Die Gondel zur Klimawende
Aus den Niederlanden stammt das erste klimaneutrale Fahrgeschäft der Welt. Die Energie für den futuristischen Spiral Tower wird über Photovoltaik, Windrad und die Bewegung der Kabinen selbst erzeugt.
Seit 1897 dreht das Wiener Riesenrad bereits seine Runden. Nur zweimal stand es bislang still. Nach den Brandschäden des Zweiten Weltkrieges und zu Beginn der Coronavirus-Pandemie 2020. Eine Runde auf dem Wahrzeichen Wiens benötigt eine Stromleistung von 7,5 KWh. Das entspricht dem durchschnittlichen täglichen Stromverbrauch eines 2-Personen-Haushaltes. Aufgerechnet auf den Tag, die Woche, den Monat, das Jahr und das Jahrhundert schlägt die Prater-Attraktion somit mit einem beträchtlichen Energieverbrauch zu Buche. Die zukunftstaugliche Version eines Fahrgeschäfts lieferte nun ein holländisches Konsortium. Ihr Spiral Tower präsentiert sich als konzeptionelles Stück Architektur, dessen ökologischer Fußabdruck unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegt.
Der Spiral Tower ist ein architektonischer Eye Catcher und das erste klimaneutrale Fahrgeschäft der Welt.
Konsortium, Spiral Tower
„Der Spiral Tower ist ein architektonischer Eye Catcher und das erste klimaneutrale Fahrgeschäft der Welt“, preist das Konsortium aus vier in Holland ansässigen Unternehmen seinen Entwurf an. KCI The Engineers gelten als Initiatoren des Projektes und haben bereits High-Tech-Konzepte für Riesenräder wie das London Eye geliefert. Die Antriebs- und Steuerungstechnik kommt vom Industrieunternehmen Bosch Rexroth, die Stahl-Leichtkonstruktion vom Stahlbauunternehmen Hillebrand. Für das futuristische Design des Gondelturms ist die Kreativagentur Northern Light verantwortlich.
Sonne, Wind und Rekuperation
Der Antrieb des Spiral Towers erfolgt komplett energieautark. Über integrierte Photovoltaik-Elemente und einem Windrad an der Spitze des Turms wird genügend grüner Strom erzeugt, um die Gondeln in Bewegung zu setzen. Zudem erzeugen die Kabinen bei ihrer Abwärtsbewegung selbst Energie. „Die innovative Konstruktion sorgt dafür, dass sich die autonom betriebenen Kabinen wie magisch nach oben schrauben und auf ihrem Weg nach unten Energie zurückgewinnen, ähnlich wie bei Elektroautos“, sagt Peter Doesburg von Bosch Rexroth.
Rekuperation ist der technische Fachbegriff für diese Form der Energierückgewinnung, die beispielsweise auch beim Bremsvorgang von Elektroautos genutzt wird. Dabei wird Bewegungsenergie durch Einspeisen in einen Speicher oder ein Netz wieder verwertbar gemacht. Sind Energieverbrauch und Rekuperation gleich groß, spricht man vom utopischen Konzept des Perpetuum Mobile. Dieses Ziel liegt zwar noch in weiter Ferne, aber allein in der Nutzung der Schwerkraft liegt ein enormes Potenzial an Energieeinsparung.
Der Betrieb passt sich dem Fahrgastaufkommen und dem momentanen Bedarf an, wodurch eine hohe Energieeffizienz erreicht wird.
Peter Slavenburg, Geschäftsführer Northern Light
Der Spiral Tower kann zwischen 60 und 150 Meter hoch gebaut werden. Der zentrale Stahlmast trägt bis zu 16 Kabinen, in denen jeweils zwölf Personen Platz haben. Drei bis zehn Minuten dauert eine Fahrt mit der Öko-Aussichtsgondel, bei der Fahrgäste eine ungestörte 360 Grad-Aussicht genießen können.
Minimaler ökologischer Fußabdruck
Das Design-Team von Northern Light nahm das Konzept eines herkömmlichen Riesenrades und stattete es mit zukunftstauglichen Ideen aus. „Weltweit werden immer mehr Riesenräder gebaut, und wir hatten das Gefühl, diese Attraktionen könnten wesentlich nachhaltiger, innovativer und effizienter sein“, sagt Peter Slavenburg, Geschäftsführer der Design Agentur Northern Light.
Während sich ein Riesenrad immer als Ganzes dreht, können die Kabinen des Spiral Tower einzeln in Gang gesetzt werden. „Der Betrieb passt sich dem Fahrgastaufkommen und dem momentanen Bedarf an, wodurch eine hohe Energieeffizienz erreicht wird“, so Slavenburg.
Abgesehen vom nachhaltigen Energiekonzept setzt das Konsortium auf zirkuläre anstatt lineare Bauwirtschaft, die sorgsam mit Ressourcen umgeht und jedes verwendete Element als Teil einer immerwährenden Wertschöpfungskette sieht.
Smarte Technologie und virtuelle Realität
Nicht nur das Energie-System, sondern der gesamte Turm wird von smarter Technologie gesteuert. „Die Kabinenfenster sind mit Virtual-Reality-Technologie ausgestattet und liefern Informationen über Sehenswürdigkeiten der Stadt, geschichtliche Landmarks, neue Stadtentwicklungsgebiete und nachhaltige Initiativen“, ergänzt Slavenburg. Wo der erste Spiral Tower gebaut wird, steht noch nicht fest. Derzeit sei man mit mehreren Städten und Expo-Veranstaltern im Gespräch, wie es heißt.
Das hat nichts mit Science Fiction zu tun, das ist Science Reality.
Peter Slavenburg, Geschäftsführer Northern Light
Der futuristische Aussichtsturm würde sich auf jeden Fall gut in einem Science-Fiction-Film machen. Eine Aussage, der Slavenburg widerspricht. „Das hat nichts mit Science Fiction zu tun, das ist Science Reality“, postuliert der Designchef. Schließlich sind alle Technologien, die in dem Turm vereint sind, schon jetzt umsetzbar.
Text: Gertraud Gerst
Bilder: Getty Images, Northern Light