Schlangenförmige, vielseitige Familienoase
Die Wünsche des Auftraggebers inspirierten Rojkind Arquitectos dazu, subtil bei der Neuinterpretation eines typischen Wohnhauses in Mexiko zu experimentieren. So entstand ein außergewöhnlicher Grundriss für die Casa Pasiddhi, ein Haus, das auch neue Formen des Zusammenlebens erlaubt.
Das Einfamilienhaus Casa Pasiddhi in Mexiko ist ein Haus scheinbarer Widersprüche. Das außergewöhnliche Wohnhaus entzieht sich mit der dunklen und soliden Erscheinungsform – und dem mäandernden Grundriss – jeder Etikettierung.
Entworfen nach den Plänen von Rojkind Arquitectos, ist Casa Pasiddhi in „Hacienda de Valle Escondido” in Ciudad López Mateos gelegen – ein zum Großraum Mexiko-Stadt gehörendes Wohnviertel. Während die meisten modernen Häuser dieses gehobenen Stadtteils im Landhausstil gehalten sind, stellt sich die Casa Pasiddhi als außergewöhnliche, steinerne Familienoase dar.
Die Gedanken, Ideen und Realisierungen von Architekten und Designern kreisen im Wohnsegment beständig um Aspekte wie dem Einbezug von natürlichem Licht, der Herstellung durchgehender Sichtachsen, der Verwendung natürlicher Materialien, der Schaffung effizienter Wege und ausgeklügelter Belüftungs- und Heizsysteme, dem Respekt für die Umgebung sowie der Nutzung lebendiger Flora als biophilem Element, um nur einige zu nennen.
Casa Pasiddhi: phantasievoll und doch konventionell
Nicht zuletzt stehen Architekten und Designer auch vor der Frage, wie man mit dem Raum, der Formensprache und der architektonischen Ästhetik eines Hauses experimentieren kann, sodass das entstehende Bauwerk phantasievoll und innovativ ist, gleichzeitig aber der konventionellen Typologie eines Wohnhauses treu bleibt.
Das Team von Rojkind Arquitectos setzt dabei auch KI und maschinelles Lernen ein, jedoch „immer mit Blick darauf, wie diese Fortschritte das Leben der Menschen, der Nutzer unserer Räume, verbessern und bereichern können.” Man sei sich bewusst, dass der Beruf des Architekten einem ständigen Wandel unterliege – ökonomisch, politisch und gesellschaftlich – und sei bereit, ungewöhnliche Wege zu gehen, neue urbane Strategien und Möglichkeiten zu entwickeln und damit aber auch so manches Risiko einzugehen.
Das Risiko kann beispielsweise darin bestehen, dass die in Zusammenarbeit mit Agustin Pereyra und Inocente Colectivo entworfene Casa Pasiddhi mit ihren Merkmalen eines fast schon brutalistischen Baukörpers nicht jedem gefällt. Allerdings: Das ist eher unwahrscheinlich, dazu sind Konzept und Aussehen des Hauses insgesamt doch zu stimmig und interessant.
Wir wollen Architektur schaffen, die nicht nur die Grenzen des Möglichen verschiebt, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Welt hat, in der wir leben.
Michel Rojkind, leitender Architekt, Rojkind Arquitectos
Die präzise Programmatik sowie die Raumaufteilung, die Planung und die meisten Elemente der Inneneinrichtung waren vom Bedürfnis des Bauherrn nach Privatsphäre und dem Wunsch, der Vegetation einen hohen Stellenwert zu geben, beeinflusst. Die ungewöhnliche, schlangenförmige, mäandernde Familienoase lässt einen leicht vergessen, dass man Nachbarn hat. Und um den ruhigen Innenhof mit üppiger Bepflanzung konzentriert sich das soziale Leben.
Noch mehr Privatsphäre bietet allerdings ein weiteres Haus in Mexiko, das „moderne Hobbit-Haus” von HW Studio.
Versteckter Innenhof
Der schlangenförmige Grundriss, der vor neugierigen Blicken schützt, wird durch eine Reihe von Durchgängen und Brücken gebildet, die sich in der Mitte um einen kontemplativen, üppigen, grünen Innenhofgarten gruppieren. Der gewundene Grundriss und der erhöhte Durchgang wurden teils auch als Reaktion auf das leichte Gefälle des Grundstücks konzipiert.
Das gesamte „Zirkulationssystem” ist in dem massiven Betonvolumen mit mehreren Ausgängen untergebracht. Rund um den Innenhof und gleichsam über der Erde schwebend sind die Zimmer und Gemeinschaftsräume gruppiert. Der Weg führt durch einen halbdunklen Gang, der tagsüber hauptsächlich durch Oberlichter und nachts durch die subtil eingefassten Deckenleuchten erhellt wird.
Umarmende Geste des Objekts
Casa Pasiddhi erstreckt sich über zwei Ebenen. Die einzelnen Teile, Brücken und Durchgänge definieren die Räume und bieten an jeder Ecke Überraschungen und chillige Elemente. Das „sanftmütige” Innere kontrastiert dabei mit dem dominierenden schwarzen Beton außen. Die verschlungenen Räume laden zum Erleben und zur Begegnung ein.
Der zeitgenössische Aspekt wird durch die Verwendung von nur drei Materialien – Beton, Holz und Glas – zum Ausdruck gebracht. Der Beton zeigt sich in zwei Farben und Texturen: Grauer Beton mit glatter Oberfläche für die Wände der Serviceeinrichtungen, graue Betonplatten und dunkler Beton mit geriffelter Oberfläche, der das Umhüllende des Baukörpers verstärkt. Holz, die Verglasung und die Glasfassaden verleihen den Innenräumen Wärme und Helligkeit.
Dunkle Passagen und helle Räume
Beim Durchschreiten des Hauses und Betreten der einzelnen Räume wechselt die Erfahrung vom Halbdunkel der Gänge zu den weiten Ausblicken – dank der vom Boden bis zur Decke reichenden Glasflächen, die die Verbindung zur Natur noch verstärken. Im Außenbereich ist das Gegenteil der Fall: Das ansteigende und sich windende Volumen begrenzt und umrahmt und intensiviert so das Gartenerlebnis.
Das Erdgeschoss beherbergt Eingänge und Garagenzugänge. Auch die Besucherlobby befindet sich unten. Die Haupthalle mit einer Freitreppe ist begleitet von Grünflächen. Von hier aus gelangt man in den offenen Wohn- und Essbereich, an den sich eine geräumige Küche anschließt. Im hinteren Bereich befinden sich die Speisekammer, die Waschküche und der Wirtschaftsraum.
Im Stockwerk darüber schließlich sind das große Wohnzimmer, das Hauptschlafzimmer, eine Terrasse, ein weiteres Schlafzimmer sowie ein Studio mit Blick auf den zentralen Innenhof untergebracht. Die Dachterrasse ist auch vom ersten Stock aus zugänglich. Hier gibt es ein Yogadeck, auf dem auch Yogakurse gehalten werden.
Experimentelles Zusammenleben
Einige der Bereiche können abgetrennt werden, so dass Teile des Hauses in Zukunft vermietet werden könnten. Die Vielfalt der Räume, ihre gleichzeitige Abgeschiedenheit untereinander sowie die vielen autonomen Zugänge zu den verschiedenen Bereichen des Hauses plus das Zusammenfließen an den Orten des gemeinschaftlichen Lebens … all dies erlaubt auch mit unterschiedlichen Arten des Zusammenlebens zu experimentieren.
Text: Linda Benkö
Fotos: Jaime Navarro