Setzen, bitte!
Der vielleicht berühmteste Sessel der Welt feiert heuer seinen 65. Geburtstag. Gleichzeitig wächst der Eames Lounge Chair gerade um einige Zentimeter in die Länge. Und das nicht etwa vor Stolz, sondern aus rein praktischen Gründen.
Es ist eines der bis dato ungelösten Rätsel der Wissenschaft: Der Mensch wird immer größer und man weiß nicht wirklich warum. Theorien dazu gibt es dennoch viele und wie so häufig dreht es sich in diesen zumeist um das Zusammenspiel von genetischen und sozio-ökonomischen Faktoren.
Wir sind 15 Zentimeter gewachsen
Wie auch immer – tatsächlich ist der Mensch in der westlichen Welt heute durchschnittlich 15 Zentimeter größer als noch im Jahr 1850. Und um zehn Zentimeter größer als im Jahr 1956. Als das berühmte Designer-Paar Ray und Charles Eames seinen Lounge Chair präsentierte.
Willi Fehlbaum, der Gründer von Vitra, entdeckte auf einer Reise in die USA Stühle nach einem Entwurf von Charles und Ray Eames. Sie gefielen ihm so gut, dass er beschloss, Möbelhersteller zu werden. Kurze Zeit später lernte er das Designerpaar persönlich kennen. Es entstand eine dauerhafte Freundschaft, die Vitra von da an prägen sollte. Heute sind viele Eames-Modelle exklusiv bei Vitra erhältlich.
Eben dieser wurde nun überarbeitet – und um exakt diese zehn Zentimeter verlängert. Um auch dem heute lebenden Menschen das zu bieten, weshalb der Sessel überhaupt in die Welt gesetzt wurde: absolute Gemütlichkeit.
Die Geschichte des Eames Lounge Chair
Wohl unter anderem ob dieser besonderen Eigenschaft gilt der Eames Lounge Chair heute als berühmtester Sessel der Welt. Aber keineswegs nur deshalb. Am besten aber, wir fangen von vorne an.
Als die Menschen unseres Kulturkreises noch einen Kopf kleiner waren als heute lauschte die junge Amerikanerin Ray Bernice Alexandra Kaiser an der „Cranbrook Academy of Art“ in Kalifornien gebannt dem Vortrag eines gewissen Charles Eames. Das wiederum blieb dem lehrenden Architekten nicht verborgen. So kam es, dass der Vortragende und seine Studentin bald ein Liebespaar wurden. Und damit auch gleichzeitig ein kongeniales Design-Duo.
Das Paar beflügelte sich gegenseitig. Unter dem offiziellen Namen „Charles & Ray Eames“ entstanden im gemeinsamen Studio in Los Angeles alsbald außergewöhnliche Möbelstücke.
Während sich Charles hauptsächlich auf die technischen Aspekte der Produkte konzentrierte, sorgt Ray stilsicher für deren ästhetische Facetten.
Ein Wechselspiel, das alsbald erste Welterfolge nach sich zog: Der heute noch immer top-aktuelle Plastic Chair war ein erster richtig großer Wurf.
Billy Wilder als Vater des Stuhls
Motiviert vom Erfolg setzte das Ehepaar Eames weiter auf das Thema Sessel. Unter anderem auch von den Worten eines Freundes befeuert, wie es heißt. Kein Geringerer als der weltberühmte Regisseur Billy Wilder soll eine tragende Rolle in dieser Episode spielen.
Wir sollten eine zeitgemäße Version des alten englischen Clubsessels entwerfen!
Ray und Charles Eames vor mehr als 65 Jahren
Der Star soll sich bei ihnen darüber beklagt haben, dass es keinen modernen und zugleich komfortablen Sessel geben würde, von dem aus er seiner Arbeit am Set nachgehen könne. Ein Murren, das bei den Eames auf offene Ohren stieß: „Wir sollten eine zeitgemäße Version des alten englischen Clubsessels entwerfen“, sagte sich alsbald das kreative Doppel.
