Zweites Leben als schwimmender Wald
Eine ehemalige Mülldeponie nahe der Stadt Nanchang steht nun den mehr als sechs Millionen Einwohnern als Natur- und Naherholungsgebiet zur Verfügung. Der von Turenscape ersonnene Fish Tail Park hat eine wundersame Verwandlung zum schwimmenden Wald hinter sich.
In Ost-Zentral-China hat ein kontaminiertes Überschwemmungsgebiet des Jangtse-Flusses nahe der Stadt Nanchang ein zweites Leben erhalten. Die einstige städtische Müllkippe hat sich gleich der Metamorphose der unansehnlichen Raupe zum wunderhübschen Schmetterling in einen traumhaften schwimmenden Wald verwandelt, den Fish Tail Park. Mastermind dieser Transformation ist Professor Kongjian Yu mit seinem Architektur- und Design-Studio Turenscape.
„Chronische” Probleme: Überschwemmungen, Verschmutzung
Ein 126 Hektar großes Areal nahe bei Nanchang, der Hauptstadt der Provinz Jiangxi, mit mehr als sechs Millionen Einwohnern, war stark verunreinigt. Nanchang liegt am Westufer des Poyang-Sees, dem größten Süßwassersee Chinas. Überschwemmungen und die Überflutung von Städten, so auch von Nanchang, stehen während der Monsunzeit auf der Tagesordnung. Sie stellen ein chronisches Problem für die Städte dar.
Das Oberflächenwasser wird durch die zunehmende Menge an städtischem Abwasser immer stärker verschmutzt. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen für den Lebensraum von einheimischen Vögeln, Zugvögeln und anderen Wildtieren.
Ehemalige Fischfarm wird zum Freizeitpark
Bei dem Gelände, das nun in den schwimmenden Wald verwandelt wurde, handelt es sich um eine 51 Hektar große ehemalige Fischfarm. Etwa 30 Prozent des Geländes wurden früher als Deponie für Kohleasche aus den umliegenden Kraftwerken genutzt. Das Wasser war dadurch und wegen der übermäßigen Verwendung von Fischfutter stark verschmutzt. Das ehemalige Feuchtgebiet wurde nun zurückgewonnen.
Um die Freizeitbedürfnisse der wachsenden Bevölkerung zu befriedigen braucht es neue öffentliche Räume. Doch es geht um wesentlich mehr: Der neue Fish Tail Park reguliert das Regenwasser, bietet viel Lebensraum für Wildtiere und last but not least steht den Anwohnern – mitten in der neu geschaffenen Naturlandschaft – eine Reihe von Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Fish Tail Park verleiht neuem Stadtteil einzigartige Identität
Gleichzeitig ist der Fish Tail Park der Startschuss und Katalysator für die Stadtplanung und Stadtentwicklung in der Umgebung. Denn er ist ein Parademodell für die Wiederherstellung von Lebensräumen und die Gestaltung städtischer Natur in Regionen, die dem Monsun- oder zumindest stark wechselhaftem Klima ausgesetzt sind. Sie leiden zumeist häufig unter Überschwemmungen.
Der Fish Tail Park ist aber nur Teil eines größeren Projekts des Landschaftsarchitekten Yu. Er möchte zeigen, dass es möglich ist, neuen Raum in Städten nicht nur für Menschen, sondern auch für die Natur selbst zu kreieren. Und dabei auch die mächtigen Naturkräfte, wie Monsunstürme, in die Überlegungen mit einzuschließen.
Auch in anderen Städten geht man dazu über, Mülldeponien zu transformieren: Ein entsprechendes Projekt in Reykjavík, von Jakob+MacFarlane, heißt Living Landscape. Es ist Islands größtes Holzgebäude und eine Natur-Oase mitten im Industriegebiet.
See fängt Zwei-Meter-Anstieg des Wasserpegels auf
Inspiriert vom antiken Konzept der Landwirtschaft auf Sumpfland und von einfachen Aufschüttungstechniken wie den aztekischen Chinampas wurde die auf dem Gelände des Fish Tail Park deponierte Kohleasche recycelt. Nachdem man sie mit Erde aus den Fischteichdeichen vermischt hat, konnte man damit zahlreiche Inseln schaffen.
Gleichzeitig wurde ein See angelegt, der einen Anstieg des Wasserspiegels um zwei Meter auffangen kann – dem entsprechen eine Million Kubikmeter Regenwasser.
Passende Bepflanzung für den schwimmenden Wald
In Anlehnung an die monsun- und hochwasserangepasste Sumpflandschaft des Poyang-Sees haben die Experten von Turenscape Baumarten ausgewählt, die schwankende Wasserstände überleben können. Schlammige, unter Umständen wenig fruchtbare Uferbereiche wurden mit ein- und mehrjährigen Feuchtgebietspflanzen bepflanzt. Lotuspflanzen sorgen für eine hocheffiziente Seeabdeckung.
Der Wald in der Mitte des Sees ist ein Entdecker-Paradies für die Liebhaber von Sumpfvegetation. In der Monsunzeit ist er freilich überflutet. Am Ufer am Rande des Parks sind Spielplätze, Strände, Brunnen und Rasenflächen vorgesehen. Terrassenförmig angelegte Feuchtgebiete dienen der natürlichen Filterung der städtischen Abflüsse.
Perforiertes Alublech kontrastiert mit der natürlichen Umgebung
Ein Netz von Fußgängerwegen und -plattformen umgibt den See. So können die bewaldeten Inseln begangen werden. Die kreisförmigen Fußgänger- und Radwege liegen oberhalb der 20-jährigen Hochwasserlinie, während die Promenade und die Plattformen aus vorgefertigtem Beton bestehen. Bei Hochwasser beginnen sie hochzutreiben. Danach können sie auf einfache Weise gesäubert werden.
Sämtliche Brücken, Plattformen, Pavillons und Aussichtstürme wurden sorgfältig platziert. Ihr Design ist zeitgenössisch – für die installierten Strukturen wurde hauptsächlich perforiertes Aluminiumblech verwendet. Dieses bildet einen auffälligen Kontrast zur natürlichen Umgebung. Am Haupteingang des Parks lädt eine Cafeteria dazu ein, den Besuch des Parks kulinarisch abzuschließen.
Veteran für Landschaftsprojekte in China
Turenscape wurde 1998 von Professor Kongjian Yu, der auch ein Abgänger der Harvard University ist, gegründet. In den vergangenen 20 Jahren hat das Studio mehr als 1.000 Landschaftsprojekte in China geplant und entworfen. Die Projekte sind in 200 Städten angesiedelt. Insgesamt hat Turenscape 13 Auszeichnungen, unter anderem der American Society of Landscape Architects (ASLA) erhalten, weiters fünf World’s Best Landscape Awards beim World Architecture Festival.
Der Name leitet sich aus zwei chinesischen Schriftzeichen ab: „Tu” bedeutet Erde oder Land, während „Ren” für Menschen steht. Damit ist die Beziehung zwischen Landschaft und Mensch symbolisiert. Die Unternehmensphilosophie besteht darin, die Harmonie zwischen beiden herzustellen und eine nachhaltige Umwelt für die Zukunft zu schaffen.
Text: Linda Benkö
Fotos: Turenscape / Kongjian Yu, Jin Zhang; LBM1948