Ein Kino taucht Saigon in „bunt“
Kinos brauchen mehr als gute Filme, um Publikum zu locken. Und die Architektur des alten Saigon, das jetzt Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, verdient mehr Aufmerksamkeit. Das Büro Module K hat ein Kino designt, das herrlich bunt für beides sorgt.
Filme kann man downloaden, streamen und entspannt genießen, wo und wann es eben grade passt. Ins Kino muss man dazu längst nicht mehr. Hat selbiges allerdings mehr zu bieten als dunkle Säle, große Screens und ein banales Snack-Buffet, wird die Sache wieder interessant. Diesfalls hat so ein Filmtheater durchaus seinen Reiz und kann gar zum beliebten Treffpunkt werden. Das Kino, das Module K designt und jüngst fertiggestellt hat, hat alles, was es dazu braucht. Und mehr, weil es obendrein Architektur und Stil des alten Saigon aufleben lässt – in „bunt“, modern und mit einladendem Angebot für vor und nach dem Film.
Das hippe, 2.000 Quadratmeter große Kino befindet sich in Ho-Chi-Minh-Stadt. Also in der Heimat des vietnamesischen Büros Module K, das fürs außergewöhnliche Design verantwortlich zeichnet. Im Mittelpunkt stehen kräftige Farben und starke geometrische Formen. Mit einem „Plus“, das sich vor den Wahrzeichen der einst Saigon genannten Metropole verneigt. Denn jedes Detail verweist auf bedeutende historische Bauten der Stadt.
Ob das Opernhaus im französischen Kolonialstil, der Ben Thanh Markt, das Central Post Office, die Tan Dinh Kirche oder der Paris Commune Square: Im neuen Filmtheater findet ihre Architektur eine moderne Entsprechung.
Geschichte, „jung“ gespiegelt
Allerdings habe man „alles anders“ gemacht, wie Modul K Direktorin Jade Nguyen erklärt: „Wir haben die ikonischen Merkmale von Saigon eingefangen und transformiert, indem wir Details entfernten und Grundlinien in geometrische Formen verwandelten. Dann haben wir – wie in Grafikdesign und Cartoons – eine Technik der soliden Farbbehandlung eingesetzt, um ein vereinheitlichendes Element zu schaffen.“
Die Farbpalette des Kinos, das im Erdgeschoss eines Einkaufszentrums liegt, erinnert ein bisschen an Art déco Bauten im Miami Beach der 1930er Jahre: Pastell regiert. Flamingo-Rosa, Meeresgrün und strahlendes Orange prägen das faszinierende Interieur des Filmspielhauses. Und das Interieur des neuen Projekts der von Minh Bui gegründeten Beta Group lässt Jugendstil-Reminiszenzen aufkommen. Verschiedenfarbige Blöcke und Kuben bilden den Übergang von einem Raum zum nächsten und vermitteln ein Gefühl scheinbar endloser Tiefe.
Den Haupteingang kennzeichnen wechselnde geometrische Formen. Über der zentralen Halle und dem Sitzbereich prangt eine Kuppel in Indochine-Grün, die an die hohe Kuppeldecke des kolonialen Central Post Office erinnert.
Verspielte Symbolik
Eine Wendeltreppe in Beta Medias Logo-Farbe Blau setzt einen weiteren Akzent. Ebenso, wie der Zementfliesen-Boden mit seinen orientalisch-asiatischen Mustern. Und die Installation leuchtender Vögel unter der Decke soll die Taubenschwärme symbolisieren, die um die Städtische Oper und auf dem Paris Commune Square hausen.
Der Ticketschalter in Acqua-Tönen ist von den Kolonnaden des Ben-Thanh-Marktes inspiriert. Kreisförmige Ausschnitte in Wänden und Decke kontrastieren die sich wiederholenden Formen. Die seitliche Lobby und die Flure indes repräsentieren die kleinen Gassen und das Straßenleben von Saigon alias Ho-Chi-Minh-City. Den Korridor zur Halle zieren regenbogenfarbene Bögen. Mezzanin und Erdgeschoss sind durch Gänge verbunden, die ums gesamte Gebäude herum verlaufen.
„Großes Kino“ fürs alte Saigon
Mehrere halbkreisförmige Loggien bilden Check-in-Ecken mit Panoramablick auf den Raum. Asymmetrischen Bogenpfeiler an der rechten Seite nehmen Bezug auf den rosenfarbenen gotischen Stil der Tan Dinh Kirche. Und die bunte Pracht setzt sich in pastellrosa Treppen fort, die sich um Säulen winden, deren Stufenformen sich in Balustraden wiederholen. Im Inneren des Kinos wechseln sich von hinten beleuchtete, rautenförmige Reliefs in Orange- und Zitronentönen ab.
Mit geometrischen Formen spielt Modul K auch beim Mobiliar des Projekts, das das alte Saigon hochleben lässt. Kreisförmige und quadratische Stühle laden im Mezzanin zum Entspannen und Plaudern ein. Die Möbel stammen von den lokalen Unternehmen Soulroom und RPB Furniture. Fürs Interieur wurden Materialien wie Indochine-Fliesen, Epoxy-Böden und Stahlkonstruktionen verwendet.
Mehr als ein Filmtheater
Der intensive Farbenrausch der Räume erinnert ein wenig an Selgascanos berühmten „Serpentine Pavillon“. Doch während diese Installation nur vorübergehend das Auge der Betrachter freute, soll Ho-Chi-Minh-Stadts neues Kino dauerhaft Erfolge feiern. „Der Kunde wollte Stolz auf die Wahrzeichen von Saigon ausdrücken. Aber nicht im üblichen indochinesischen Stil. Und wir wollten weg vom typisch dunklen, stimmungsvollen Kinodesign. Also versuchten wir, einen flippigen, einladenden Raum zu schaffen. Einen, der sich für Kommunikation sowie Essen und Trinken vor und nach den Filmvorführungen eignet“, erklärt das Modul K Team.
Als Zielgruppe sieht das Büro vor allem Millennials – also die zwischen den frühen 1980er und späten 1990er Jahren geborene „Generation Y“. Und natürlich soll das farbenprächtige Etablissement auch jene locken, die Social Media Foren besonders intensiv mit Selfies fluten. Jade Nguyen: „Wir wollten ein ,instagrammable‘ Moment schaffen. Ein ,Wow‘-Gefühl für die Generation Z. Damit alle ihren Freunden erzählen, dass sie kommen, sich das Design ansehen und sich den Namen merken sollen“. Eine zeitgemäße Strategie, die den Bekanntheitsgrad des extravaganten Kinos schnell steigen lassen soll.
Nächstes Ziel: Touristen-Insel
Schnell waren allerdings auch die Designer. Modul K stellte das prächtige Projekt in nur 35 Tagen fertig. Ohne das Budget voll auszuschöpfen. Die Beta Gruppe betreibt bereits 20 Filmtheater im nördlichen Teil Vietnams. Ihr nächstes Ziel: Ein Kino auf der Touristeninsel PHú quốc. Und Module K ist wieder mit dabei.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Do Sy / Module K