Unter dem Palmendach
Im mexikanischen Surfer-Hotspot Puerto Escondido hat das Architekturbüro Anonimous ein Zweifamilien-Retreat geschaffen. Anstatt auf hippes Design setzt die preisgekrönte Kulisse von Casa Cova auf präkolumbische Strukturen und kuratiertes Kunsthandwerk.
Im scheunenartigen Wohnraum unter dem mit Palmblättern gedeckten Dach rotieren die Ventilatoren. Wie man im tropischen Klima von Oaxaca am besten baut, das wussten schon die Zapoteken vor über 800 Jahren. Davon zeugt noch heute die präkolumbische Palastanlage Mitla. Ihre riesigen Säle und die abgeschotteten Verbindungsgänge haben sich die Architekten des mexikanischen Büros Anonimous für den Entwurf des Wohnhauses Casa Cova abgeschaut.
Off the grid im Surferparadies
Herzstück des Anwesens in Mexikos Surferparadies Puerto Escondido ist die überdimensionale Palapa. Im Spanischen und Portugiesischen bezeichnet sie eine offene Konstruktion, die mit Palmblättern oder deren Stielen gedeckt ist. Hier, unter dem 30 Meter langen Palmdach, spielt sich das gemeinschaftliche Leben ab. Die zwei Familien, für die Casa Cova entworfen und gebaut wurde, teilen sich die loftartige Wohnküche mit Bar-Bereich, ebenso wie gemeinschaftliche Außenbereiche samt Pool.
Das 1.287 Quadratmeter große Urlaubsretreat hat einen U-förmigen Grundriss mit zwei parallel verlaufenden Trakten, die sich zum Meer hin strecken. Hier sind die privaten Schlaf- und Rückzugsräume untergebracht. Für die Siesta im schattigen Patio braucht es eigentlich nur zwei Dinge: Hängematten und einen unverstellten Blick auf den Pazifik. Dafür haben die Architekten gleich mehrfach gesorgt.
Ein Grund, warum der mexikanische Urlaubsort einst von Surfern und Bodyboardern entdeckt wurde, ist die sogenannte Mex Pipe. Diese Rohrwelle an der Playa Zicatela misst bis zu zehn Meter Höhe und zählt zu den größten Wellen der Welt. Doch vom Surfer-Hotspot ist die Casa Cova weit genug entfernt, um als Traumvorlage für Urlaubsfantasien off the grid durchzugehen.
Rustikale Moderne
Die Architekten von Anonimous setzten auf modernistisches Design mit dezent rustikaler Note. Lokales Handwerk trifft auf eine reduzierte Formensprache, die die verwendeten Baumaterialien gut zur Geltung bringen. Das Mauerwerk besteht aus strukturiertem Sichtbeton und wurde aufgrund seiner Langlebigkeit gewählt. „Die dauerhafte Intensität der Sonne und der hohe Salzgehalt der Luft verlangte nach einem Material, das gut altert, ohne dabei viel Pflege zu beanspruchen“, heißt es zum Materialkonzept.
Die Aufmerksamkeit liegt unseres Erachtens nicht im Objekt, sondern in der Erfahrung.
Anonimous, Architekturbüro
Kleine, rechteckige Öffnungen durchbrechen die Betonwände der Palapa und generieren so ein Muster. Zudem sorgt die Perforation für Luftzirkulation und bietet ein ständig wechselndes Lichtspiel. Klimaregulierend wirkt auch das Palmdach. So wie die in Europa verbreiteten Reetdächer isolieren sie besonders gut und verhindern ein Aufheizen der Räume.
Guanacaste, ein nachhaltiger Nutzbaum
Das für Casa Cova verwendete Holz stammt vom regionalen Guanacaste, auch Parota-Baum genannt. Er gilt als Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft. Er wächst schnell, vermehrt sich stark und kommt in trockenen Monaten mit sehr wenig Wasser aus. Zudem verbessert er die Bodenqualität und wirkt mit seinem verzweigten Wurzelwerk der Erosion entgegen.
Doch die Vorteile des Baumes sind damit noch nicht erschöpft. Guanacaste zählt zu den Harthölzern und verfügt über eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Feuchtigkeit und Termiten. Seine Blüten sind eine wichtige Nahrungsquelle für Bienen, und seine Früchte stehen traditionell als proteinreiches Gemüse auf dem mittelamerikanischen Speiseplan.
Kuratiertes Kunsthandwerk statt Design
Das Interior Design des Zweifamilienhauses setzt neben regionalen Materialien vor allem auf traditionelles Kunsthandwerk. Die Tische stammen vom mexikanischen Bildhauer Héctor Alvarado, die Textilien vom kleinen Label Tural MX, und an den rohen Betonwänden hängen Werke lokaler Künstler. Anstatt, wie oft üblich, den geschaffenen Raum mit international anerkanntem Design zu füllen, gingen die Architekten hier einen anderen Weg.
Casa Cova offenbart vor allem durch die Abwesenheit von Design seinen schlichten Charakter, der stark regional verwurzelt ist. Es ist die Art von minimalistischem Boho-Chic, der auch bei neuen Hotels wie dem Paradero Todos Santos immer mehr durchschlägt.
Anonimous wurde für sein Projekt Casa Cova mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Best of Year Award 2020 des „Interior Design“-Magazins. Die Architekten selbst sagen über ihren Zugang zur Architektur: „Die Aufmerksamkeit liegt unseres Erachtens nicht im Objekt, sondern in der Erfahrung.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Rafael Gamo, Anonimous