Diors wahrer Firmensitz
Vor 75 Jahren präsentierte Christian Dior seinen Medallion Chair. Und kreierte damit einen Stuhl, auf dem heute eine gehörige Portion des Dior-Erfolgs ruht. Nun haben 17 Designer das gute Stück neu interpretiert. Ein Schau-Stück der Extraklasse.
Das Label war gerade einmal ein Jahr alt, da befand Großmeister Christian Dior: es fehlt an einem stilvollen Sitzmöbel! Also kreierte er eben eines. Das Ergebnis zierte zuerst alle Boutiquen der Maison Dior. Bald stand der Stuhl an den Catwalks bei seinen Modeschauen und bald einfach überall, wo man stilsicher sein wollte. Die Rede ist vom legendären Medallion Chair, der 2022 seinen 75. Geburtstag feiert. Und in Wahrheit viel mehr markiert, als eines der vielen Meisterstücke aus dem Hause Diors.
Medallion Chair als Herzstück
Der Medallion Chair vielmehr spiegelt das Formbewusstsein von Christian Dior wohl intensiver wider, als all seine anderen Kreationen. Nicht zuletzt deshalb wurde das Medaillon, also das Oval der Stuhllehne, zum ikonischen Emblem für die Marke. Abseits des schlichten Schriftzug-Logos erkennt man heute diese Form als „typisch Dior“. Es ziert bis heute Verpackungen und Brand Identity des Hauses Dior.
Wie wichtig dem Meister selbst der Stuhl war, bezeugt ein Auszug aus seinen Memoiren. In diesem beschreibt Christian Dior das ovale, stromlinienförmige Sitzobjekt als „perfekte Wahl, um Gäste in einer unvergleichbaren Kulisse zu empfangen“, die er selbst als „extrem schlicht, einfach, klassisch und außerordentlich pariserisch“ bezeichnete.
Frischer Wind von außen
Nun beweist Dior Mut. Denn gerade dieser besondere Stuhl, auf dem sozusagen das Herz der Marke Dior sitzt, wurde neu in Szene gesetzt. Ganz konkret wurden Künstler und Designer aus aller Welt eingeladen, um den Medallion Chair neu zu interpretieren. Sie sollten die ikonische „Chaise Medallion“ mit grenzenloser Kreativität und viel Respekt vor seiner Geschichte neu vergegenwärtigt.
Was dabei rausgekommen ist, lässt sich kaum in Worten wiedergeben. Jedenfalls aber in Bildern. Et voilà!
India Mahdavi
Die in Paris ansässige, in Teheran geborene Architektin und Interiordesignerin India Mahdavi betonte die Frenchness, indem sie die ovale Form etwas kantiger gestaltete und den Stuhl mit ihren unverwechselbaren, farbenfrohen Häkelmuster polsterte. Zusammen ergibt das einen kaleidoskopigen Effekt. „Es ist ein symbolisches Möbelstück des Hauses Dior“, sagt sie, „und gleichzeitig auch ein Teil des französischen Klassizismus.“
Martino Gamper
Der in London lebende italienische Designer Martino Gamper versteht den Medallion Chair als eine Art Archetyp des französischen Stuhls. Um ihn besser verstehen zu können, bauete er den ikonischen Stuhl erst auseinander und setzte ihn dann wieder von Hand neu zusammen. So fand er heraus, wie sich die Konstruktion vereinfachen ließ, ohne ihre Eleganz und Zeitlosigkeit zu verlieren. „Um eine zeitgenössische Version zu entwickeln, entfernte ich einfach einige Schichten der ursprünglichen Konstruktion“, erklärt der Designer.
Jinyeong Yeon
Getrost als sonderbar kann man den Zugang des südkoreanische Designers Jinyeong Yeon bezeichnen. In dem Zeitraum, in dem er seine Stuhl-Variante aus Alu und Blech entwickelte, trug er ausschließlich Sneakers stets von Kim Jones (dem Artdirector von Dior Men). Jedenfalls scheint ihm die Arbeit Freude bereitet zu haben. Denn er hält fest: „Ich bewundere die Erscheinung des Medallion Chairs, die gleichzeitig elegant, sexy, ja sogar stur sein kann.“
Pierre Yovanovitch
Der für seine fesselnden Projekte, in denen Kunst, Design und Sinnlichkeit verschmelzen, bekannte französische Innenarchitekt transformierte für Dior den emblematischen Medaillon-Stuhl in das, was er „eine rebellische und zeitgemäße“ Arbeit nennt. Sieht dann so aus.
Pierre Charpin
In seinen Designs sucht der Künstler stets nach der Schlichtkeit, um in ihr Rafinesse zu finden. Genau so ist er auch an die Gestaltung seines persönlichen Medallion Chairs herangegangen. Und das Ergebnis spiegelt seinen Stil eindrucksvoll wider.
Sam Baron
Sam Barons Neuinterpretation des Medaillon-Stuhls ist eine Ode an die Kunst und die Lebensfreude, die Christian Dior so sehr liebte, und erstrahlt in modernem Glanz am Scheideweg zwischen Kultur, schreibt Dior selbst. Jedenfalls gelang es dem französischen Designer, eine überraschende Verspieltheit in seine Gestaltungen einfließen zu lassen.
Ma Yansong
Auf einer Zeitreise wird der Stuhl in Bewegung eingefangen. So versteht Ma Yansong den berühmten Dior-Sessel. Neu geformt aus monochromem Polyurethan mit 3D-Print reflektiert die Arbeit Mas künstlerisches und architektonisches Ethos und vereint Natur und Struktur, um eine emotionale Verbindung zu generieren, heißt es. Die Sache sieht jedenfalls ziemlich abgespaced aus.
Alle Interpretationen und die dazugehörigen Künstler werden in diesem Filmchen von Dior präsentiert:
Wie passt das mit Diors Philiosophie zusammen?
Tatsächlich erscheint es auf den ersten Blick sehr ungewöhlichen, dass eine Superbrand wie Dior andere an sein Herzstück heranlässt. Und dabei auch gewagte Arbeiten zulässt. Doch im Grunde entspricht dieser Zugang ganz dem Grundkonzept von Christian Dior selbst. Schließlich betonte er stets gern, dass Geschichte bewahrt, keineswegs aber eingefroren werden sollte.
Was jedenfalls spannend sein wird: Was die Rufpreise der Teile sein werden, wenn sie einmal irgendwo unter dem Hammer landen. Als kleiner Vorgeschmack: ein neuer Medallion Chair aus dem Hause Dior kostet bei schneller Online-Bestellung aktuell zumindest 2.900 € …
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Dior & Beigestellt