Cocooning im Schmetterling
Steil, schmal, dicht bewaldet: Ein Seegrundstück in Wentworth-Nord, Kanada, forderte die Planer von RobitailleCurtis heraus. Um die Natur möglichst wenig zu beeinträchtigen, positionierten sie das Chalet Papillon auf einem Granitvorsprung.
Die malerischen Laurentinischen Berge nördlich von Montréal sind ein beliebtes Naherholungsziel der Städterinnen und Städter. Wobei „nah“ relativ ist, in einem Land, das so groß ist wie Kanada. Von der Millionenmetropole am Sankt-Lorenz-Strom sind es auch mit dem Auto immerhin gut anderthalb bis zwei Stunden bis zum Skigebiet Mont-Tremplant oder an den Lac Notre-Dame. Insbesondere rund um den See sind deshalb in den letzten Jahren zahlreiche Domizile entstanden, um nach einem entspannten Tag am, im und auf dem Wasser nicht mehr die Heimreise antreten zu müssen.
Familien- statt Bauplanung
Auch einem jungen Mediziner-Ehepaar, das gerade ihr erstes Kind bekommen hatte, waren Tagesausflüge in die heißgeliebte Gegend auf Dauer zu stressig. 2017 entschlossen sich die beiden Ärzte daher, einen ländlichen Rückzugsort für ihre kleine Familie und ihren großen Freundeskreis zu bauen. Das passende Grundstück über dem Ufer des Lac Notre-Dame war rasch gefunden, das geeignete Planer-Team mit dem Architektur- und Landschaftsarchitekturbüro RobitailleCurtis ebenfalls. Doch dann kündigte sich weiterer Nachwuchs an, und das gleich doppelt – und die Pläne für das Refugium wurden erst einmal auf Eis gelegt.
Als die Windelberge im Frühjahr 2020 etwas niedriger und damit überblickbar wurden, nahmen die Bauherren ihr Projekt aber wieder ins Visier. Es an den neuen Platzbedarf der inzwischen deutlich gewachsenen Familie anzupassen, war kein Problem. Die Herausforderung lag vielmehr – und immer noch – beim Grundstück. Steil, schmal und dicht bewaldet präsentierte es sich nicht gerade als einfaches Terrain. Zudem wünschten sich die Auftraggeber, dass der Neubau die umgebende Natur so wenig wie möglich beeinträchtigt und dass die Bäume weitgehend erhalten bleiben.
Das östliche Ende des Hauses tritt als dramatischer Balkon zwischen den Bäumen hervor. So schwebt das Chalet optisch wie der namensgebende Schmeterling über dem Steilhang.
Andrew Curtis, Architekt und Gründer des Büros RobitailleCurtis
Um das zu erreichen, sahen sich RobitailleCurtis das Areal ganz genau an. Und setzten das zweigeschossige Chalet Papillon schließlich auf einen freiliegenden Granitvorsprung, parallel zu den Konturen des Geländes. Das östliche Ende des Hauses tritt nun als dramatischer Balkon zwischen den Bäumen hervor und erhebt sich mehr als 30 Meter über dem See.
„Das Gebäude besteht aus einem langen, schlanken Baukörper, der schräg zu den Grundstücksgrenzen steht, und einem angrenzenden, senkrechten Eingangsriegel, der vom Parkplatz aus zugänglich ist“, erklärt Architekt Andrew Curtis. „Dieser Grundriss ermöglicht den Blick auf den See von zwei Seiten aus.“
Apropos Seeblick: Beide Ebenen des Hauses haben auch Zugang zu überdachten Veranden. Als Erweiterung der Wohnräume verbinden sie das Haus mit der umgebenden Landschaft. Die untere Veranda führt außerdem zu einem neu angelegten Weg, der sich durch die Bäume schlängelt und hinunter zum Ufer des Lac Notre-Dame führt.