Also machte es sich auf eine mehrjährige Reise, die schließlich in der offiziellen Präsentation des „Eames Lounge Chair“ mündete. 1965 wurde er mit der offiziellen Bezeichnung „Clubsessel No. 670“ in Arlene Francis „Home Show“ auf NBC der Öffentlichkeit vorgestellt. (? Siehe Video-Mitschnitt ?)
Ein gemütlicher, aber überdimensionaler Stuhl aus Leder und Rio-Palisander, den man entspannt in Schwingung versetzen konnte. Außerdem wurde der Lounge Chair um einen sogenannten Ottomanen erweitert. Also um eine Art Hocker, auf dem man entweder sitzen oder seine Füße gemütlich betten kann.
Eames Lounge Chair setzte neue Maßsstäbe
Bald war klar: Der Sessel setzte neue Maßstäbe. Der Tenor lautete: „Der Eames Lounge Chair bietet nicht nur mehr Komfort als sein klobiger Vorgänger, der klassische Clubsessel, sondern ist währenddessen ebenso elegant, leicht und modern wie die bisherigen handlichen Stuhlentwürfe der Designer!“
Kein Wunder also, dass der Eames Lounge Chair bereits wenige Jahre nach seiner Einführung in die Designsammlung des MoMA in New York aufgenommen wurde. Außerdem räumte er den hochdotierten Triennale-Preis in Mailand ab.
Seither spielte der Sessel auch in vielen Blockbustern tragende Rollen: James Bond nahm bereits auf ihm Platz, Iron Man ebenso und auch in der Serie Gossip Girl erfreut man sich seines Charmes. Es ist also offensichtlich: Der Stuhl gilt 65 Jahre nach seiner Geburt als wahre Design-Ikone. Übrigens: Das gute Stück wird noch immer gleich produziert, wie zu Beginn.
Offiziell wird der Herstellungsprozess so beschrieben: Die Fertigung erfolgt in 47 Arbeitsschritten, vorwiegend in Handarbeit. Das Gerüst bilden drei Schichtholzschalen, die mit Gummi-Metall-Verbindungen, sogenannten „Shock Mounts“, ausgestattet sind. Sie erzeugen eine elastische Verbindung und sorgen als Schwingungsdämpfer für die von so vielen geliebte Elastizität.
Abnehmbare Polstereinheiten in Leder sind in den Holzschalen befestigt und geben den typischen Komfort eines Clubsessels. Ein drehbarer Fünfsternfuß aus Aluminium trägt die Konstruktion. Der zum Eames Lounge Chair passende Ottomane steht auf einem nicht drehbaren Viersternfuß, auf dem eine Schichtholzschale mit eingearbeitetem Lederpolster befestigt ist.
Nur das Holz wurde getauscht
Allein, das verwendete Holz wurde 1998 gegen Santos Palisander ausgetauscht. Hintergrund: Rio Palisander steht seit Ende der 90er auf der roten Liste der gefährdeten Arten der Weltnaturschutzorganisation IUCN.
Die aktuelle Verlängerung des Chairs um ein paar Zentimeter ist somit erst der zweite Eingriff in das ursprüngliche Design. Allerdings ist der Eames Lounge Chair auch nach wie vor in der Ursprungsvariante erhältlich. Zudem bietet Vitra neben den klassischen schwarzen und weißen Versionen auch frei konfigurierbare Varianten in unterschiedlichen Lederausführungen an.
Achtung! Wer aktuell nicht sitzt, sollte sich an dieser Stelle der Geschichte nun auf einen Sessel setzen – es kommt gleich die Sache mit dem Preis: Das Gesamtkunstwerk für Gemütlichkeitsfans fängt bei 8.500 Euro an. Ohne Ottomane kann man jedoch schon um 6.100 Euro auf einem echten Eames Lounge Chair Platz nehmen.
Der Prototyp aber, den Ray und Charles Eames einst Billy Wilder als Dankeschön für die Inspiration schenkten, der wäre wohl gänzlich unbezahlbar. Wenn man halt wüsste, wo er sich befindet …
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Vitra | Eames Office, LLC