Das schöne „Herz“ von Amaravati
Die neue Hauptstadt des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh soll ein schönes, nachhaltiges „Herz“ bekommen: Das Büro Foster + Partners hat einen famosen Masterplan für den Regierungskomplex entworfen. Und das Konzept würdigt Indiens architektonisches Erbe auf exquisite Art.
Obwohl dort großartige Projekte in Arbeit sind: Geht es um Andhra Pradeshs neue Verwaltungshauptstadt Amaravati, ist in Indiens Medien derzeit vor allem von Kontroversen die Rede. Denn anders als ihre Vorgänger würde die jetzige Regierung sie lieber zum reinen Legislativ-Zentrum degradieren. Dies stößt auf heftigen Widerstand. Schließlich wurde Amaravati erst 2015, ein Jahr nach der Abtrennung des neuen Bundesstaates Telangana, zu Andhra Pradeshs Hauptstadt ernannt. Seitdem wird engagiert auf- und ausgebaut.
So ist hier etwa ein höchst spannendes Projekt im Werden: Das renommierte Büro Foster + Partners hat den Masterplan für den Regierungskomplex entworfen, der in der Tat absolut „hauptstadtwürdig“ ist.
Die Anlage erstreckt sich über ein fünfeinhalb mal einen Kilometer großes Gelände. Sie soll den Mittelpunkt des 217 Quadratkilometer großen Amaravati bilden. „Herzstücke“ des Masterplans sind Gebäude für die gesetzgebende Versammlung, das Höchstgericht und die Büros der Staatsverwaltung. Inspiration holte sich das Architekten-Team aus der lokalen Geschichte und Kultur. Die indische Architekturlehre Vastu findet hier ebenso ihren Niederschlag wie die Form buddhistischer Stupas.
Nachhaltig und grün
Am Ufer des Krishna Flusses gelegen, verfügt Amaravati über reichlich Süßwasser. Und es soll zu einer der nachhaltigsten Städte der Welt werden. Mit einem effizienten urbanen Netz, das die Struktur bestimmt. Von Lutyens New-Delhi und dem New Yorker Central Park beeinflusst, zieht sich ein grüner Rücken durch die Stadt. Dieser bildet die Basis der Umweltstrategie des Masterplans, der mindestens 60 Prozent der Fläche für Grün oder Wasser reserviert.
Der Plan für Amaravati wurde nach den höchsten Nachhaltigkeitsstandards entworfen – mit den modernsten, derzeit in Indien angewendeten Technologien. So setzt man etwa auf Photovoltaik und auf eine Verkehrsstrategie mit Elektrofahrzeugen, Wassertaxis und Radwegen. Auch schattige Straßen und Plätze sind Teil des Konzepts, das dazu motivieren soll, die Stadt zu Fuß zu erobern.
Südlich des Flusses wächst ein gemischt genutztes Viertel. Es gruppiert sich um 13 städtische Plätze, die für die 13 Bezirke von Andhra Pradesh stehen. In der Mitte des grünen Rückgrats ruht das Gebäude der gesetzgebenden Versammlung – als demokratisches und kulturelles Symbol für die Bürger des Bundesstaates. Dieses Bauwerk setzt der Masterplan ins Zentrum eines großen Süßwassersees. Und er umrahmt es mit dem Sekretariat und den Kulturgebäuden.
Der quadratische Grundriss folgt den Vorgaben der Vastu-Prinzipien zu Platzierung, Gestaltung und Bauweise nach den Naturgesetzen der fünf Elemente. Der öffentliche Eingang liegt im Norden, jener für die Minister im Osten. Der Plenarsaal befindet sich in der südwestlichen Ecke des Gebäudes, die als verheißungsvollste gilt. Den Ratssaal sehen die Foster + Partners Architekten im Nordosten, während die Verwaltungsbüros im nordwestlichen Teil Platz finden.
Alte Lehre fürs neue Amaravati
Ebenso im Sinn der Vastu-Ideale, ist das Zentrum als innenhof-ähnlicher, leerer Bereich konzipiert. Es soll die meiste Zeit des Jahres öffentlich zugänglich sein. Damit soll die Hauptstadt Amaravati einen Ort bekommen, an dem die Bürger mit ihren gewählten Vertretern zusammentreffen können.
Eine spiralförmige Rampe führt zum Kulturmuseum und zur Aussichtsgalerie. Von dort aus werden Besucher „Demokratie in Aktion“ hautnah miterleben können. Das Gebäude wird von einem 250 Meter hohen Kegeldach mit weit auskragendem Vordach geschützt. Dieses bietet Schatten, lässt jedoch auch zu, dass eine kühle Brise durchs Bauwerk zieht.
Stupa-Dach und Tempel-Form
Der hohe Hofkomplex liegt abseits der Mittelachse. Die Form seines Stufendachs erinnert an Indiens alte Stupas. Die tiefen Überhänge des Daches spenden Schatten und ermöglichen natürliche Belüftung. Inspiration für den Grundriss dieses Gebäudes lieferte die traditionelle Tempelanordnung: Konzentrische Schichten von Räumen und Zirkulationsbereichen wechseln einander ab.
Für stark öffentlich frequentierte Bereiche wie Verwaltungsbüros und untere Instanzen reserviert der Masterplan die äußeren Ränder des Neubaus. Das hohe Gericht und die Räume der Höchstrichter hingegen sollen im Inneren platziert werden. Für erholsamen Freiraum sorgen ein üppig bepflanzter Innenhof und ein Dachgarten.
Insgesamt versprechen die Renderings des Masterplans für Amaravati eine prächtige, weitläufige und herrlich grüne „Stadt in der Stadt“. Mit Wegen, Plätzen und Gebäuden, die an legendäre indische Monumente erinnern, zugleich aber aktuellen Zeitgeist atmen.
Gewürdigte Geschichte
Materialien, Formen und Farben würdigen zudem Landschaft und Geschichte der Region. Immerhin wurden im Umfeld von Amaravati schon vor rund 2.000 Jahren die ersten Gesetze auf dem Boden des modernen Andhra erlassen.
Dass sich das britische Architekturbüro Foster + Partners darauf versteht, am Puls von Zeit und Ort zu planen, ist bekannt. Sei es das Design von inzwischen mehr als zehn spektakulären Apple Stores in aller Welt, der Flex-Office Bürokomplex „ICÔNE“ in Luxemburg oder der New Yorker Wolkenkratzer „425 Park Avenue“ mit Öko-Siegel: Das 1967 von Norman Foster gegründete Studio genießt international höchstes Ansehen. Umweltschutz und Lebensqualität stehen ganz oben auf der Agenda des mehrfach preisgekrönten Teams.
Vorbild-Stadt Amaravati
Mit dem Masterplan für den beeindruckenden Regierungskomplex kommt Amaravati dem Ziel, zukunftsorientiertes Vorbild für andere indische Städte zu werden, näher. Zudem bereichert das neue „Herz“, das Foster + Partners konzipiert haben, die junge Hauptstadt um architektonische Highlights. Um solche, die wohl ihrerseits auf viel mediales Interesse stoßen werden – in Indien und international.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Foster + Partners