Smart gegen den „Godzilla des Leerstands“
Eine alte Gewerbehalle als coole Büro-Location, ein Parkhaus als grüne Wohnanlage: Das Büro smartvoll macht mit adaptiven Re-Use-Projekten Furore. Architekt Christian Kircher über neue Lösungen, die die Baubranche dringend braucht.
Im Büro des österreichischen Architekten-Teams smartvoll herrscht stets entspannte, konzentrierte Geschäftigkeit. Draußen: Die engen Gassen des für seine bunte Kultur- und Lokalszene beliebten siebten Bezirks von Wien. Und eine Großbaustelle, die dem Ausbau des U-Bahn-Netzes dient. Drinnen: Zig Modelle, Pläne, Rechercheergebnisse und Ideen zur Lösung dringender Probleme wie Klimawandel, Bodenverbrauch und Wohnungsnot. Denn genau darauf haben sich die smartvoll-Gründer Christian Kircher und Philipp Buxbaum spezialisiert. Mit großem Erfolg.
Die Liste der Awards und honorigen Nominierungen, die das 2013 gegründete Büro für sich verbuchen kann, wird stetig länger. Besondere Beachtung finden seit Jahren jene Projekte, bei denen smartvoll auf Umnutzung brach liegender Gebäude setzt.
Wie Altbestand zu Zukunft wird
Adaptiver Re-Use, geschickt umgesetzt, spart schließlich nicht nur Abbruchschutt und Materialaufwand, sondern bedarf auch keines weiteren Bodenverbrauchs. Kein Wunder also, dass smartvoll-Projekte wie „Handelszentrum 16“ und „Autopalast“ in Salzburg international auf großes Interesse stoßen. Ersteres hat eine Industriebrache in eine lebendig nachhaltige Büro- und Gewerbe-Anlage verwandelt. Und Zweiteres macht nun ein City-Parkhaus zum lebenswert grünen Wohnkomplex.
Die Baubranche steht vor der Herausforderung, dass man die Zukunft nicht mit den Lösungen der Vergangenheit reparieren kann.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von smartvoll
Wie die Lösungen des innovativen Architekten-Teams entstehen, und warum sie die Bauwirtschaft nachhaltiger und menschenfreundlicher gestalten könnten? Dies und mehr hat uns smartvoll Co-Gründer Christian Kircher im aktuellen Interview geschildert.
Ihr Büro setzt seit Jahren auf Umnutzung statt Abbruch von Bestandsgebäuden. Jetzt besagt eine aktuelle Studie der Wiener Universität für Bodenkultur, dass der Bodenverbrauch in Österreich inzwischen fünf Mal so hoch ist wie noch im Jahr 1975. Was fällt Ihnen dazu ein?
Christian Kircher: Wir nennen das intern den „Godzilla des Leerstandes“. Das sind die Industrie- und Gewerbebrachen. Hierzulande umfasst dieser Leerstand eine Fläche so groß wie die Stadt Graz. Das ist ein irres Potenzial, das wir nützen können, um der Bodenversiegelung entgegenzuwirken. Mittlerweile sollte man weniger von Baukultur und mehr von Umbaukultur reden.
Die Baubranche befindet sich ja derzeit in einer Krise…
Christian Kircher: Naja, ich denke, sie ist nur ratlos. Sie steht – wie viele andere Branchen auch – vor der Herausforderung, dass man die Zukunft nicht mit den Lösungen der Vergangenheit reparieren kann. Es findet einfach ein großer Umbruch statt. Was wir in den vergangenen 100 Jahren oder, sagen wir, seit der industriellen Revolution gemacht haben, kann so schlicht nicht mehr weitergehen. Und da herrscht nun großes Rätselraten darüber, was der nächste Schritt sein soll.
Und wie sollte dieser aussehen?
Christian Kircher: Meines Erachtens nach wäre es am besten, die Ressourcen, die man hat, wiederzuverwenden. Sowohl an Baumaterial, als auch im Gebäudesektor. So wenig neu bauen wie möglich. Und tut man es doch: Nutzungsoffen bauen. Mit nachwachsenden Rohstoffen.
Mit Holz, zum Beispiel?
Christian Kircher: Ja, zum Beispiel. Aber man kann jetzt ja nicht alles aus Holz bauen. Sonst haben wir keinen Wald mehr. Wir haben auch dort eine Herausforderung mit Fichtenmonokulturen. Im Holzbau ist die Fichte DER Baustoff schlechthin. Aber auch dieser ist enden wollend.
