Der goldene „Dritte Raum“
Das Teehaus Yin Xi im Jing’an-Tempel in Shanghai möchte die Kultur des (öffentlichen) Teetrinkens in China wieder aufleben lassen. Die Vermilion Zhou Design Group bedient sich dabei auch des soziokulturellen Konzepts des „Dritten Raums“, wo Hierarchien keine Rolle spielen.
An manchen Tagen geht doch nichts über eine gute Tasse Tee. Wenn nach dem Aufgießen das Wasser eine satt-goldene Farbe annimmt, die Aromastoffe sich zu entfalten beginnen und ihren feinen, süßlich-karamelligen Duft verströmen … Einfach herrlich, selbst an heißen Tagen – schließlich trinken die Menschen im asiatischen Raum auch zu jeder Saison Tee.
Während die Geschichte des Kulturgetränks in China geschätzt vor rund 5000 Jahren begann, fand der Tee seinen Weg nach Europa im 17. Jahrhundert. So richtig in Mode kamen Teehäuser im barocken Europa des 18. Jahrhunderts.
Teehäuser, auch traditionelle, sind in der Wiege des Tees im ganzen Land verstreut. Sie erzählen jeweils eine eigene Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart.
Während in Japan die traditionellen Teehäuser in der Regel klein sind, mit niedrigen Decken und Schiebetüren aus Papier und Holz, während dort die Verwendung natürlicher Materialien wie Bambus, Holz und Stein den minimalistischen Stil und die Abgeklärtheit des Interior Design unterstreichen, können die Teehäuser in China ganz anderer Natur sein.
Im modernen China unterscheiden sich Teehäuser stark in Stil und Funktion. Während in manchen alten Teehäusern sogar Opernaufführungen stattfinden, sind die Teegärten in Hangzhou, in der Nähe der berühmten Longjing-Teefelder für ihre Geruhsamkeit bekannt.
Vor kurzem hat ein neues Teehaus in einer der ältesten kulturellen Stätten Shanghais eröffnet, im Jing’an-Tempel. Das Teehaus Yin Xi nach einem Entwurf der Vermilion Zhou Design Group vereint modernen Touch mit kulturellem Erbe und Wertschätzung der Teekultur.
Spirituelle Tradition sowie moderne Einkehr und Ruhe treffen hier aufeinander. Aber nicht einfach irgendwie. Das Design der Vermilion Zhou Design Group begeistert mit seiner Farb- und Formensprache. Gold steht im Mittelpunkt, aber nicht prunkvoll, sondern dezent warm strahlend.
Das Projekt im Jing’an-Tempel in Shanghai setzt den kulturellen Reichtum Chinas in zweifacher Weise in Szene. Einerseits ist der Tempel selbst ein historisches Denkmal, dessen Geschichte gar nicht wechselhafter sein könnte. Andererseits blicken die Teezeremonien in China auf eine lange Tradition zurück.
Anders als in Japan war die Teekultur Chinas sehr jeher ein auch in der einfachen Bevölkerung verwurzeltes Ritual. Die Japaner verwandelten das Zeremoniell in eine eher elitäre Sache.
Zunächst war das Heißgetränk in China vor allem bei Mönchen in den Klöstern beliebt, um für die stundenlangen Meditationen wach zu bleiben. Während der Kulturrevolution war die Teekultur verpönt, innerhalb der Familien jedoch hat der Teegenuss seinen Stellenwert behalten.
Können „Dritte Orte“ Hierarchien aufheben?
Möglicherweise hat die populäre Usance den Kreativdirektor Kuang Ming Chou, den Konzeptdesigner Ting Ho und Garvin Hung, zuständig für das Interior Design, dazu inspiriert, sich mit dem soziokulturellen Ansatz des sogenannten Dritten Ortes auseinanderzusetzen. Ein Ansatz, der scheinbar Hierarchien aufhebt. Obwohl ja Tee und Teehäuser auch für Chinas historischen Handelswohlstand stehen.