Zwei Baukörper, ein Erscheinungsbild
Um den Grautönen der Baumrinde in der unmittelbaren Umgebung gerecht zu werden, wurde eine vorpatinierte, lokal bezogene Zedernholzverkleidung gewählt. Das Ergebnis ist ein Haus, das mit seiner Umgebung optisch verschmilzt. Denn auch das Stehfalzdach aus Metall setzt die zurückhaltende Farbpalette fort – für ein einheitliches Erscheinungsbild.
Im Obergeschoss, das den Wohnbereich und das Elternschlafzimmer beherbergt, greift eine schräge, mit Holz verkleidete Decke die Form des Daches auf. Nachts erhellen sie zwei dünne, lineare Beleuchtungselemente. Tagsüber lenkt die Decke den Blick auf die Panorama-Aussicht, die an der Nord- wie Südwestfassade von einem langen Fensterband gerahmt wird.
Effizienter Grundriss, großzügiges Wohngefühl
Wo so viel natürliches Licht ist, ist oft auch viel Klimaschutzschatten. Stichwort: Heizen respektive Kühlen. Nicht so aber im Falle des Chalet Papillon. „Nach einer umfassenden Energiemodellierung wurde der Entwurf so angepasst, dass die Energiebilanz des Hauses optimiert wurde. Die Größe der Öffnungen und die Position der dreifach verglasten Fenster, die übrigens aus Österreich bezogen wurden, haben wir dabei sorgfältig berücksichtigt“, so Architekt Andrew Curtis.
Unterhalb des Fensterbandes verläuft eine speziell angefertigte Sitzbank. Sie lädt zu gemütlichen Lesestunden ein und verstaut Bücher, Spielzeug und Co auch gleich noch in ihrem hölzernen Bauch. Oder aber die Scheite für den Kamin im Wohnbereich. Im Winter kann es nämlich doch recht kalt werden in Wentworth-Nord. Minus 20 Grad sind keine Seltenheit.
Minimalismus für maximalen Komfort
Der Kamin ist über die Sitzbank optisch mit der Kücheninsel verbunden, die den weitgehend offen gestalteten Wohnbereich ergänzt. Wer kocht, ist also immer mittendrin im Geschehen. Im gesamten, minimalistisch gestalteten Innenbereich tragen weiße Wände, schlichte Betonböden und helles Holz zu einer luftig-großzügigen Wohnatmosphäre bei. So kommt trotz der effizienten Grundrisse in den Räumen kein Gefühl der Enge auf.
Über das Treppenhaus fällt das Tageslicht, das die Nordfenster einlassen, bis hinunter ins Erdgeschoss. Durch eine geschickte Raumplanung konnten hier drei Schlafzimmer mit Etagenbetten (alle in komfortabler Queensize-Größe), ein Bad, Abstellräume und ein zusätzliches gemütliches Wohn-/Spielzimmer geschaffen werden. Jedes der kompakten Schlafzimmer, die in einer Reihe angeordnet sind, hat ein großes Fenster und einen vom Flur aus zugänglichen Kleiderschrank.
Mit dieser Anordnung bietet das Chalet Platz für zwölf Personen. Die inzwischen fünfköpfige Familie kann also getrost noch weiter wachsen. Der Freundeskreis, der jetzt schon regelmäßig zu Besuch kommt, auch.
Permanenter Rückzug
Das Chalet Papillon schwebt derweil wie der namensgebende Schmetterling über dem Hang. Wobei: Eigentlich ist es mehr ein Kokon – für den wochenendlichen Rückzug aus dem Alltag. Irgendwann, so sagen die Hausherren, wird dieser Rückzug dann ein permanenter sein. Denn in den Laurentinischen Bergen lässt es sich auch ganzjährig wunderbar leben, wie etwa die Bewohner des La Cadrée Perchée beweisen.
Das Chalet ist jedenfalls zu allen Wohntaten bereit.
Text: Daniela Schuster
Bilder: Adrien Williams