Worin liegt also die Lösung?
Christian Kircher: Es gibt eben nicht nur eine Lösung, die man macht, und dann ist alles gut. Es geht um eine Summe von Maßnahmen. Und eine besonders wichtige ist Nutzungsoffenheit.
Könnten Sie das bitte näher erklären?
Christian Kircher: Nehmen wir als Beispiel das Gebäude hier in Wien, in dem sich unser Büro befindet: Es steht seit 100 Jahren. Wo wir jetzt sitzen, war ursprünglich ein Café mit 400 oder 500 Plätzen. Darunter war ein Kino für ebenso viele Besucher. Und darüber waren Wohnungen. Es war eines der ersten Stahlbetongebäude Wiens und hat seit seiner Errichtung verschiedenste Nutzungen erlebt – unter anderem auch als Bank und als Einzelhandelsgeschäft. Inzwischen sind wir mit smartvoll hier und über uns logieren Büros und Wohnungen.
Das bedeutet: Das Gebäude ist nutzungsoffen. Das wird die nächsten 100 Jahre so weitergehen. Man muss nichts abreißen und nichts umbauen, sondern lediglich adaptieren. Und genau so sollte man denken, wenn man jetzt etwas Neues baut.
Wie schafft man es aber, Gebäude, die errichtet wurden, bevor von Nachhaltigkeit überhaupt die Rede war, so zu adaptieren, dass sie heutigen Standards entsprechen?
Christian Kircher: Die Voraussetzungen sind ja gegeben: Ein aufgeschlossenes Grundstück, zu dem eine Straße führt. Es gibt einen Kanal, Fernwärme oder was auch immer. Zudem hat man bei diesen Industriebrachen meist auch ein bestens intaktes Gebäude. Die Statik ist intakt, es ist dicht und wetterfest. Und es hat einen großen Vorteil: Es ist sehr kompakt. Das sind in Wirklichkeit relativ energieeffiziente Bauten – im Gegensatz zu Neubauten oder im städtischen Verband, wo sich alles ein bisschen verteilt.
Leerstand in Gewerbeanlagen ist ein riesiges, vielfältiges Potenzial, das es zu aktivieren gilt.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von smartvoll
Aber kommt es nicht sehr teuer, solche Altbauten auch im Inneren zu zeitgemäßer Qualität zu führen?
Christian Kircher: Darin befinden sich große Hallen. Ungenutzte Volumen, bei denen man leicht aus, beispielsweise, 4.000 Quadratmetern Grundfläche 8.000 machen kann, indem man sie nachverdichtet. Und das, ohne die Gebäudehülle angefasst zu haben.
Ein weiterer Vorteil: Will ich mehr Licht hineinbringen, mache ich einfach neue Fenster. Solche mit gutem Wärme- und Schallschutz. All diese Prozesse sind in Wirklichkeit sehr simpel und auch relativ kostengünstig.
Kommen wir zu einem der aktuellen smartvoll-Projekte: Dem Autopalast in Salzburg, bei dem Sie eine alte Parkgarage in ein modernes Wohnquartier verwandeln. Wie weit ist dieses Vorhaben inzwischen gediehen?
Christian Kircher: Wir sind aktuell in der Ausführungsplanung und zirka ein halbes Jahr vom Baubeginn entfernt. Die Grundflächen der Wohnungen werden festgelegt, Modelle gemacht, Verkaufsunterlagen vorbereitet und mehr. Ich denke, 2026 oder 2027 wird das Projekt fertig sein.
Das Modell zum Projekt zeigt direkt an den Gebäuden eine große leere Fläche. Was ist dort jetzt und was ist vorgesehen?
Christian Kircher: Dort ist ein großer Kinderspielplatz, der dann ins Gebäude hineinwachsen wird. Das wird ein großer, grüner Park.
Das smartvoll Team hat schon viele Umnutzungsprojekte durchgeführt und dafür auch mehrere Preise gewonnen. Wann und warum haben Sie und Ihr Partner Philipp Buxbaum beschlossen, sich auf Adaptive Re-Use zu konzentrieren?
