Holz vor der Hütte, Holz in der Hütte
Von außen sieht das Chalet Ogden aus wie viele Ferienhäuser in den Wäldern Kanadas: rustikal. Doch innen präsentiert es sich nach der Renovierung durch Interior-Designerin Mélodie Violet als modernes Refugium.
Nomen est omen? Schon in der Antike glaubte man, dass der Name einer Person Hinweise auf ihren Charakter, ihr Schicksal oder ihre Persönlichkeit geben könne. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Idee des sogenannten Nominativen Determinismus von vielen Linguisten und Wissenschaftlern untersucht, darunter auch von Sigmund Freud. Und tatsächlich konnten einige Studien zeigen, dass ein gewisser Zusammenhang existiert – vor allem im Hinblick auf die Berufswahl.
Der Name ist Programm
Ob man nun daran glauben will oder nicht: Im Falle der französischen Innenarchitektin Mélodie Violet kommt man nicht umhin, festzustellen, dass ihr klingender Name schon auch Programm ist. Nicht, dass ihre Interior-Designs durch ein Übermaß an Lila-Tönen auffallen würden. Doch sie sind immer harmonische Kompositionen. Das Dolce Magazine, ein vierteljährlich erscheinendes Luxus-Lifestyle-Magazin aus Toronto, beschrieb ihre Entwürfe einmal als „Melodie (sic!) der Einfachheit, Zeitlosigkeit und des eleganten Komforts, die erklingt, wenn man einen Raum mit dem Imagine-Touch betritt“.
Imagine, das ist wiederum der Name von Violets Designunternehmen. Zunächst hatte sie Jura in Paris studiert und war erfolgreich als Anwältin in Australien und Kanada tätig. Doch auf ihren zahlreichen (Geschäfts-)Reisen rund um die Welt fand sie etwas viel Inspirierenderes als Gesetzestexte. Begeistert davon, wie Licht und Materialien einen Raum komplett verändern können, beschloss sie, ihrer wahren Berufung zu folgen: Sie begann ein Innenarchitekturstudium.
2014 eröffnete sie mit Imagine ihr eigenes Büro in der kanadischen Metropole Montreal. Spezialisiert auf hochwertige Großrenovierungen hat sie inzwischen zahlreiche Wohn-, Geschäfts- und Unternehmensprojekte geplant und ausgestattet. Unter anderem ein Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert im Montrealer Stadtviertel Pointe-Saint-Charles. Oder das urbane Mini-Apartment „Montmartre“ im Herzen von Paris.
Ab in den Wald
Ein beeindruckendes Portfolio. Und ein Portfolio, in das die kürzlich fertiggestellte Komplettrenovierung des Chalet Ogden auf den ersten Blick so recht nicht hineinpasst. Denn das Chalet ist – wie so viele andere Ferienhäuser in den Wäldern Kanadas – ein rustikaler Holzbau, der mit der rauen Waldlandschaft verschmilzt. Innen jedoch trägt das Refugium eindeutig die Handschrift von Mélodie Violet: Auf 280 Quadratmetern präsentiert es sich als modernes Refugium, das mit jeder City-Luxusimmobilie mithalten kann.
Weil das Chalet aber nun mal keine City-Luxusimmobilie ist, war es den Hausherren wie der Designerin wichtig, dass auch innen ein intensives Naturerlebnis möglich ist. Das Haus liegt an einem Seeufer bei Ogden, nahe der kanadische Kleinstadt Magog in der Provinz Québec. Durch die großen Fenster hat man die Landschaft stets im Blick. Sie spielt die Hauptrolle. Die Ausstattung ist trotz ihrer eleganten Details letztlich nur Statist. Doch genau das macht den Reiz von Mélodies Komposition aus: Ihr Design ist im Einklang mit dem besonderen Standort.
Licht, Luft und Liebe
Inszenierung? Ja. Aber das Stück, dass ihre Gestaltung spielt, trägt den Titel „natürliche Gelassenheit“. Durch die Verwendung von Ahornpaneelen und Kiefernholzverkleidungen verbindet sich das schicke Innere mit der rustikalen Essenz des Chalets. Die Räume sind von natürlichem Licht durchflutet. Und wo es – trotz des optimierten, geöffneten Grundrisses – nicht bis ins Innere vordringt, sorgen strukturelle Beleuchtungskörper für ein helles, warmes Ambiente.
Der Weg dorthin war alles andere als eine Rennstrecke. „Ich rate meinen Kunden immer, sich die Zeit zunehmen, ihr Haus und seine Vor- und Nachteile kennenzulernen, bevor man es renoviert“, sagt Mélodie Violet. Im Falle des Chalet Ogden lagen die Vorteile auf der Hand – allen voran die Nähe zur Natur. Die Nachteile allerdings auch: Das Innere des Holzhauses entsprach von der Raumaufteilung und der Ausstattung einfach nicht den Bedürfnissen einer modernen Familie. „Die Herausforderung war riesig“, sagt Hausherrin Danielle. „Wir sind froh, dass Mélodie uns bei der Renovierung unseres Chalets begleitet hat.“
Mélodie kümmerte sich um unser Projekt, als ob es ihr eigenes wäre. Und dabei hat sie immer unsere Entscheidungen und Ideen respektiert.
Danielle, Hausherrin des Chalet Ogden
Jedes Detail wurde sorgfältig bedacht – und vor allem: besprochen: „Mélodie kümmerte sich um unser Projekt, als ob es ihr eigenes wäre. Und dabei hat sie immer unsere Entscheidungen und Ideen respektiert“, sagt Danielle. So sind die maßangefertigten, stilvollen Möbel und die raffinierten Stauraumlösungen jetzt perfekt auf die Familie abgestimmt. Auch die sanfte, beruhigende Farbpalette der natürlichen Materialien ist ganz nach dem Geschmack der Auftraggeber, die sich einen friedlichen Rückzugsort wünschten. Und selbstverständlich behielt man bei der Renovierung auch Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und den CO2-Fußabdruck im Blick, wie etwa durch die Verwendung regionaler Baustoffe.
Warm ums Herz
Im Haus ist nichts überflüssig, fast schon minimalistisch wirkt die Ausstattung. Durch die Wahl edler, langlebiger Werkstoffe – wie etwa beim allgegenwärtigen Boden aus heller Eiche – strahlt das Interieur dennoch Wärme aus. Apropos Wärme: Das Herzstück des Chalet Ogden ist ein zentraler Kamin. Er trennt das Wohnzimmer mit der angrenzenden offenen Küche jetzt elegant vom Wintergarten ab und schafft so unterschiedliche Wohnbereiche, ohne die Kommunikation der Räume und ihrer Bewohner zu stören.
Das Ergebnis des Renovierungsprojektes sind jedenfalls (Lebens-)Räume. Denn der Stil von Designerin Violet passt sich zwar durchaus Trends an, respektiert aber gleichzeitig die architektonische Integrität des traditionellen Chalets und spiegelt die Persönlichkeit der Auftraggeber wider.
Das Wichtigste, so sagt sie selbst, sei ihr aber gewesen, „eine Harmonie zwischen Mensch, Design und Natur herzustellen.“ Vielleicht sollte sich die Wissenschaft doch noch einmal ernsthaft dem Phänomen des Nominativen Determinismus annehmen. Mélodie und ihr Streben nach Harmonie wären sicher ein gutes Forschungsobjekt …
Text: Daniela Schuster
Bilder: Studio CRBN