Der große Loos
Mit seinem Werk schrieb er Architekturgeschichte: Der große Adolf Loos, einer der bedeutendsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts, gilt als Pionier der Moderne. Heuer jährt sich der Geburtstag des 1933 verstorbenen Meisters zum 150. Mal – und zwei Ausstellungen würdigen sein Schaffen.
Es heißt, Kaiser Franz Josef habe den Blick aufs 1911 gegenüber der Wiener Hofburg errichtete Goldmann & Salatsch-Gebäude zeitlebens gemieden. Dass die schnörkellose Fassade nicht nur dem Regenten missfiel, ist belegt. Denn das Bauwerk löste auch international heftige Diskussionen aus. Doch was damals als „Haus ohne Augenbrauen“ für „unanständige Nacktheit“ kritisiert wurde, geriet zur viel gepriesenen Attraktion: Das Looshaus am Michaelerplatz gilt als eines der zentralen Werke der Wiener Moderne und zieht bis heute zahllose Bewunderer an. Und es ist das wohl bekannteste Gebäude, das der legendäre österreichische Architekt Adolf Loos (1870 – 1933) geschaffen hat.
Zwei aktuelle Ausstellungen
Heuer jährt sich der Geburtstag des berühmten Architekturkritikers, Architekten und Innendesigners zum 150. Mal. Grund genug, seine Arbeit mit zwei Ausstellungen zu würdigen: Von 3.9.2020 bis 30.9.2021 erweist das Architekturzentrum Wien dem Pionier der Moderne in der kleinen, feinen Schau „Adolf Loos – Nachleben“ die Ehre. Und das Museum für angewandte Kunst (MAK) präsentiert von 18.11.2020 bis 14.3.2021 in Kooperation mit der Albertina „Adolf Loos. Privathäuser“.
Dass Loos‘ Arbeit bis heute fasziniert, lässt sich in Wien leicht „live“ erleben. Man braucht dazu noch nicht einmal Architektur-Kenner zu sein. Schließlich trägt das Interieur zweier legendärer, bei Wien-Insidern überaus beliebter Lokale die Handschrift des Meisters: Die oft kurz „Loos-Bar“ genannte „American Bar“ im Kärntner Durchgang 10 ist ein wahres Schmuckstück im Art déco Stil.
Das jüngst wiedereröffnete „Café Museum“ am Karlsplatz galt schon seit seinem Gründungsjahr 1899 als Künstlertreff. Nach Umbauten ist hier zwar wenig von Loos‘ Design geblieben. Doch im gemütlichen Ambiente des Traditionscafés entspannten einst Genies wie Gustav Klimt und Peter Altenberg besonders gern. Kein Wunder. Denn Adolf Loos legte bei Raumgestaltung großen Wert auf Behaglichkeit.
Edle Geschäfts-Portale
Architektur-Liebhaber finden in der Bundeshauptstadt viele weitere Beispiele für Loos‘ Schaffen. Darunter auch edle Geschäftsportale wie jene des Herrenmodesalons Kniže & Comp. am Graben oder der Universitätsbuchhandlung Manz am Kohlmarkt.
Zeit seines Lebens befasste sich der in Brünn geborene Sohn des Steinmetzes und Bildhauers Adolf Loos (1831–1879) mit privaten und öffentlichen Wohnbauten. Von luxuriösen Villen und Einfamilienhäusern bis zum revolutionären Sozialprojekt reicht die Palette seiner Bauten. So zählen etwa Haus 51 und 52 in der Werkbundsiedlung ebenso dazu, wie die Villa Steiner im 13. Bezirk.
Natürlich wäre es zu kurz gedacht, ausschließlich in Wien nach Adolf Loos Bauten zu suchen. Immerhin lebte der Architekt in den 1920er Jahren vorwiegend in Paris. Dort baute er unter anderem ein Eigenheim für Dadaismus-Mitbegründer Tristan Tzara. Außerdem entwarf er ein Haus für die legendäre Josephine Baker. In Prag dient die von Loos designte Villa Müller heute als Museum. Und andere Villen in Tschechien sowie die Villa Karma nahe Montreux zeugen ebenso von seinem Schaffen.
Der große Loos, ein schlechter Schüler
Loos, der – etwa wegen schlechter Noten in Betragen und Zeichnen – mehrfach die Schule wechseln musste, studierte an der Technischen Hochschule in Dresden. 1893 bis 1896 lebte er in den USA. Dort verdiente er sich lange Zeit als Hilfsarbeiter und Musikkritiker seinen Lebensunterhalt. Dann zog er nach Wien. Ehe der Heimkehrer in erster Linie Interieurs designte, machte er sich durch Artikel für die Neue Freie Presse einen Namen. Sein erstes großes Bauwerk – das Looshaus – machte den begeisterten Hobby-Schachspieler international bekannt.
