Wo man auf Müll abfährt
Bis dato mussten die Dänen raus aus ihrem Land, um Skifahren zu können. Jetzt können sie ganzjährig von ihrer Müllverbrennungsanlage CopenHill abfahren. Kein Scherz! Ein spektakuläres Architektur-Projekt macht’s möglich.
Es mag Zufall sein. Glück. Oder die offenbar unendliche Weitsicht des Architektur-Superstars Bjarke Ingels. Egal. Jedenfalls ist es ihm und seinem internationalen Architektur-Studio BIG zu danken, dass die Dänen selbst in Corona-Zeiten die Piste runterwedeln können. Ingels hat nämlich eine Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen unter anderem mit einer Skipiste versehen. Name des spektakulären Baus: CopenHill.
CopenHill: Kunstwort für Fremdwörter
Ein Kunstbegriff, der aber bereits mit einem leisen Augenzwinkern die Skurrilität der ganzen Sache aufgreift. Denn: In Dänemark ist der Begriff „Hill“, also „Berg“, in der Tat so etwas wie ein Fremdwort. Nur um die Relationen gleichzurücken: Der höchste „Berg“ Dänemarks ist 170 Meter hoch. Also eher eine Bodenwelle als sonst etwas. Aber: Dennoch sind 15 Prozent der Dänen begeisterte Skifahrer.
Bjarke Ingels hat noch lange vor Corona ein Konzept für eine moderne Müllverbrennungsanlage entwickelt, das die Dänen nun vom internationalen Skitourismus – zumindest ein bisschen – unabhängig macht.
440.000 Tonnen Abfall
Womit wir also wirklich beim Projekt CopenHill angelangt wären. Dabei handelt es sich vereinfacht ausgedrückt um die gigantische Müllverbrennungsanlage namens Amager Bakke, die nahe Kopenhagen errichtet wurde. Und um das Kraftwerk, in dem jährlich 440.000 Tonnen Abfall in Energie umgewandelt werden, der lokalen Bevölkerung schmackhaft zu machen, lotete man zu Projektstart möglichst viele Optionen aus. Eben hier kam Bjarke Ingels und sein Studio BIG erst ins Gespräch und dann auch ins Geschäft. Und so ist man heute stolz, nicht nur das spektakulärste sondern auch das „sauberste Müllheizkraftwerk der Welt“ in Kopenhagen fertiggestellt zu haben.
Dass es sich bei CopenHill um ein nicht alltägliches Bauwerk handelt, erkennt am schon bei einem oberflächlichen Blick: Das Objekt zeichnet sich durch seine keilförmige Form, das geneigte grüne Dach und die blockige Fassade aus 1,2 Meter hohen und 3,3 Meter breiten Aluminiumziegeln aus, die wie gigantische Ziegelsteine gestapelt sind. Sieht man nicht jeden Tag. Technisch spannend wird es dann im Inneren. Hier ist die Anlage mit den neuesten Technologien in der Abfallbehandlung und Energieerzeugung ausgestattet, die in der Lage sind, Abfall tatsächlich in saubere Energie zu erzeugen. Täglich beliefert das Kraftwerk nun bereits 150.000 Haushalte in Kopenhagen mit Strom und Fernwärme.
CopenHill mit Special Effects
Der echte Clou liegt aber natürlich in den „Special Effects“ von CopenHill. Das Kraftwerk wurde von BIG nämlich so konzipiert, dass es als öffentliches Naherholungsgebiet genutzt werden kann. Das fasst Mastermind Ingels so zusammen: „Als Kraftwerk ist CopenHill so sauber, dass wir seine Gebäudemasse ohne Gewissensbisse zur Grundlage des sozialen Lebens der Stadt machen konnten: Seine Fassade ist kletterbar. Das Dach ist begehbar. Und seine Hänge sind befahrbar.“
Es sei „ein kristallklares Beispiel für hedonistische Nachhaltigkeit – dass eine nachhaltige Stadt nicht nur besser für die Umwelt ist – sie ist auch angenehmer für das Leben ihrer Bürger“, so der BIG-Boss weiter.
Aber bevor wir uns in Ingels Selbstlob verfangen, werfen wir einen konkreten Blick auf das spektakulärste Feature von CopenHill: Die Kunstrasen-Skipiste. Sie misst 400 Meter und verläuft von der Spitze des 90 Meter hohen Gebäudes bis zu seiner Basis. Auf halber Strecke darf man gerne mittels Pflugbogerl oder Stemmschwung eine 180-Grad-Kurve nehmen. Rauf geht’s freilich mittels Skilift – ein Tellerlift und Teppichlifte stehen zur Wahl. Wer jedoch während des Skitags einen Blick in die Müllverbrennungsanlage werfen möchte, kann mit einem Glaslift hochfahren, der durch das Innere des Kraftwerks führt.
Fettverbrennung ist angesagt
Aber man muss kein Skifahrer sein, um CopenHill zu lieben! Eine Dachbar lockt mit Drinks, ein Cross-Fit-Bereich sowie eine 85 Meter hohe Kletterwand und der 490 Meter lange Wanderweg mit Möglichkeiten zur Fettverbrennung. All das ist in einen „üppigen Garten“, wie betont wird, eingebettet. Dieser wurde von SLA-Architekten entworfen und soll eine „lebhafte grüne Oase“ in der Stadt sein, um Lebensraum für Vögel, Bienen und Blumen zu schaffen. Gleichzeitig würde das begrünte Areal Wärme absorbieren, schädliche Luftpartikel entfernen und den Regenwasserabfluss minimieren.
Dieses Zusammenspiel aus vielen unterschiedlichen „grünen“ Facetten, macht CopenHill für Ingels zu einem „perfekten Beispiel dafür, dass wir die Macht haben, der Zukunft, in der wir leben wollen, eine Form zu geben.“ Und er fragt sich weiter: „Auf dem Gipfel dieses von Menschenhand geschaffenen Berges zu stehen, macht mich neugierig: Welche Ideen in den Köpfen zukünftiger Generationen hier wohl geweckt werden?“
Aktuell kann man jedenfalls sagen: Wer am künstlichen Gipfel ins Tal blickend trotz Corona-Verbots die Idee von Après-Ski-Party hat, dem kann hier sogar geholfen werden: Am Fuße des Kunstbergs wartet schon das vermutlich beste Après-Ski-Lokal das man sich vorstellen kann: Das weltberühmte Sternerestaurant Noma nämlich.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Hufton + Crow