Christian Kircher: Der Einstieg in das gesamte Themengebiet liegt zirka zehn Jahre zurück. Mit dem Gewinn des Wettbewerbs für das Loft in der Panzerhalle. Wir haben uns dann drei, vier Jahre mit unterschiedlichsten Bereichen dieser Panzerhalle – mit Markthalle, Beauty & Style, Restaurant – auseinandergesetzt. Dann haben wir, parallel und im Nachgang, analysiert, was dort passiert ist: Wir sind als klassische Architekten hineingestartet. Aber wir haben dabei erkannt, dass uns Architektur im Sinn von „ein bisschen Löcher in ein Gebäude schneiden, Box hineinstellen, …“ zu langweilig ist. Außerdem hatten wir schon begonnen uns für Themen zu interessieren.
War damit die Entscheidung, Umnutzung in den Fokus Ihrer Arbeit zu stellen, bereits gefallen?
Christian Kircher: Da kam einfach eines zum anderen: Als wir das Interieur der Panzerhalle mitentwickelt haben, haben wir gesehen, wie solche Orte transformiert werden. Und das hat einen Prozess eingeleitet, der uns letztendlich zu Adaptive Re-Use geführt hat. Wir haben uns Projekte angeschaut und uns Know-How angeeignet.
Mittlerweile hat auch der Zeitgeist das Thema erfasst. Es ist erst rund zwei Jahre her, dass in der Allgemeinheit angekommen ist, dass Bodenversiegelung eine große Herausforderung ist.
Inzwischen haben Sie aber auch andere, brandaktuelle Themen aufgegriffen…
Christian Kircher: Ja, zum Beispiel das Thema Biodiversität, das sich im „Autopalast“ wiederfindet. Auch CO2-Reduktion, die Wahl der dafür geeignetsten Baustoffe und wie das alles funktioniert. Die Themen, die wir aufgreifen, beeinflussen unsere Architektur.
Wie geht das vor sich?
Christian Kircher: Das ist immer eine Art Wechselspiel. Wir sehen, es gibt sehr spannende Themen, die für unser aller Zukunft relevant sind, und greifen sie auf. Weil für uns einfach feststeht, dass wir dem, was wir machen, einen positiven, nachhaltigen Footprint hinterlassen wollen. Der Weg dazu ist ein Prozess, der immer weitergeht.
Für uns steht fest, dass alles, was wir machen, einen positiven, nachhaltigen Footprint hinterlassen soll. Der Weg dazu ist ein Prozess, der immer weitergeht.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von Smartvoll
Die Investoren scheinen sehr zufrieden mit Ihrer Herangehensweise. Immerhin wenden sie sich – wie etwa im Fall von Panzerhalle und Autopalast – mit immer neuen Vorhaben an smartvoll…
Christian Kircher: Ja. Und man merkt auch, dass sich in der Gesellschaft wirklich etwas verändert. Und vor allem: Je jünger, desto offener für das Thema adaptive Re-Use. Wir bauen jetzt zum Beispiel auch ein Gemeindezentrum in Zellerndorf, wo der Bürgermeister gesagt hat, wir setzen das Gebäude lieber nochmal für 50 Jahre in Stand, statt es abzureißen.
Für ein anderes, bereits fertiges Gemeindezentrum, wurde smartvoll mit einem Erdreichpreis ausgezeichnet. Welches Projekt war das?
Christian Kircher: Das war jenes in Groß Weikersdorf und liegt schon etwas länger zurück.
Für Ihr Projekt Handelszentrum 16 haben Sie inzwischen schon sehr viel Applaus geerntet. Und jüngst hat smartvoll auch das spannende Projekt Autopalast präsentiert. Ist es leichter geworden, der Öffentlichkeit derart facettenreiche Vorhaben näherzubringen?
Christian Kircher: Es ist schon schwierig, so sperrige Themen nachvollziehbar darzustellen. Das haben wir schon beim Handelszentrum 16 festgestellt. Aber es ist toll, was geschieht, wenn Menschen dann zum ersten Mal vor Ort durchspazieren. Man kann dann an den Gesichtern sehen, dass klar wird, welches enorme Transformpotenzial solche Projekte bieten.
Wie eben das Handelszentrum 16, wo die Besucher staunend durch die Hallen wandeln. Und es ist ein persönliches Highlight für uns, wenn sie dann ins älteste Untergeschoss kommen und überrascht sehen, dass dort Garnelen produziert werden.
Garnelenzucht im ehemaligen Logistikzentrum eines Versandhauses? Wie wurde das möglich?
