Ein Forschungscampus besonderer Art
Die Europäische Spallationsquelle im schwedischen Lund beherbergt die künftig leistungsstärkste Neutronenquelle auf Beschleunigerbasis. Von drei Top-Büros designt, entsteht ein imposanter, nachhaltiger Forschungscampus, der auf Mensch und Umwelt Rücksicht nimmt.
Es ist ein Ort, an dem bald Spezialisten nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit suchen werden. Ein Forschungscampus, der beste Bedingungen für Experten der Materialwissenschaften, Chemie, Biologie, Physik und mehr bieten soll. Denn die Anlage im schwedischen Lund wartet mit der künftig weltweit modernsten Neutronenquelle auf Beschleunigerbasis auf: Die 120.000 Quadratmeter große Europäische Spallationsquelle (ESS) dient der Erzeugung von Neutronen, mit denen die atomare und molekulare Struktur von Materialien untersucht werden können.
Zukunftswichtiges Projekt
Der Entwurf für diesen international bedeutenden Forschungscampus stammt von den drei dänischen Top-Büros Henning Larsen, COBE und SLA. Und er stellt Aspekte in den Vordergrund, die den Innovationsgeist der künftig dort tätigen Wissenschafter beflügeln sollen: Die Anlage ist darauf ausgerichtet, ein optimales Umfeld für Zusammenarbeit zu schaffen – Lebensqualität und Gemeinschaftsgefühl inklusive.
Dass bei einem derart zukunftswichtigen Projekt auch Nachhaltigkeit nicht außer Acht gelassen werden kann, liegt auf der Hand: Das Planungsteam hat beim Entwurf großen Wert auf BREEAM „Outstanding“ Zertifizierung, Flexibilität und Landschaftsgestaltung gelegt.
Modernste Neutronenquelle
Die entscheidende Komponente des neuen Forschungscampus ist ein 600 Meter langer Protonenbeschleuniger, der einen hochenergetischen Protonenstrahl auf ein Ziel abfeuert. Wenn die Protonen auf das Ziel treffen, brechen die Atome auseinander und erzeugen einen Schauer von Neutronen, die auf die Instrumente gerichtet werden, mit denen die Wissenschafter die Eigenschaften von Materialien untersuchen können.
Der Beschleuniger selbst ruht unter der Erde, in einem in die Landschaft eigebetteten Tunnel. Darüber, unter einer Erdschicht versteckt, befindet sich ein als „Klystron-Galerie“ bezeichnetes Gebäude. Dieses ist auf der einen Seite nur als Mauer sichtbar, gleicht auf der anderen jedoch einer in die natürliche Umgebung integrierten Wiese.
Design folgt Spallationsprozess
Der Entwurf für den ESS-Forschungscampus wirkt fast wie eine Metapher für den Spallationsprozess: Ein Neutron wird durch einen Linearbeschleuniger geschleudert, prallt auf einen Wolframkern und streut Elektronen in die Landschaft. Der Komplex als Ganzes bildet diesen Vorgang durch seine Anordnung nach, indem er einen flexiblen, zukunftssicheren Gesamtplan erstellt: Einen landschaftlich gestalteten Protonenbeschleuniger, ein rundes „Ziel-Dach“ und die verstreut in der Landschaft platzierten Gebäude der Anlage.
Henning Larsen, Cobe und SLA haben das spannende Projekt wie ein spezielles Dorf designt, um den Bedürfnissen einer internationalen Wissenschaftergemeinschaft gerecht zu werden. Viele unterschiedliche Räume und Bereiche bieten den Forschern sowohl im Freien als auch in den Gebäuden Möglichkeiten für informelle Zusammenkünfte.
Lebenswerter Forschungscampus
Spazierwege, Jogging-Pfade und Regenwasserteiche für Erholung im Freien tragen zur Lebensqualität bei. Eine naturnahe „zaunlose“ Landschaft mit speziell entworfenen, versenkten Zäunen und vielfältiger Vegetation sorgt für Sicherheit, ohne die Sicht zu versperren. Mit diesem Setting wird auch rund um die Einrichtung für eine ruhige, einladende Atmosphäre sorgt.
Der extrovertierte Charakter des Campusplans öffnet die ESS-Einrichtung für ihre Umgebung und gibt der Öffentlichkeit einen einzigartigen Einblick in die großartige Welt der Wissenschaft.
COBE-Gründer Dan Stubbergaard
Zentraler Orientierungspunkt des gesamten ESS Forschungscampus ist das kreisförmige Dach über der Target-Halle, auf dem sich eines der wichtigsten Elemente des Spallationsprozesses, das Wolframrad, befindet. In Anlehnung an dieses Rad scheint die große, abgerundete Struktur des Daches über der Halle zu schweben. Eine leichte Konstruktion sorgt dafür, dass es sein beträchtliches Volumen trägt, zugleich jedoch Licht in die Halle lässt und Schwedens schneereichem Klima standhält.
Zukunft im Blick
Um der Anlage einen einheitlichen gestalterischen Ausdruck zu verleihen, sieht der Plan vor, alle Gebäude wie monolithische „Land-Kunst-Objekte“ in die Landschaft zu setzen: Jeder einzelne Trakt variiert in Größe und Funktion und ist – dem Spallationsprozess entsprechend – zwar strategisch, aber ohne strenges Raster positioniert. Einige Baukörper stehen einzeln, andere sind in Gruppen angeordnet. Damit stellen die Architekten sicher, dass der Entwurf die Flexibilität bietet, künftig auch neue Gebäude aufzunehmen.
