Das Haus, das mit der Sonne wandert
Im Sommer ist Schatten gefragt, im Winter Licht. Zu dumm, dass es keine beweglichen Häuser gibt? Irrtum: Es gibt sie. Das Quadrant House des polnischen Architekturbüros KWK Promes macht’s möglich.
Manche Kundenwünsche klingen illusorisch. Wie jener, mit dem ein Klient den polnischen Architekten Robert Konieczny konfrontierte: Ein neues Eigenheim, das sich Saison und Sonnenstand anpasst.
Abseits konventioneller Pfade
So, dass die Räume bei Sommerhitze wohlig kühl, an Wintertagen aber hell und freundlich sind. All dies in Form einer Immobilie, die – wie der Name definiert – in der Regel nicht mobil ist.
Doch mit Architekt Konieczny hatte der Kunde den richtigen Partner für seine Vision eines beweglichen Hauses gefunden. Denn Koniecznys Büro KWK Promes ist bekannt für technische Lösungen, die Bewegung in sonst immobile Strukturen bringen. Das „Quadrant House“ getaufte Projekt, das in diesem Fall entstand, ist ein weiteres Beispiel für kreative Architektur abseits konventioneller Pfade.
Das Quadrant House besteht aus zwei feststehenden rechteckigen Blöcken unterschiedlicher Größe. Zwischen den beiden, im rechten Winkel zueinander angelegten Fix-Modulen liegt ein schmalerer Trakt, der auf in die Gartenfläche eingebauten Schienen mit dem Sonnenstand hin und her wandert. Dieser ist als offene, überdachte Terrasse konzipiert, die sich wie ein Zeiger bewegt.
Bewegte Haus-Erweiterung
Zu bestimmten Zeiten schließt sich der bewegliche Trakt nahtlos an einen der festen Gebäudeteile an. Dadurch wird er etwa zur beschattenden Erweiterung des Wohnraums im einen Flügel des Hauses, oder des SPA-Bereiches auf Gegenseite. Ist im jeweiligen Raum jedoch mehr Licht gewünscht, gleitet die mobile Terrasse exakt zur Position, die dies ermöglicht.
Der Investor wollte ein Haus, das auf den Sonnenstand reagiert. Deshalb haben wir das Motiv des Quadranten gewählt – eines alten Hilfsmittels zur Bestimmung der Position der Sterne.
Architekt Robert Konieczny, KWK Promes
Architekt und KWK Promes Gründer Robert Konieczny beschreibt die Grundzüge des Konzepts so: „„Wir haben eine Terrasse designt, die auf die Sonne reagiert und ihr folgt. Abhängig von der Saison reguliert sie das Sonnenlichtaufkommen in den anliegenden Räumen. Bei gutem Wetter oder abends, wenn das Haus offen ist, kann die Terrasse als erweiterte Tageslicht-Zone oder zusätzlicher SPA-Bereich genützt werden“.
Auch die Verglasung ist mobil
Ein wichtiges Detail der Konstruktion ist die rahmenlose Verglasung des beweglichen Hauses. Die weitläufigen Fensterflächen versinken auf Wunsch mittels motorisiertem Gleitsystem völlig in der Wand. So kann die mobile Terrasse jederzeit zur offenen Erweiterung der jeweils anliegenden Räume werden. Wohn- und SPA-Bereich können also je nach Bedarf als geschlossene Zimmer oder als offene, luftige Wohlfühlzonen genützt werden. Spezielle Rollladen bieten Licht-, Sicht- und Windschutz.
Das Verglasungssystem, das all dies möglich macht, wurde von der Schweizer Firma Sky Frame eigens für das bewegliche Haus entwickelt. „Als wir an den Details des Designs arbeiteten, haben wir eine Kooperation mit diesem Spezialisten für rahmenlose Schiebefenster begonnen. Sky Frame hatte damals noch kein so großflächiges Set zur Verfügung. Aber unser Konzept fand Gefallen und wurde als Design-Herausforderung betrachtet. In den folgenden sechs Monaten hat Sky Frame einen völlig neuen Prototyp für unser Quadrant House kreiert und an Ort und Stelle programmiert“.
Beweglich wie die Sonnenuhr
Die „Wanderung“ des mobilen Gebäudeteils wurde so eingestellt, dass sie ständig und kontinuierlich abläuft. „Damit kann auch das Gras darunter ungestört und natürlich weiter gedeihen“, schildert Konieczny. Manuelle Änderung dieser Programmierung sei jedoch ebenfalls jederzeit möglich.
Der Mechanismus, der dem Quadrant House Beweglichkeit verleiht, wurde von Comstal entworfen und gefertigt. Mit diesem Unternehmen hat KWK Promes bereits mehrfach zusammengearbeitet – bei anderen Projekten, die ebenfalls mit großen beweglichen Elementen ausgestattet wurden. Dazu zählen etwa KWK Promes’ „Safe House“, das Dialogzentrum Przelomy des Nationalmuseums in Stettin und Konieczny’s mit einer Zugbrücke ausgestattetes Projekt „Ark“, das 2017 den Wallpaper Design Award als „Bestes Privathaus“ erhielt.
Die Mauern und Decken des Quadrant House wurden in monolithischer Technologie gefertigt, die Dachkonstruktion mit Holz. Für das Finish der Wände wählte Konieczny STO Gips, beim Dach wurden TPO Firestone Dachbahnen verwendet.
Wenn ich etwas mir selbst erklären kann, kann ich es auch dem Kunden erklären, für den ich das Gebäude entwerfe
Robert Konieczny, Architekt
Dass die beiden fixen Gebäudeteile unterschiedliche Dächer haben, ergab sich durch einen nötigen Kompromiss: Der Kunde hatte ein Flachdach gewünscht. Doch die lokalen Vorgaben des Vorstadt-Bezirks, in dem das erste Quadrant House entstand, verlangten nach Dachschrägen. Konieczny fand auch dafür eine Lösung: „Deshalb sieht man von der Straßenseite aus nun einen Giebel, vom Garten her aber ein Flachdach“.
Die Position des Hauses wurde so konzipiert, dass sie den Bewohnern größtmögliche Privatsphäre sichert – vor allem für Bereich der schwenkbaren Wohnzimmer-Terrasse, den die Bewohner jederzeit ganz öffnen können.
Mit dem beweglichen Quadrant House beweist Robert Konieczy einmal mehr, dass mit innovativen Konzepten auch außergewöhnliche Wünsche erfüllbar sind. Wie beispielsweise sein Grazer Berufskollege Thomas Pucher, der derzeit das neue Warschauer Opernhaus baut, sieht Konieczny es als willkommene Herausforderung, komplexen Anforderungen gerecht zu werden.
Kreative Problemlösungen
Wie er seine kreativen Ideen entwickelt, beschrieb der polnische Architekt in Interviews mit einer scheinbar simplen Gedankenkette: „Wenn ich mir selbst etwas nicht erklären kann, suche ich nach der richtigen Lösung. Kann ich eine passende finden, mache ich weiter. Und wenn ich etwas mir selbst erklären kann, kann ich es auch dem Kunden erklären, für den ich das Gebäude entwerfe“. Ein erfolgreicher Weg. Das Quadrant House hat inzwischen bereits weitere Klienten begeistert.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: KWK Promes, Olo Studio, Juliusz Sokoàowski, Jaroslaw Syrek