Christian Kircher: Dafür braucht man kein Licht, sondern nur eine konstante Temperatur, die aus der Abwärme des Handelszentrums generiert wird. Und dies ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die solche Orte bieten, obwohl man zuvor sicher nicht gleich daran denken würde. Im klassischen Architekturprozess würde man auch gar nicht darauf kommen. Da gibt es ein von Beginn an fixes Programm, das man erfüllen muss. Mitunter ist es bei Fertigstellung schon wieder überholt, weil sich Bedürfnisse, Formenstrukturen oder anderes inzwischen geändert haben. Das Spannende an der Umnutzung großer Hallen ist aber doch genau die Flexibilität, die sie in sich tragen.
Wäre das Handelszentrum 16 abgerissen worden, hätte allein der Abtransport des Abbruchmaterials ebenso viele LKW-Kilometer verursacht wie eine zweifache Weltumrundung.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von Smartvoll
Also haben nur große Anlagen so viel Potenzial?
Christian Kircher: Nein, die Bandbreite geht von x-large bis winzig. Wir haben auch schon sehr kleine adaptive Re-Use-Projekte umgesetzt, wie etwa das ehemalige Kutscherhaus gleich hinter dem Wiener Museumsquartier. Aus dem beengten Wohnbereich und der Futterkammer für die Tiere wurde eine geräumige, moderne Wohnung.
Ob in Österreich oder weltweit: Wie groß schätzen Sie das Potenzial dieser neuen Umnutzungsstrategie ein?
Christian Kircher: Ich halte es für riesig. Es muss nur aktiviert werden. Mit dem klassischen Zugang geht das nicht. Man muss neue finden, bei denen Entwickler, Architekt und Betreiber den gesamten Prozess begleiten und immer neue Bereiche betreuen. Ich persönlich meine, darum werden wir nicht herumkommen, wenn wir das Klimaproblem halbwegs in den Griff bekommen wollen. Immerhin ist die Baubranche beim CO2-Aussstoß für 40 und beim Abfallaufkommen für 50 Prozent verantwortlich. Das kann uns nicht egal sein.
Wenn adaptive Re-Use so viele Vorteile bringt, müssten alle Eigentümer von Industriebrachen doch eigentlich größtes Interesse daran haben. Warum ist dies bislang trotzdem eher selten der Fall?
Christian Kircher: Das ist ein sehr komplexes Thema. Ratlosigkeit, wie mit der Brache umzugehen ist. Weil Eigentümer über die Möglichkeiten noch nicht genug Bescheid wissen und sie nicht melden. Somit gilt Leerstand in Gewerbebauten momentan als noch kaum „erschlossen“. Auch weil es – noch – keine Daten darüber gibt. Mittlerweile gibt es eine Initiative des Bundesministeriums, um mit Hilfe von KI und Satellitenbildern aktiv nach Leerstand zu suchen. Generell steht fest, dass dieser in Gewerbeanlagen ein riesiges, vielfältiges Potenzial ist, das es zu aktivieren gilt. Man muss proaktiv auf die Eigentümer zugehen.
Weil es sinnvoll wäre, auch diesen Leerstand in Wohnungen zu verwandeln?
Christian Kircher: Genau. Wir haben gerade wieder ein solches Projekt, das Wohnungen schafft. Bei niedrigerem Baupreis als ein kompletter Neubau. Weil die Hülle ja bereits vorhanden ist.
Ich sehe es als unsere Aufgabe, diese Vorteile aufzuzeigen. Deshalb machen wir auch viele Führungen. Inzwischen tut sich auch etwas auf diesem Gebiet. Langsam, aber doch. Natürlich langsam, weil eines klar ist: Der klassische Architekt will bauen. Und – vom Preis angefangen – spielen hier immer viele Faktoren mit…
Was braucht ein brachliegendes Gebäude, um sich für Neunutzung zu eignen?
Christian Kircher: Da gibt es kaum Ausschlusskriterien. Altbestände haben grundsätzliche beste Voraussetzungen, was wiederum enormen Charme und Qualität verspricht. Die wenigsten sind tatsächlich baufällig.
Rechnet es sich also wirklich immer, auf Adaptive Re-Use statt Abbruch zu setzen?
Christian Kircher: Also bis jetzt bei unseren Projekten immer. Und teilweise sind wir weit unter Marktwert zu vergleichbaren Projekten.
Warum werden zum Beispiel alte Wohnhäuser trotzdem so oft abgerissen?
Christian Kircher: Ich denke, weil Abbruch zwar die Umwelt belastet, aber kaum etwas kostet. Und weil man dann vielleicht ein doppelt so großes Haus hinstellen kann, das mehr Ertrag einbringt. Das entspricht der klassischen Einstellung. Gefragt wäre jetzt allerdings kreatives „Out-of-the-Box“-Denken, dessen Vorteile wir zu propagieren versuchen.
