Wo die Wolken hochgehen
In Shenzhen entsteht ein Museum, das eigentlich ins Meer gehört. Am Ende aber nimmt es nun Anleihe an wogenden Wellen, die aber am Ende Wolken sind. Jedenfalls heißt das spektakuläre Objekt „Clouds on the Sea“.
Wenn der Auftrag lautet, ein Schifffahrtsmuseum zu bauen, das möglichst in die Natur eingebettet sein soll, dann will man dieses Ding einfach ins Meer stellen. Zumindest wäre die Sache naheliegend. Und ist auch keineswegs abwegig. Das beweist der Bau des spektakulären Unterwassermuseums in Amsterdam. Hierbei haben ZJA Architects kurzerhand eine Art Unterwasser-Luftblase geschaffen. Bloß, um ein gesunkenes und geschichtsträchtiges Schiff zugänglich zu machen. Aber – andere Baustelle.
Unsere Geschichte spielt nämlich nicht in Amsterdam, sondern vielmehr im chinesischen Shenzhen. Das dort beheimatete „Maritime Museum“ soll einen neuen Standort bekommen. Und zwar in der Longqi-Bucht der Halbinsel Dapeng. Also, Wasser wäre vorhanden. Doch die Lösung, die nun präsentiert wurde, geht in eine gänzlich andere Richtung.
88 Designteams aus 20 Ländern
Aber alles der Reihe nach. Das Projekt ist in seiner Dimension durchaus beachtlich. Das unterstreichen die Eckdaten des dafür ausgelobten Architekturwettbewerbs: 88 hochkarätige Designteams hatten sich mit insgesamt 170 Designbüros aus 20 Ländern dafür beworben. In einer finalen Phase wurden dann 15 Gruppen in die engere Auswahl genommen. Sie durften ihre Lösungen persönlich präsentieren, bis es hieß: The Winner is – traraaa – SANAA!
Zwei Hochkaräter in Aktion
Das japanische Architektur-Studio ist alles andere als unbekannt. Vor allem die beiden Chefs Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa genießen höchstes internationales Ansehen. „Wir konzentrieren uns auf die Essenz. Das ist das Wichtigste für uns. Und die Essenz eines Raumes ist nun mal weiß. Noch reduzierter geht es nicht, dann wäre unsere Architektur wahrscheinlich durchsichtig und unsichtbar“, sagen die beiden Pritzker-Preisträger über ihren architektonischen Weg.
Externe Beobachter sind da etwas präziser: SANAA baut im Stil des Minimalismus, hauptsächlich mit Sichtbeton, Stahl, Aluminium und Glas. Die Materialien bleiben meist unbehandelt, Anstriche gibt es ausschließlich in Weiß.
Eben diese Reduziertheit auf das somit Wesentliche hat die Juroren schlussendlich wohl begeistert. Die offizielle Begründung zur Entscheidung liest sich schließlich so: „Nach Ansicht der Jury spiegelt der Entwurf das Konzept einer schwimmenden Architektur wider. Diese ermöglicht es dem Museum, auf sanfte und bescheidene Weise mit den Bergen und dem Meer zu verschmelzen. Und sich in die einzigartige geologische Umgebung der Dapeng-Halbinsel einzufügen“.
Clouds on the Sea rollt übers Meer
Tatsächlich ist das von SANAA selbst als Clouds on the Sea bezeichnete Projekt eine Ansammlung halbkugelförmiger Gebilde, die mit einem nicht nur optisch spannenden Gitterdach überzogen sind. Dazu später mehr. Jedenfalls verfolgten die Architekten bei ihrem Konzept die Idee, das 100.000 Quadramter große Museum in Form horizontaler Wolkenstrukturen zu entwickeln. Diese Wolken wiederum sollten so aussehen, als würden sie wie Wellen (ja, das ist ein wenig verwirrend) über das südchinesische Meer rollen. Wir erinnern uns: Schifffahrtsmuseum!
Clouds on the Sea sei ein horizontales Wahrzeichen, das man sich wie Wolken vorstellen muss, die aus dem Meer aufsteigen. Wie ein Museum, das aus dem Ozean geboren wurde.
SANAA Architects
Diese etwas überraschend Dualität aus Wolken und Wellen erklärt SANAA übrigens so: „Das Shenzhen Maritime Museum ist eine Fortsetzung der natürlichen Umgebung zwischen den Bergen der Dapeng-Halbinsel und dem Meer der Longqi-Bucht.“ Clouds on the Sea sei ein „horizontales Wahrzeichen, das man sich wie Wolken vorstellen muss, die aus dem Meer aufsteigen. Wie ein Museum, das aus dem Ozean geboren wurde.“ Vielleicht kann man die Sache so zusammenfassen: Weil die Sache auf dem Land, eingebettet von Hügeln, entstehen soll, wurde die ähnliche Form von Hügeln und Wellen erkannt und in Wolkenform wiedergeboren.
Dies optische Luftigkeit der großen Halbkugeln jedenfalls resultiert aus dem schon erwähnten Gitterdach, das hierfür entwickelt wurde. „Strukturell ist der halbkugelförmige Kuppelraum als Glaskugel konzipiert, um natürliches Licht einzulassen,“ so SANAA. Gleichzeitig aber wurden an komplex berechneten Flächen undurchsichtige Materialien verbaut, „um das natürliche Licht abzuschirmen“, so SANAA. Um zuviel Erwärmung zu verhindern.
Weiße Wolke, die über dem Meer schwebt
Über diesen so genannten „Sphären“ liegt ein leichtes, schwebendes Netz aus rostfreien Metalllamellen. Dieses soll die Besucher zusätzlich vor dem heißen subtropischen Sonnenlicht abschirmen. Außerdem aber sind diese Lamellen auch dafür verantwortlich, dass der ausgedehnte Bau „ein einheitliches Erscheinungsbild bekommt, das mit der der Landschaft in Einklang steht“, so die Architekten. „Letztlich schwebt die weiße Wolke über dem Meer und verändert ihr Aussehen je nach Wetter und Zeit.“
Erscheinungsbild: Sehr gut.
Wann Clouds on the Sea fertiggestellt werden soll, ist noch unklar. Auch ein Baustart wurde noch nicht verkündet. Allerdings kann man schon jetzt festhalten: Egal wie verworren vielleicht die Erzählung eines Zusammenspiels aus Hügeln, Wogen und Wolken sein mag, das Teil sieht schon richtig beeindruckend aus. Gut also, dass es nicht unter Wasser gebaut werden wird.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: SANAA