Masterplan wird sich auf die bestehende Geografie und Topografie der Stadt konzentrieren. Außerdem entwirft das Büro Zaha Hadid Architects ein geschwungenes weißes Ausstellungszentrum für die Entwicklung von Unicorn Island.
Text: Linda Benkö
Fotos/Renderings: MUDA-Architects, Addiction Studio