Die einzelnen Trakte des Forschungscampus beherbergen Empfangs- und Büroräume, Hörsäle und Labors, das Beschleunigergebäude, den Zielraum sowie Hallen. Das Äußere jedes Gebäudes spiegelt dessen Zweck. Art und Maßstab der Fassaden variieren in Abstufungen von industriellem bis zu edlem Look. Industriefassaden verweisen auf Innenräume, in denen die „reisenden Teilchen“ untergebracht sind. Raffinierter gestaltete Außenfronten indes signalisieren Orte, an denen Menschen zusammenkommen, Wissen austauschen und gemeinsam forschen können.
Im Fokus: Gemeinsame Ideenfindung
Der Beschleuniger steht im Zentrum der Anlage und wird zu einem physischen und visuellen Brennpunkt, der Aktivitäten und Organisation des ESS-Campus bestimmt. Das Design der Arbeits- und Kollaborationsräume ist gezielt so konzipiert, dass ein effizienter Informationsaustausch gefördert und eine optimale Lernumgebung geboten werden. Schließlich soll das neue ESS-Zentrum Forschern neue Möglichkeiten im gesamten Spektrum wissenschaftlicher Entdeckungen eröffnen: Von Material- und Biowissenschaften und Energie- und Umwelttechnologie bis zu Kulturerbe und Grundlagenphysik.
Die Erfahrungen der internationalen Wissenschafter waren für das Planungsteam von höchster Priorität um sicherzustellen, dass ihre Umgebung lebensnah und unterstützend für ihre Arbeit ist.
Jakob Strømann-Andersen, Henning Larsen Innovation and Sustainability Director
Was die drei dänischen Top-Büros Henning Larsen, COBE und SLA für den neuen Forschungscampus in Lund entworfen haben, ist ebenso spannend wie vielversprechend. Vor allem auch, weil die Architekten Wünsche und Bedürfnisse der künftigen Nutzer bei der Planung bewusst berücksichtigt haben. „Die Erfahrungen der internationalen Wissenschaftler waren für das Planungsteam von höchster Priorität um sicherzustellen, dass ihre Umgebung lebensnah und unterstützend für ihre Arbeit ist“, schildert etwa Henning Larsen Innovation and Sustainability Director Jakob Strømann-Andersen.
Durchdachtes „Dorf der Wissenschaft“
So wurde beispielsweise ein Raum entworfen, der die Bildung kleinerer Gemeinschaften innerhalb des riesigen Campus fördert. Weil die Erfahrung zeigt, dass gutes soziales Leben Kreativität und Forschungsarbeit beflügelt.
Dass zugleich auf das Umfeld des „Wissenschafterdorfes“ Rücksicht genommen wird, betont COBE-Gründer Dan Stubbergaard: „Der extrovertierte Charakter des Campusplans öffnet die ESS-Einrichtung für ihre Umgebung und gibt der Öffentlichkeit einen einzigartigen Einblick in die großartige Welt der Wissenschaft.“ Ein wichtiger Aspekt in Zeiten wachsender Skepsis.
Dass alle drei beteiligten Architekturstudios Wert auf Nachhaltigkeit legen, beweisen Projekte wie die beeindruckende Verwandlung des Stadtviertels „Downsview“ in Toronto, an der sowohl Henning Larsen als auch SLA mitwirken. COBE zeichnet indes auch für ein anderes, diesfalls gar CO2-neutrales Projekt in Lund verantwortlich: Die Pläne fürs neue Science Center Museum der Universitätsstadt stammen aus der Feder der innovativen Dänen.
Durch die neue Typologie und die Vielfalt natürlicher Elemente wie Wiesen, Sümpfe und Feuchtgebiete haben wir einen Campus mit natürlicher Regenwasserbewirtschaftung, neuen Lebensräumen für Wildtiere und Insekten sowie reichhaltigen Naturerlebnissen für die Mitarbeiter geschaffen.
Mette Skjold, SLA Partnerin und CEO
„Von Anfang an war es unser Ziel, eine hochsichere Landschaft zu schaffen, ohne dabei Kompromisse bei Offenheit, sozialen Annehmlichkeiten und Artenvielfalt einzugehen“, erklärt SLA Partnerin und CEO Mette Skjold die Strategie für den ESS Forschungscampus. Und fügt hinzu: „Durch die neue Typologie und die Vielfalt natürlicher Elemente wie Wiesen, Sümpfe und Feuchtgebiete haben wir einen Campus mit natürlicher Regenwasserbewirtschaftung, neuen Lebensräumen für Wildtiere und Insekten sowie reichhaltigen Naturerlebnissen für die Mitarbeiter geschaffen. Es ist eine lebendige Landschaft, die den Land-Kunst-Charakter von ESS als Ganzes mit jedem Jahr deutlicher werden lässt.“
Vollbetrieb ab 2027
Die Bauarbeiten für die Anlage der faszinierenden Europäischen Spallationsquelle sind bereits im Gange. Erste Experimente werden dort voraussichtlich 2025/2026 beginnen. Bis 2027 soll der imposante, hochmoderne Forschungscampus voll betriebsbereit sein – und hoffentlich bald mit klugen Lösungen für die großen Herausforderungen dieser Zeit aufwarten.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Rasmus Hjortshøj