Der „Pferdestall“ der Uni Hannover
Vom Königlichen Pferdestall zum modernen Begegnungszentrum der Uni Hannover: Das Büro Haberland Architekten hat einem historischen Militärgebäude neues Leben eingehaucht. Und die kunstvolle Sanierung des Ziegelbaus wurde mit dem „Best Architects Award“ ausgezeichnet.
Von Hannovers historischen Militärbauten ist wenig übrig. Doch einer davon erlebt derzeit ein famoses Comeback: Der 1888 errichtete Königliche Pferdestall wurde zum modernen Begegnungszentrum umgebaut. Im Deutschen Kaiserreich galt das Militärinstitut Hannover als Eliteschule der Reiterei: „Was Heidelberg für die Studenten, das ist Hannover für die Leutnants“. Die Kavallerie gibt es nicht mehr. Jetzt werden sich Studiosi tummeln, wo deren Pferde ruhten. Ihr Stall dient zwar nicht der Universität Heidelberg, dafür aber der Leibniz Uni Hannover.
Preisgekrönte Architektur
Konzipiert wurde der Bau im 19. Jahrhundert von Karl Habbe und Eduard Schuster. Nun hat ihn das Berliner Büro Haberland für neue Zwecke bereit gemacht. Die 5,6 Millionen Euro für den ersten Bauabschnitt wurden mithilfe privater Spender und Sponsoren aufgebracht. Der beeindruckende Festsaal und zeitgemäße Seminarräume konnten 2019 eröffnet werden.
Für den zweiten Abschnitt wird erneut nach Geldgebern gesucht. Phase eins indes ist bereits preisgekrönt: Das Projekt erhielt einen „best architects 21“-Award in der Kategorie „öffentliche Bauten“.
Weil der Königliche Pferdestall unter Denkmalschutz steht, mussten die Architekten äußerst behutsam vorgehen. Es galt, die Substanz originaler Bauteile und Elemente zu erhalten. Kein einfaches Unterfangen. Immerhin musste der lange Ziegelbau in ein modernes Kommunikationszentrum verwandelt werden. In eines, das dem Bedarf der Bereiche Kunst und Wissenschaft der Uni Hannover entspricht.
Ehrwürdiges Kreuzgewölbe
Den Innenraum prägt eine imposante Kreuzgewölbe-Decke, die von filigranen gusseisernen Stützen getragen wird. Die Träger mussten sorgsam saniert werden. Außerdem waren zur Entlastung der Decke unter den Technikbereichen Stahlstützen nötig. Um das Gesamtbild nicht zu stören, „versteckte“ das Haberland-Team diese in den Leichtbau-Wänden.
Gut erhaltene Futtertröge und andere Details aus frühen Tagen verstärken den historischen Charakter. Tränke-Becken wurden mit Glasfaser-Matten und Betonspachtel repariert. Auch die Metallringe, die einst Zügel hielten, prangen nach wie vor in den Mauern.
Stall als Saal der Uni Hannover
Im Zentrum stand die Gestaltung eines multifunktionalen Kammermusiksaals. Dafür entwarfen die Planer ein spezielles akustisches Konzept. Mit flexibler Möblierung und angrenzendem Stauraum ausgestattet, ist der Saal bereit für neues Leben: Das Herzstück im Erdgeschoss ist für Events, Konzerte und Vorträge gedacht.
Die räumliche Typologie des Pferdestalls ist streng axial und linear. Um- und Ausbau erfolgten mit großem Respekt vorm historischen Erbe. So wurden die Räume weitgehend von haustechnischen Einbauten freigehalten. Die nötigen Installationen verlaufen im Boden. Aufschüttungen und eine neue Stahl-Rampe sorgen für barrierefreien Zugang.
Mit Stein und Stahl
Der neue Haupteingang zum Begegnungszentrum der Uni Hannover liegt in der Mittelachse. Dort befindet sich auch eine zusätzliche Treppenanlage. Zur Stärkung der auskragenden Natursteinstufen war eine Stahlkonstruktion nötig. Ein geplanter Aufzugsanbau musste vorerst zurückgestellt werden.
Die Belüftung des Veranstaltungssaales erfolgt zum Teil über den Hohlraumboden. Offene Kanalführung unter der Kreuzgewölbedecke wurde vermieden. Die Lüftungsklappen an den Innenseiten der Außenwände blieben erhalten und wurden in der Farbe der Wand gestrichen.
Alter Bau im neuen Licht
Im Obergeschoß befinden sich Büro- und Seminarräume. In einem offenen Raum sollen sich künftige Arbeitsplätze flexibel gestalten lassen. Dazu vorgesehen sind mobile Trennwand-Systeme. Holzböden, Dachfenster und weiße Wände ergeben ein einladend helles Ambiente.
Bei der Fassadensanierung ging es um behutsame Instandsetzung. Die Spuren der Zeit sollten keinesfalls vollständig gelöscht werden. Im Gegenteil. Durch Erhaltung der Patina des Mauerwerks bewahrt der Pferdestall seinen ursprünglichen Charakter. Trotz Modernisierung und neuer Nutzung durch die Uni Hannover bleibt er stolzer Zeuge einer vergangenen Epoche.
Der renommierte „best architects“-Award könnte helfen, Sponsoren für den zweiten Bauabschnitt zu finden. Immerhin gilt der Preis als Gütesiegel für hervorragende architektonische Leistungen.
Außerdem ist innovative Revitalisierung historischer Bauten begehrter denn je. Ein schönes Beispiel ist etwa Kaiserliche Werft in Danzig. Und auch die Wiederbelebung der Leidener „Meelfabriek“ wird international gelobt und gespannt erwartet.
Das Projekt an Hannovers Appelstraße hat zudem einen prominenten Fürsprecher: Erich Barke, 2005 bis 2014 Präsident der Gottfried Wilhelm Leibniz Uni Hannover, bemüht sich engagiert um die Vollendung. Der emeritierte Professor sieht dies sogar als „Herzensangelegenheit“.
Uni Hannover zwischen gestern und morgen
Das große Ziel: Der „Königliche Pferdestall“ soll eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schaffen. Der erste Schritt vom Militär-Relikt zum Ort der Bildung und Begegnung ist getan. Wann mit dem zweiten begonnen werden kann, bleibt vorerst jedoch offen.
Für die „Väter“ des alten Ziegelbaus wäre die neue Nutzung ihres Werks wohl eine besondere Freude. Schließlich studierten Karl Habbe und Eduard Schuster an der Polytechnischen Schule Hannover – also der heutigen Gottfried Wilhelm Leibniz Uni Hannover.
Hannoversche Architekturschule
Der Begründer der Hannoverschen Architekturschule zählte zu Habbes und Schusters Lehrern: Conrad Wilhelm Hase steht für Abkehr von Klassizismus und Neobarock und Hinwendung zur Neogotik. Und was seine beiden Schüler einst fürs Militär schufen, wird künftig von der Nachfahrin „ihrer“ Hochschule genützt. Für Kultur und Bildung. Neu – und doch in seiner ursprünglichen Pracht.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Clemens Born, Haberland Architekten