Zu Adolf Loos‘ engstem Freundeskreis zählten Künstler wie Karl Kraus, Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg und Peter Altenberg. Sein Privatleben wäre heute jedoch vermutlich aus anderen Gründen Thema aufgeregter Social Media Kontroversen. Und dies nicht etwa nur seiner drei Ehen und Beziehungen wegen.
Dass Loos 1928 in seiner Wiener Wohnung mehrfach acht- bis zehnjährige Mädchen als Aktmodelle empfing, trug ihm eine anonyme Anzeige ein. Er wurde wegen „Verführung zur Unzucht“ zu vier Monaten Arrest verurteilt. Die Strafe wurde allerdings zur Bewährung ausgesetzt.
Provokante Schriften
Außerdem erregte Loos mit oft provokant formulierten Publikationen viel Aufsehen. Seine Ansichten lösten zu seiner Zeit heftige Diskussionen aus, wurden später jedoch weltberühmt. So schrieb er etwa 1910: „Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, …“. Kunstwerke hätten das Ziel, Menschen aus ihrer Bequemlichkeit zu reißen. Häuser hingegen müssten der Bequemlichkeit dienen: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“
Jugendstil war seine Sache nicht: Adolf Loos war ein scharfer Kritiker angewandter Kunst. Zeitgenössische Ideen, die Kunst in den Alltag führen, lehnte er ab. Gebrauchsgegenstände künstlerisch gestalten zu wollen sah er als überflüssige Arbeit.
„Ornament und Verbrechen“
In seinem berühmten Vortrag „Ornament und Verbrechen“ argumentierte Loos seine Ansicht. Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten seien Zeichen hoher Kulturentwicklung. Die „kultivierten Erzeugnisse unserer Zeit haben mit Kunst keinen Zusammenhang. Die barbarischen Zeiten, in denen Kunstwerke mit Gebrauchsgegenständen verquickt wurden, sind endgültig vorbei“, erklärte der Architekt.
Der Einsatz möglichst edler Materialien indes war Adolf Loos stets wichtig. Oft suchte er auf langen Reisen nach passenden Hölzern, dem idealen Stein oder Modellen, die er für seine Projekte kopieren ließ. In Innenräumen verband er Altes und Neues, wenn dies der Vorstellung des Auftraggebers von Behaglichkeit entsprach.
Moderne Funktionalität dominiert Loos‘ Werk. Und doch: Dass 1900 im Zuge des Baubooms historische Komplexe abgerissen wurden, war dem Meister Anlass für heftige Kritik. Zudem finden sich in seinen Bauten immer wieder Einflüsse historischer und traditioneller Stile.
Konzept für einen Wolkenkratzer
Ein Beispiel dafür ist etwa der Entwurf für das Hochhaus der Chicago Tribune. Adolf Loos brachte seinen Vorschlag 1922 in den entsprechenden Wettbewerb ein. Und sein nie realisiertes Konzept für den als „Tribune Tower“ bekannt gewordenen Wolkenkratzer erinnerte an eine dorische Säule.
Auch in realisierten Loos-Gebäuden finden sich Elemente, die nicht allein auf beste Nutzbarkeit ausgerichtet sind. Von Reisen nach Griechenland beeindruckt, schätzte der Architekt die Form des Kubus. In England und den USA traditionell wichtige Kamine prägen viele seiner Raumdesigns. Und auch das Looshaus mit seinem toskanisch anmutenden Säulengang wirkt nicht rein zweckorientiert.
Pionier der Moderne
Unbestreitbar ist, dass der unter ererbter Schwerhörigkeit leidende Baukünstler entscheidende Akzente gesetzt hat. Mit seinem Ansatz „Form folgt der Funktion“ wurde er zum Wegbereiter der modernen Architektur. Zu den Schülern seiner kleinen Bauschule zählte unter anderem Paul Engelmann. Und Adolf Loos‘ Arbeit beeinflusste viele namhafte Vertreter der Moderne wie Richard Neutra oder Luigi Blau.
„Alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschließen“, postulierte der Meister anno 1921. Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehöre der Kunst an: „Das Grabmal und das Denkmal“. Letzteres hat er sich mit seinem Werk gesetzt.
Sein Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof. Der große Loos starb, taub und an den Rollstuhl gefesselt, im Alter von 62 Jahren. Seinen Grabstein hat er übrigens noch selbst entworfen.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: ALBERTINA Wien, Architekturzentrum Wien / Hermann Czech, Harald Schinfellinger, commons.wikimedia.org / Christo Vittoratos, Christian Ries, Thomas Ledl, Otto Mayer, Invisigoth67, Snoop, HP Schaefer