In Falten gelegt
Während dem beton brut mancherorts die Abrissbirne droht, feiert er in Tiflis ein Revival. Die in Betonfalten gelegte Coffee Factory Meama ist als Business Building of the Year nominiert.
Von der Straßenseite ist es nicht als Gebäude erkennbar. Hier wirkt es eher wie eine monolithische Skulptur. Die Betonfassade ist ziehharmonikaartig gefaltet und weist keinerlei Öffnungen auf. Von oben ist das Bauwerk dagegen kaum auszumachen. Fluggäste des nahegelegenen Flughafens bekommen das begrünte Dach mit den zahlreichen Oberlichten zu sehen. Erst von der Rückseite, wo ein kleiner Föhrenwald steht, erschließt sich die neue Coffee Factory Meama außerhalb von Georgiens Hauptstadt Tiflis.
Radikal geschlossen, radikal offen
Hier weichen die Falten etwas nach oben, um Patz für ein verglastes Dreieck zu machen – den Eingangsbereich. Es hat etwas Symbolhaftes, wenn Besucher unter der schweren, hochgeschobenen Falte hindurchgehen und das scheinbar hermetisch geschlossene Gebäude betreten. Der Geschlossenheit von außen steht eine Öffnung von innen gegenüber.
In der imposanten Lobby der Kaffeefabrik ist alles in helles Licht getaucht, das von drei begrünten Innenhöfen und den besagten Oberlichten kommt. Aus schrägen Flächen im Steinboden quillt üppiges Grün wie in einer Parkanlage. Wege und Treppen führen nach oben zum Café, dem Verkostungs- und Shopbereich und zu den Büros.
Reminiszenz an den Brutalismus
Die Coffee Production Plant Meama, so der offizielle Name des Gewerbebaus, wurde vom lokalen Architekturbüro Giorgi Khmaladze Architects entworfen. Mit seiner geometrischen Form und der monumentalen Fassade in rohem Beton weckt es Erinnerungen an die Ära des Brutalismus, der in der Sowjetunion eine ganz eigene Ästhetik aufwies. Während Bauten aus dieser Zeit lange als „Betonmonster“ und „hässliches Erbe“ verachtet wurden, erfuhr die Stilrichtung in den letzten Jahren eine Neubetrachtung und Aufwertung.
Das Material wählten die Architekten vor allem aufgrund seiner Langlebigkeit und seiner ästhetischen Qualitäten. „Die durchgehende Betonfassade faltet sich zu einer doppelt gekrümmten geometrischen Form“, erklärt das Architekturbüro. „Seine Erscheinung ändert sich im Laufe des Tages, je nach Sonnenstand, und erzeugt ein Zusammenspiel aus Licht und Schatten.“
Seine Erscheinung ändert sich im Laufe des Tages, je nach Sonnenstand, und erzeugt ein Zusammenspiel aus Licht und Schatten.
Architekturbüro Giorgi Khmaladze
Im Inneren folgt das Konzept einem weiteren Gestaltungsmerkmal des Brutalismus, nämlich dem Prinzip der sichtbaren Konstruktionen. Alle Baustoffe werden roh und unbearbeitet verwendet, alle Installationen und Träger sind gut sichtbar und werden nicht hinter Putz oder einer Verkleidung versteckt. Es wird nichts vergipst und auch nichts in irgendeiner Weise verschönt.
Preisgekrönte Formensprache
Auch wenn die Coffee Factory Meama eine stilistische Verwandtschaft mit den Betonriesen aus vergangenen Tagen aufweist, so kann von Abklatsch keine Rede sein. Innovation in Sachen Design und Bautechnik haben den Architekten eine Nominierung für den Dezeen Business Building of the Year Award 2020 eingebracht. „Seine prominente Lage verlangte nach einem Gebäude, das nicht dem üblichen Erscheinungsbild einer Fabrik entspricht“, so das Architekturbüro. „Der Auftraggeber wollte für die neue Kaffeemarke eine starke visuelle Identität schaffen.“
Der Auftraggeber wollte für die neue Kaffeemarke eine starke visuelle Identität schaffen.
Architekturbüro Giorgi Khmaladze
Die skulpturale Formensprache außen richtet sich nach den Gegebenheiten im Inneren und folgt damit dem Prinzip Form follows function. Das wellenförmige Dach wölbt sich nach oben, wo die Fabriksmaschinen ihren Raum benötigen. In anderen Bereichen senkt es sich ab und schafft so eine spannungsvolle Form, sowohl außen als auch innen. Die Oberfläche des Daches ist mit wildem Gras bewachsen und für Mitarbeiter der Fabrik über zwei Dachterrassen zugänglich.
Freunde des beton brut
Die äußerst stabile Betonhülle ermöglicht einen radikal offenen Raum im Inneren, ohne unterbrechende Säulen oder tragende Stützen. Die bis zu 16 Meter hohen Bereiche im Inneren werden durch Glaswände abgeteilt und schaffen so maximale Transparenz. Dies ermöglicht durchgehende Sichtbezüge von einem Ende des Gebäudes zum anderen.
Der Beton für die massiven Außenwände wurde direkt an Ort und Stelle gegossen. Zwischen der äußeren und der inneren Betonhülle befindet sich eine Isolierungsschicht, was dem Gebäude eine hohe Energieeffizienz beschert. Dies wird durch die dämmende Dachbegrünung verstärkt, die mit ihrer gewellten Form zudem den topografischen Fußabdruck minimiert.
Und immer wieder beschwören die Designer die Ästhetik des beton brut. Auch wenn Gegner des Brutalismus dem vehement widersprechen würden, die Architekten sind überzeugt: „Die gefaltete Betonfassade wird gut altern.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Giorgi Khmaladze Architects