Welches wären die Ihrer Ansicht nach derzeit wichtigsten Trends in Sachen Architektur?
Christian Kircher: Also ich glaube, dass Kreislaufwirtschaft und Biodiversität aktuell natürlich ein Riesenthema sind. Da gibt es in England mittlerweile ein Gesetz, das vorgibt, dass die Biodiversität nach allem, was gebaut oder gemacht wird, höher sein muss. Außerdem geht es darum, CO2-neutral zu bauen. Und natürlich um Erhaltung des Bestands, also Umbaukultur.
Dieter Brell vom auf Nachhaltigkeit konzentrierten deutschen Büro 3deluxe meint, bei neuen Bauprojekten sollten immer 50 Prozent Fläche an die Natur zurückgegeben werden. Aktuelle Daten belegen allerdings, dass weiterhin erschreckend viel Boden versiegelt wird…
Christian Kircher: Wie das mit den 50 Prozent genau gemeint ist, weiß ich zwar nicht. Aber es passt zum Ziel, die Biodiversität durch Bauprojekte zu erhöhen. Beim Autopalast zum Beispiel werden wir Flächen entsiegeln und Regenwasser dadurch optimal nützen können. In Salzburg regnet es rund 1,6 Millionen Liter Wasser pro Jahr, was für die Begrünung des Autopalasts ausreicht. Um die Spitzen abzufangen, braucht man nur eine Zisterne, die es sammelt, damit man es wiederverwenden kann. Und dann wächst dort auch etwas: Ein Bio-Habitat, das deutlich spannender ist, als wenn man das Wasser einfach in einen Kanal und zum nächsten Fluss abrinnen ließe.
Was an Entsiegelung schwierig sein soll, wüsste ich nicht. Der Knackpunkt ist vielleicht dieser: Es kostet etwas, bringt aber wirtschaftlich nichts ein.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von Smartvoll
Man hört allerdings häufig, Entsiegelung sei schwierig. Wie sehen Sie das?
Christian Kircher: Was an Entsiegelung schwierig sein soll, wüsste ich jetzt nicht. Der Knackpunkt ist vielleicht dieser: Es kostet etwas, bringt aber wirtschaftlich nichts ein. Es liegt wahrscheinlich einfach an diesem wirtschaftlichen Denken: Da ist ein brachliegendes Gewerbegebiet, das man aufbrechen und umnutzen könnte, und wo dann auch wieder ein Wald wachsen würde – aber wer hat Interesse, das zu bezahlen?
Die Auswirkungen und Gefahren des Klimawandels haben diesbezüglich – obwohl erwiesen und bekannt – also noch kein Umdenken bewirkt?
Christian Kircher: Die wirtschaftliche Abbildbarkeit ist noch nicht so einfach und die Allgemeinheit ist, denke ich, auch noch nicht so weit. Wenn jetzt, beispielsweise, irgendwo wieder eine Fläche entsiegelt wird, kostet das erst einmal etwas. Und vielleicht ist die positive Wirkung für die Umwelt im ersten Schritt nicht sofort erkennbar. Baue ich dort aber einfach ein neues Möbelhaus hin, geht das zehnmal schneller, und man verdient daran.
Allerdings: Inzwischen gibt es doch auch schon immer mehr Renaturierungsprojekte. Betrachtet man das große Ganze, sieht man ja auch, dass es in Zukunft heißer werden wird, und jedes Plus an Grün mehr Kühlung und mehr Lebensqualität verspricht.
Was könnte dazu beitragen, dieses Umdenken voranzutreiben?
Christian Kircher: Es gilt, Visionen zu zeigen und immer wieder anschaulich zu erklären. Barcelona ist hier mit den Superblocks schon einen Schritt weitergegangen. Genau wie Kopenhagen im Radverkehr.
Was raten Sie Städten, die mit Hitzeinseln, zu hoher Dichte und zu wenig Grünraum ringen?
Christian Kircher: Wir müssen weg von der Auto- und hin zur Kinder-gerechten Stadt. Derzeit ist die Stadt die größte versiegelte Fläche, die es gibt. Jedes bisschen Grün nützt. Wir brauchen mehr davon, mehr Bäume, begrünte Fassaden, Flächen und Dächer. Diesbezüglich sollten wir endlich schneller agieren.
