Ein Architekt sieht rot
Architekt Luís Rebelo de Andrade hat
unweit von Lissabon ein minimalistisches Haus errichtet, wie von
Kinderhand gezeichnet. Das Haupt-Attribut: Es ist rot, brachial rot.
Nicht nur die Spanier frönen dem Stierkampf. Auch in Portugal gilt die „Tourada”, wie sie dort heißt, als jahrhundertealtes Spektakel, Teil der Traditionen und Werte des Landes. Doch Biologen (und auch Nicht-Biologen) wissen: Stiere sind „rot-farbenblind“ und reagieren, entgegen eines populären Irrtums, nicht wegen der Farbe rot heißblütig, sondern auf die schnellen Bewegungen, die der „Toureiro” mit seinem Tuch vollführt.
Casa 3000: Landmark durch die Farbe rot
Die „Herdade da Considerada” liegt in Portugal, und das Gebiet ist ein 500 Hektar großer Landstrich in einer sehr trockenen Gegend im Landkreis „Alcácer do Sal”, rund 50 Kilometer südlich der Hauptstadt Lissabon. Überall nur Korkeichen, Kiefern und Pinien – das eintönige Landschaftsbild veranlasste Architekt Luís Rebelo de Andrade bei einem Erst-Besuch zur Feststellung, dass es in Herdade da Considerada einfacher ist, sein Auto zu „verlieren”, als auf einem Supermarktparkplatz.
Aus dieser Erfahrung der Gleichförmigkeit und Kargheit ging die zentrale Idee hervor, die das gesamte Projekt Casa 3000 prägte: In Ermangelung jeglicher Orientierungs- oder Anhaltspunkte der Natur in Herdade da Considerada hat die Architektur die Rolle als Bezugspunkt übernommen, der die Menschen leitet: Das Haus Casa 3000 ist weithin sichtbar.
Kontrast: Farbe schlägt Form
De Adrades Architektur zeigt, dass auch die Farbe ein wesentliches Merkmal für die Schaffung einer Landmark sein kann – in diesem Fall rot, eine starke Kontrastfarbe zum umgebenden Grün. Und es ist so brachial rot, dass daneben alles andere in den Schatten tritt: Form, Design etc. Alles ist rot, die mit Paneelen verkleidete Fassaden, das Dach, die Fensterrahmen. Hier findet man ziemlich sicher von jedem Spaziergang immer leicht zurück.
Im Vergleich zur Signalfarbe wirken die Formen sehr schlicht, gesetzt. Der Neubau setzt sich aus zwei rechteckigen Baukörpern zusammen, die im 90-Grad-Winkel zueinander stehen: Wohnhaus mit Giebeldach plus einem kleineren, landwirtschaftlich genutzten Gebäude. Sie sind so konzipiert, dass Bauzeit und -kosten minimal ausfielen. Und sie sind perfekt ausgerichtet, um dem Prinzip der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz Genüge zu leisten. Solarpaneele und Wärmekollektoren produzieren mehr Energie, als Gebäude und Bewohner verbrauchen.
Archtypus eines Präriehauses
Gleich einer Kinderkritzelei wirkt das Ensemble mit seinem Satteldach, der Anordnung der Türen und Fenster naiv, archetypisch – und dadurch auch klar und einfach. Und es bedient damit eine kollektive und romantische Vorstellung, die wir alle in uns tragen und die sich hartnäckig hält: vom Präriehaus, vom Leben der Pioniere und Siedler im amerikanischen Westen, das uns in Western-Filmen immer noch und immer wieder vorgeführt wird, ja, glorifiziert wird.
Im Gegensatz dazu das Innenleben des Hauses: Sanfte, gedämpfte und warme Farbtöne, viel Holz, weiße Wände und Decken – Minimalismus, unterbrochen von einigen wenigen Farbtupfern (was Wunder: in rot).
Text: Linda Benkö
Fotos: João Guimarães – JG Photograph
Architekt: Rebelo de Andrade; Standort: Alcácer do Sal (PT); Statik: Tisem; Nutzfläche: 400 m²; Planung: 2015-2017; Fertigstellung: 2018. Das Haus heißt deshalb Casa 3000 weil der RAL Farbe „feuerrot“ die eindeutige Nummer 3000 zugeordnet ist. RAL-Farben sind von der RAL gGmbH (Tochter des RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung) normierte Farben.