Die Idee des US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geht von drei verschiedenen Räumen oder Orten aus. Der Erste Ort dient dem Familienleben, der zweite dem Bereich Arbeit. Der Dritte Ort versteht sich demnach als Raum für soziale und nachbarschaftliche Treffen und bietet so einen Ausgleich zu den beiden anderen.
Grundsätzlich steht „The Third Space“ laut Theorie allen Bevölkerungsschichten offen. Der Ansatz sei daher gut geeignet, Hierarchien und soziale wie kulturelle Ausgrenzung aufzuheben. Und grundsätzlich sind auch die Tempel in China allen Menschen zugänglich.
Spirituelle Aura trifft auf zeitgenössischen Luxus
Der buddhistische Jing’an-Tempel – an der West Nanjing Road im gleichnamigen Stadtbezirk gelegen – heißt übersetzt „Tempel des Friedens und der Ruhe“. In einer der drei großen Hallen steht eine beeindruckende, 3,8 Meter hohe und etwa elf Tonnen schwere Buddhastatue aus Jade. Es ist die größte dieser Art in China.
Das Teehaus Yin Xi jedenfalls ist ein sublimes Refugium für all jene, die – wenn auch nur für einen Moment – der Hektik der Stadt entfliehen wollen. Natürlich kann man im Yin Xi auch Kontakte pflegen oder geschäftliche Termine abhalten.
Drei Elemente: Die Farbe Gold, Klang, Wasser
Die Atmosphäre der heiteren Gelassenheit macht daraus eine besondere Erfahrung. Erzielt wird sie mit diesen drei Elementen: der Farbe Gold, Klang und Wasser.
Gold steht in der Feng Shui Lehre für die Kraft der Sonne, für Unzerstörbarkeit, Luxus und Glück. Das Metallelement fördert die Konzentration und spendet Lebensfreude. Und so erstrahlt die Decke des Jing’an-Tempels und des Teehauses in der Farbe des Glücks und Wohlstands. Das einfallende Sonnenlicht reflektiert die zahlreichen Nuancen, die an die vielfältigen Gold-Schattierungen des Tees anknüpfen.
Erst die Ruhe im Teehaus lässt einen die verschiedenen Klangquellen bewusst wahrnehmen: Wenn das Wasser aufgegossen wird, der Tee in der Kanne gurgelt, wenn er in die Tasse fließt. Oder der Klang des Wasserspiels im Innenhof, das sanfte Plätschern.
Das Wasser wiederum reflektiert das Licht. Es bricht sich und glitzert, flackert auf wegen der dank des Wasserspiels entstehenden, gekräuselten kleinen Wellen. Auch die darunter liegenden Schieferplatten glimmern und schimmern.
Und das Wasser steht für die Designer der Vermilion Zhou Design Group für das Element, das das Reale mit dem Imaginären verschmelzen lässt. Das Zusammenspiel aus Licht und Wasser fördere somit die Kontemplation und Entspannung.
Das Interieur der Räume, wo der Tee dann tatsächlich getrunken wird, wirkt dagegen fast schon nüchtern. Es dominiert das warme Holz der zweckmäßigen Möbel.
Über die Vermilion Zhou Design Gruppe
Die Vermilion Zhou Design Group wurde 2002 in Shanghai gegründet. Seitdem hat sie mehr als tausend Innenarchitekturprojekte in verschiedenen Bereichen wie öffentliche Räume, Geschäftsräume, Büros, Hotels, Restaurants und Wohnungen realisiert. Unter anderem hat die Vermilion Zhou Design Group Dutzende Hotelmarken geschaffen, die mehr als 100 Millionen Menschen eine Unterkunft bieten.
Bei den Entwürfen, die von einer zeitgenössischen, orientalischen Denkweise geprägt sind, betonen die Designer die menschliche Erfahrung im Raum. Zweckmäßigkeit und Funktionalität sowie Ästhetik halten einander dabei die Waage. Die Gruppe landete im Vorjahr auf die Shortlist für die von der Plattform Dezeen vergebenen Interior Design Awards China des Jahres 2023.
Text: Linda Benkö
Fotos: Jian Quan Wu