Wie’s funktioniert, hat Künstler Friedensreich Hundertwasser mit Projekten wie dem Hundertwasserhaus im dritten Bezirk von Wien schon vor 60 oder 70 Jahren perfekt vorgeführt. Ich weiß noch aus meiner Studienzeit, dass er für Architekten damals eine Art Persona non grata war. Aber wenn man heute die von ihm gestaltete, begrünte Müllverbrennungsanlage in Wien oder damals gesetzte, alte Bäume sieht, ist das schon sehr beeindruckend.
Wir müssen weg von der Auto- und hin zur Kinder-gerechten Stadt.
Christian Kircher, Architekt und Mitgründer von Smartvoll
Smartvoll hat zwar keine Müllverbrennungsanlage gestaltet. Dafür aber das mehrfach preisgekrönte Gebäude der leistungsstärksten Großwärmepumpe Europas…
Christian Kircher: Ja, die Großwärmepumpe der Wien Energie war ein besonders spannendes Projekt für uns. Immerhin wird dort in der Hauptkläranlage über die Restwärme gereinigten Abwassers die Energie für rund 112.000 Haushalte gewonnen. Klingt komplex, ist aber leicht erklärbar: Abwasser minus Fäkalschlamm und Schmutz ergibt sauberes Wasser und Strom.
In diesem Fall also nicht Umnutzung, sondern der Neubau eines Industriegebäudes. Was hat Sie daran fasziniert?
Christian Kircher: Wie gesagt: Dass es sich um ein modernes Projekt zur Gewinnung erneuerbarer Energie handelt. Und dass das jetzt auch in einem schönen Gebäude abläuft, ist für uns ein Schulterschluss: Wir haben zwar ein neues Industriegebäude geschaffen. Aber eines, das in 50 oder 100 Jahren eben auch wieder anders genutzt werden kann, wenn es bis dahin vielleicht längst andere Technologien zur Gewinnung erneuerbarer Energie gibt.
Gehen wir noch einmal zurück zu Ihrem Hauptthema adaptive Re-Use: smartvoll hat ein Faible für alte Industriehallen und Gewerbeanlagen. Wie gehen Sie damit um, wenn der Altbestand aus unansehnlichem Beton besteht?
Christian Kircher: Eine alte Ziegelfabrik herzurichten ist leichter als ein 50 Jahre altes Lagerhaus. Aber es funktioniert, wie man beim Handelszentrum 16 sieht, das ja als rein funktionaler Betonbunker errichtet worden war. Es neu zu nutzen statt abzureißen hat große Vorteile gebracht. So hätte etwa allein der Abtransport des Abbruchmaterials ebenso viele LKW-Kilometer verursacht wie eine zweifache Weltumrundung.
Was halten Sie von neuen, umweltfreundlicheren Betonvarianten?
Christian Kircher: Leider bin ich kein Baustoffexperte. Hier wünsche ich mir, dass unabhängige Experten der Universitäten Neuheiten analysieren und prüfen. Weil ich nichts davon halte, dass Hersteller sich selbst überprüfen. So, wie es derzeit läuft, ist es für uns Architekten und Planer schwierig, das jeweils beste und nachhaltigste Material zu finden.
Sie haben also Bedenken, dass in diesem Bereich viel Greenwashing betrieben wird?
Christian Kircher: Jeder, der irgendeinen neuen Baustoff hat, versucht natürlich, diesem ein Gütesiegel aufzukleben. Deshalb brauchen wir unabhängige Uni-Experten, die Wissen dazu vermitteln können. Nur: Weil an den Universitäten selbst ja auch erst seit rund 20 Jahren an diesem Thema gearbeitet wird, fehlt auch da noch Erfahrung. Wobei man nicht vergessen darf, was es bedeuten kann, wenn ein Hersteller offen dazu steht, dass sein Produkt aktuellen Anforderungen nicht voll entspricht: Dann kann er zusperren. Und jeder weiß, was das sozialwirtschaftlich bedeutet – allein schon, was verlorene Arbeitsplätze betrifft…
Zu guter Letzt noch eine Frage: Gibt es derzeit eine Industriebrache, die Sie besonders gern zeitgemäßer Nutzung zuführen würden?
Christian Kircher: Ja. Die Panzerhalle im Wiener Arsenal.
Und international?
Christian Kircher: Bestimmt gibt es da viele. Den erwähnten Godzilla des Leerstands durch Umnutzung zum Vorteil zu nutzen, wäre ja nicht nur hierzulande mehr als sinnvoll…
Interview: Elisabeth Schneyder
Bilder: Smartvoll, Dimitar Gamizov