Social Distancing leicht gemacht
Wenn wir uns schon voneinander fernhalten sollen, dann aber bitte mit Stil. Und vor allem mit Respekt vor der Natur. Das hat sich Designer Prashant Ashoka gedacht. Und seine Casa Etérea aus dem mexikanischen Vulkanboden gestampft.
Es wäre gelogen, wenn Prashant Ashoka behaupten würde, die Idee zu seinem außergewöhnlichen Haus an den Hängen eines erloschenen Vulkans in Mexiko wäre aus der Pandemie heraus entstanden. Sie war schon in den Jahren vorher in seinem Kopf. Allein, Corona fungierte am Ende als Beschleuniger. Half ihm indirekt dabei, sein wahrlich ungewöhnliches Konzept auch auf den Boden bringen zu können.
Sehnsucht nach Einsamkeit
Aber alles der Reihe nach. Prashant Ashoka ist Schriftsteller, Designer, Künstler. Er stammt eigentlich aus Singapur, verliebte sich allerdings vor einigen Jahren in die wilde und zerklüftete Natur Mexikos. Vor allem die Umgebung von San Miguel de Allende inspirierte den Kreativen auf besondere Weise.
Und so keimte in der Künstlerseele eben schon in den Jahren vor der Pandemie der innere Wunsch nach Rückzug auf. Nach einer Möglichkeit, mit sich selbst sein zu können um er selbst werden zu können.
„Meine Vision war es, einen Ort zu schaffen, an dem man selbst mit der umliegenden Natur verschmilzt. Einen Ort, der gleichzeitig aber eine Art Theater für die Natur ist“, erzählt der 31-Jährige. Und weil er keineswegs über außergewöhnliche Geldmittel verfügte, fing Ashoka kurzerhand damit an, seinen persönlichen Traum ganz selbständig zu konzipieren und zu planen. Dabei ließ sich der Mann vom Konzept der so genannten „Emotionalen Architektur“ leiten.
Einer Strömung, die vom Architekten Luis Barragán und dem Bildhauer und Maler Mathias Goéritz geprägt wurde. Die beiden Mexikaner beschäftigten sich in ihren Arbeiten besonders intensiv mit dem Zusammenspiel aus Objekt und Landschaft. Eben dies ist bei der Casa Etérea offensichtlich – die verspiegelten Fassaden integrieren die umgebende Landschaft schon auf den ersten Blick.
Casa Etérea reflektiert Zeit des Tages
Durch die dafür notwendigen verspiegelten Außenpaneele ist es bei dem Projekt gelungen, eine tiefere sensorische Resonanz zu erzeugen, betont Ashoka. Diese reflektierende Fassade lässt den Grenzraum zwischen dem Wilden und dem Strukturierten verschwimmen. Gleichzeitig nimmt das Objekt eine so genannte „Übergangsqualität“ an, da es stets die sich verändernde Tageszeit reflektiert.
Im ersten Licht des Tages schimmert das Haus wie ein phosphoreszierender, blau gefärbter Kasten, der in gläsernem Kontrast zur gefilzten nächtlichen Schwärze des Berghangs steht. In den orangewarmen Farben des Sonnenuntergangs schimmert das Volumen wie eine Fata Morgana vor der Landschaft, bevor es ganz verschwindet.
Ein Bau, der Fragen aufwirft
„Seine strukturellen Grenzen versuchen nicht ein einziges Mal, die Umgebung, in der es steht, zu verändern“, ist der Schöpfer von Casa Etérea stolz. „Ich wollte, dass dieses Zusammenspiel von Licht und Zeit ein tiefes Gefühl der Ehrfurcht und des Einsseins mit der Natur hervorruft. Gleichzeitig will ich damit aber auch Fragen über unsere Rolle als Verwalter und Erhalter unserer Ökosysteme aufwerfen“, erklärt Ashoka.
In Anspielung auf diese besondere Qualität des Gebäudes erschließt sich auch der Name „Casa Etérea“: Aus dem Spanischen übersetzt bedeutet „etérea“ so viel wie „ätherisch“ und suggeriert eine nebulöse, jenseitige, also nicht greifbare Vision.
Doch auch abseits dieser philosophischen Komponente folgt das für maximal zwei Personen konzipierte Haus seiner Logik – der Naturtreue. So ist etwa das Fundament des Hauses ausschließlich aus Felsstücken gebaut, die in der direkten Umgebung zusammengetragen wurden.
Nachhaltig, vom Fundament bis zum Pool
Zudem ist es so ausgerichtet, dass eine effiziente Belüftung in Kombination mit speziellem Isolierglas dabei helfen, die Innenräume mit möglichst geringem Energieaufwand zu kühlen. Solarpaneele sorgen dafür, dass die gesamte Energieversorgung von Casa Etérea allein über die Kraft der Sonne möglich ist. Genauso ist auch die Wasserversorgung durch ein eigenes Regenwasser-Aufbereitungssystem zur Gänze nachhaltig gelöst.
Selbst an die Problematik, die große Glasflächen für Vögel bergen, hat Prashant Ashoka gedacht. Er überzog die Spiegelelemente mit einer gemusterten ultravioletten Beschichtung, die sie für Vögel sichtbar macht, während sie für das menschliche Auge reflektierend bleiben.
Ein Loft für zwei
Wer aber hinter die Fassaden tritt, dem öffnet sich ein loftartiger Raum, der aus zwei geradlinigen Objekten besteht, die miteinander V-förmig verbunden sind. Der daraus resultierende große Innenraum ist offen gestaltet. Dank raumhoher Glasschiebetüren kann das Haus fast zur Gänze geöffnet werden, wodurch sich ein uneingeschränkter Panoramablick auf die hoch aufragenden Vulkanfelsen der Umgebung auftut. Eine überdachte Terrasse verbindet einen Hain voll Oliven- und Granatapfelbäumen mit dem eleganten, im Boden versenkten Pool.
Im Inneren ist die Sache insofern stimmig, als dass auch hier das Puristische Einzug gehalten hat: Betonwände und hölzerne Deckenbalken bilden eine ursprüngliche, reduzierte Ästhetik. Materialien wie Jute, Leder, Holz und Stein imitieren die Farben und Texturen der umgebenden Landschaft. „Auf diese Weise möchte ich einerseits eine besondere Form von Stille generieren und andererseits eine Gelegenheit bieten, die Distanz zwischen uns und der natürlichen Welt zu überbrücken“, sagt Ashoka.
Casa Etérea soll Distanz überbrücke
Wenn man nun davon ausgeht, dass die Distanz zwischen Mensch und Natur am Ende Mitgrund für die vorherrschende Pandemie sind, ist dieser Aspekt wohl ein besonders zeitgeistiger.
Ashoka meint dazu selbst: „Die jüngsten Erfahrungen haben unsere gegenseitige Abhängigkeit mit unserer Umwelt sehr bewusst gemacht. Die Tatsache, dass wir gezwungen sind, aus der Ferne zu arbeiten und in vielen Fällen zu Hause zu bleiben, hat eine neue Bedeutung für unsere Beziehung zu geschützten Räumen geschaffen. Das Jahr 2020 hat auch die Bedeutung der Natur hervorgehoben und uns mehrere Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir mit einer stärkeren, widerstandsfähigen Wirtschaft im Einklang mit der Natur wieder besser bauen können.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Prashant Ashoka