Berlins neue Spitze
Der Edge East Side Tower soll nicht nur Berlins höchstes Bürogebäude werden, sondern auch das gesündeste. Im Kiez stieß das Bauprojekt nach dem Entwurf von Bjarke Ingels allerdings auch auf Kritik.
Am südlichen Ende der Warschauer Brücke, zwischen den pulsierenden Berliner Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg, wird gebaut. Das ist nichts Ungewöhnliches in der Hauptstadt der Baustellen. Allerdings soll hier das höchste Hochhaus der Stadt entstehen. Mit einer Höhe von 140 Metern wird es künftig nur vom Fernsehturm, dem Wahrzeichen Berlins, überragt. Doch das ist nicht der einzige Superlativ, den man sich an die Fahnen heftet. Der Edge East Side Tower verspricht außerdem, mit seiner Fertigstellung 2023 das gesündeste Hochhaus Deutschlands zu sein.
Nutzerfreundliches High-Tech-Tool
Der Entwickler des Turms, Edge Technologies, hat sich dem Ziel verschrieben, Immobilien „grüner, smarter und gesünder“ zu machen. Big Data und smarte Technologien sollen das Bürogebäude zu einem nutzerfreundlichen High-Tech-Tool machen, das „den Menschen ins Zentrum rückt und intuitiv lernt“, wie es heißt. Die Performance des Gebäudes reguliert sich über intelligente Sensoren selbst und schafft eine Optimierung in Echtzeit, wie es in der Projektbeschreibung heißt.
Der Edge East Side strebt in Sachen Nachhaltigkeit eine Platin-Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) an. Ein gesundes Arbeitsklima in dem 35 Stockwerke hohen Turm soll die geplante WELL v2 Core & Shell Gold-Zertifizierung bescheinigen. Als Partner für die Architektur holte man sich ein Schwergewicht aus Dänemark: das Architekturbüro Bjarke Ingels.
Ein Kiez in der Vertikalen
Dieses lieferte einen Entwurf, der mit seiner markanten Fassade verspricht, zum neuen Blickfang in Berlins Skyline zu werden. Für Besucher der berühmten East Side Gallery wird er zum neuen Hintergrundmotiv werden, und Fahrgäste der U1 werden künftig täglich an der neuen Landmark vorbeifahren. Außerdem ist der Turm das neue Aushängeschild des in weiten Teilen fertiggestellten Mercedes-Benz-Quartiers.
Das ist eine Art vertikaler Kiez, der eine innere Nachbarschaft in einer vertikalen Struktur schafft.
Kai-Uwe Bergmann, BIG Architects
Um den Turm möglichst gut in das städtische Gefüge einzubinden, setzten die Architekten auf ein Mixed-Use-Programm. Gemeinsam mit dem Bezirk und Partnern aus der Nachbarschaft erstellten sie ein Nutzungskonzept, das den umliegenden Stadtteil möglichst gut abbilden sollte. „Das ist eine Art vertikaler Kiez, der eine innere Nachbarschaft in einer vertikalen Struktur schafft“, formuliert es der zuständige Architekt Kai-Uwe Bergmann von BIG.
In dieser Hinsicht ähnelt das Projekt dem Holz-Hochhaus WoHo, das gerade in Kreuzberg entsteht und ebenfalls ein Kiez in der Vertikalen sein will.
Proteste gegen „Amazon-Tower“
Dass das ambitionierte Hochhaus-Projekt trotz Partizipationsverfahren auf geringe Akzeptanz stößt, liegt am künftigen Hauptmieter Amazon. Der große Gewinner der Pandemie wird künftig 28 der 35 Stockwerke belegen, weshalb das Gebäude landläufig als „Amazon-Tower“ bezeichnet wird.
Die Bewohner im Kiez fürchten steigende Mieten und Verdrängung, wenn der Versandriese erst einmal in der Nachbarschaft eingezogen ist. Diverse Gruppierungen haben deshalb wiederholt zu Protesten gegen das Bauprojekt aufgerufen. Doch die Baugenehmigung ist längst erteilt, Anfang 2021 wurde der Grundstein gelegt.
Kunst am Bau
Um dem Edge East Side doch noch eine sanfte Landung zu bescheren, lobte der Bauherr einen „Kunst am Bau“-Wettbewerb aus. Die unteren fünf Etagen des Gebäudes, der sogenannte Sockelbereich, und die Plattform sollen einem künstlerischen Konzept folgen und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ziel sei es, einen authentischen Raum zu gestalten, der die dynamische Kiezkultur widerspiegelt.
„Der Kunstwettbewerb, den wir gerade veranstalten, wird zu einer tollen Interaktion mit Künstlern aus der unmittelbaren Umgebung führen, die das Gebäude im Gefüge von Berlin erden und integrieren werden“, ist Coen van Oostrom, CEO und Gründer von EDGE überzeugt.
Im sogenannten Vertical Hub soll es neben gastronomischen Angeboten auch Co-Working Spaces und Veranstaltungsräume geben. Diese können zum Teil kostenfrei von Organisationen und Firmen genutzt werden, die sich mit Nachhaltigkeit, Bildung oder Sozialem befassen. Ob das mehr Akzeptanz im Kiez bringt, wird sich zeigen.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Bloomimages Berlin