Die große Ei-volution
Was vor über 60 Jahren als Detail eines großen Hotelkonzepts entstand, gilt heute als unsterblicher Designentwurf: Der Egg-Chair von Arne Jacobsen. Allerdings sollte man ihn nicht mit einer seiner vielen Kopien verwechseln …
Zu Beginn eine kleine Wette: Wenn Sie jetzt „Egg Chair“ lesen, denken Sie vermutlich an das eiförmige Teil, das aussieht, als wäre es ein aufgeschnittenes Hühnerei. Wahrscheinlich ist der Sessel in Ihrem Kopf weiß und darin sitzen links Will Smith und rechts Tommy Lee Jones. Die eben beschriebene Szene ist jene des Werbesujets für den Film „Men in Black II“ aus dem Jahr 2002 (siehe unten). Aber: HALT! Das. Ist. NICHT. Der. Egg-Chair!
Mehr Ei als erlaubt?
Dies ist vielmehr eine der vielen Kopien des Originals. Allerdings jene, die wohl tatsächlich berühmter ist, als der einzig wahre Egg Chair, als eben jener von Arne Jacobsen. Und das liegt vermutlich daran, dass dieses Stück mit dem offiziellen Namen „Ovalia Egg Chair“ von Designer Henrik Thor-Larsen einfach eher nach einem Ei aussieht als Jacobsens Kreation. Aber es war eben auch nicht Arne Jacobsens Intention, einfach ein vergrößertes Hühnerei nachzubauen. Als er 1958 anfing, an den ersten Entwürfen seiner legendären Sitzgelegenheit zu tüfteln, wollte er vielmehr eine besonders elegante Lösung der schon populären Ohrensesseln finden.
Dennoch wurde sein Konzept rasch unter dem Namen „Egg Chair“ geschützt. Allerdings ist es in Wahrheit bloß das kleine Sitzdetail eines großen Hotelkonzepts. Und zwar jenes des SAS-Hotels in Kopenhagen. Jacobsen war damit beauftragt worden, dessen gesamte Innenausstattung – von den Möbeln über die Textilien bis hin zum Essbesteck – konsequent in einem Stil durchzuplanen. Und dabei gelangen dem Design-Großmeister der skandinavischen Nachkriegsmoderne eben dieser große Wurf Sessel, der aus manchem Blickwinkel zwar an ein Ei erinnert, dieses aber nicht zu spiegeln versucht.
Das wahre Ei, vor dem Ei
Tatsache ist allerdings schon, dass dieser Stuhl – einem Ei gleich – keine Geraden kennt und ausschließlich aus kurvigen Elementen besteht. Womit wir bei der faktischen Beschreibung dieses Klassikers angelangt wären: Die Rückenlehne reckt sich breiter als bei anderen klassischen Ohrensesseln empor. Die Basis bildet der kreuzförmige Fuß aus satinpoliertem Aluminium – in ihn ist die ob der vielen Copy-Cats besonders relevante Seriennummer eingeprägt. Die Sitzschale besteht aus einer glasfaserverstärkten Kunststoffinnenschale mit Kaltschaumpolsterung. Besonders: Das für den Bezug verwendete Leder besteht aus einem einzigen Stück!
Ei-nsamkeit bevorzugt
Durch seine geschwungenen Formen sorgt der Ei-Sessel für mehr Privatsphäre als vergleichbare andere Modelle, weshalb der für Hotelzimmer entwickelte Stuhl heute gerade in Hotellobbys immer wieder zum Einsatz kommt. Die erfolgreiche Kette Motel One etwa stattet ihrer Lobbys gerne mit den original Ei-Sesseln aus.
Der Hauptgrund, warum dieses Desgin seit bald 61 Jahren ungebrochen für Begeisterung sorgt, liegt übrigens vermutlich genau an der oftmals kritisierten Kopie-Manie. Denn nur deshalb hat sich die urEIgene Form in den letzten Jahrzehnten immer wieder weiterentwickelt – man kann also wahrlich von einer EIvolution sprechen, der dieser Design-Klassiker – im Gegensatz zu ähnliche berühmten Konzepten wie dem „Eames Plastic Chair“ – unterworfen ist.
Angefangen hat damit sogar noch der Vater der Idee selbst: Arne Jacobsen legte bald nach seinem Ei weitere – und stellte dem Egg- auch noch den Swan- und den Drop-Chair als Geschwister zur Seite. Dann aber folgten die darauf aufbauenden Konzepte: Jenes von Henrik Thor-Larsen, auf dem die beiden Hollywood-Stars filmreif Platz nahmen. Oder das von Eero Aarnio, der das Ei sogar hängend oder gar ohne Füße, also kugelnd, in Szene setzte. Und heute werden unterschiedliche Ausprägungen von bekannten und unbekannten Labels, in Ausführungen aus Leder, Kunststoff oder sogar Rattan zu hohen und niedrigen Preisen feilgeboten.
Wenn das Original nachlegt
Doch pünktlich zum 60. Geburtstag vor wenigen Monaten hat nun auch das Original in seiner Entwicklung einen weiteren Schritt nach oben gemacht: Hersteller Fritz Hansen legte das Ei in einer exklusiven Sonderkollektion mit einer limitierten Zahl von 1958 Stück – der Jahreszahl in dem das erste Modell auf den Mark kam – auf. Jedes Stück ist mit einer nummerierten Geburtstags-Gravur versehen und der Bezug dieser Geburtstagskollektion ist aus besonders exklusivem Leder.
Dessen Patina verändert sich über die Jahre hinweg. Ein Effekt, der bloß für diese Edition eigens gewählt wurde. Schließlich soll der Sessel im Lauf der Zeit die Aura seines Zuhauses widerspiegeln und zu einem persönlichen Designobjekt werden. Seine Eivolution also als nahezu lebendiger „Mitbewohner“ für immer weiterführen.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Fritz Hansen