Nachhaltigkeit zum Quadrat
Das steirische Büro Pittino & Ortner macht aktuell gleich zweifach von sich reden: Mit dem Projekt eines riesigen Bücherspeichers in Holzhybridbauweise für Wien und einem jüngst fertiggestellten Café am Thalersee unweit von Graz.
Die Begriffe „Kaffeehaus“ und „Literatur“ finden sich in jedem Österreich-Reiseführer. Wenn eng verknüpft, dann dort, wo es um die Bundeshauptstadt Wien geht. Für das steirische Büro Pittino & Ortner hat sich unversehens ein ganz anderer Zusammenhang ergeben: Einerseits haben die Architekten jüngst den Wettbewerb um die Errichtung eines riesigen Bücherspeichers in Wien gewonnen. Und andererseits wurde kürzlich das von ihnen designte „Waldcafé Thalersee“ (siehe Beitragsbild) unweit von Graz eröffnet. Zwei völlig unterschiedliche Projekte, die nähere Betrachtung lohnen.
Das Bücherdepot bezeichnen die Architekten als „Lager des Wissens“ für die Stadt Wien. Es soll die übervollen Literaturspeicher mehrerer Universitäten entlasten. Immerhin werden im Neubau 130.000 Laufmeter Bücher auf rund 12.000 Quadratmetern Fläche Platz finden.
Viel Platz für Bücher
Über 100.000 Laufmeter davon sind für die Universität Wien vorgesehen: Mehr als zwei Millionen Bände aus dem Bestand der Hauptbibliothek sollen ins neue Haus übersiedeln. Die verbleibenden Kapazitäten stehen für die Bibliotheken der Technischen Universität Wien, der Universität für angewandte Kunst Wien, der Akademie der bildenden Künste Wien und der Geologischen Bundesanstalt bereit.
Sparsamer Holzhybridbau
Bauherr und Eigentümer der Liegenschaft auf den Siemensgründen im Wiener Bezirk Floridsdorf ist die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Die Kosten inklusive Einrichtung und Übersiedelung werden mit 37,8 Millionen Euro beziffert. Bis Ende 2024 soll das neue Depot fertig werden. Und der Pittino & Ortner Entwurf verspricht einen nachhaltigem Holzhybridbau, der langfristig Energie und Kosten spart.
Die Architekten haben dafür einen kantigen Komplex entworfen, der auf Funktion und Energie-Effizienz fokussiert. Schlicht, weitgehend fensterlos und mit einer Fassade aus Lochblech, die an ein solides Bücherregal erinnert. Allee-artige Bepflanzung rund um den Neubau und Fassadenbegrünung an der Nordseite sollen das Nutzgebäude harmonisch in sein Umfeld einfügen.
Markanter „Eingangstrichter“
Wesentliches Designelement ist der, über die gesamte Südseite zweigeschossig vertiefte „Eingangstrichter“. Dieser ist als einladende Geste gedacht und dient der Orientierung, während ansprechende Gestaltung des Vorplatzes künftig zum Verweilen locken soll.
Lastenträger Stahlbeton
Pittino & Ortner haben das Buchdepot als klimafreundlichen, energiesparenden Holzhybridbau konzipiert. Es bekommt ein Skelett aus Stahlbeton, um für hohe Traglast und Brandschutz zu sorgen. Wo immer möglich, wird Holz verwendet. Zum Beispiel für nicht tragende Wände. Ein Gutteil der Bauteile kann vorgefertigt werden.
Kompakt und ausbaufähig
Das Konzept des fünfstöckigen, kompakten Gebäudes soll den Bedarf an Primärenergie und den CO2-Fußabdruck gering halten. Auf dem Dach ist eine Photovoltaik-Anlage vorgesehen, die mehr als 300 kWp liefern soll. Spätere Erweiterung des Buchdepots kann, wie es heißt, auch bei laufendem Betrieb vorgenommen werden.
Während mit der Eröffnung des Buchdepots erst Ende 2024 zu rechnen ist, konnten auf der Terrasse des neuen „Waldcafé Thalersee“ schon im vergangenen August erstmals Gäste Platz nehmen. Ein „Soft-Opening“, mit dem der ganzjährige Vollbetrieb des neuen Hotspots eingeleitet wurde. Neben jeweils rund 100 Sitzplätzen im In- und Outdoorbereich werden dort künftig im Obergeschoss ein Seminarraum und sechs Zimmer für Übernachtungen zur Verfügung stehen.
Wo der „Terminator“ einen Antrag machte
Das gemeinsam von Stadt Graz, Holding Graz und Gemeinde Thal initiierte Projekt befindet sich auf dem Gelände des bereits vor rund 100 Jahren eröffneten Strandbads Thalersee. Damit liegt der von Pittino & Ortner designte, langgestreckte Neubau an einem der gefragtesten Ausflugsziele der Region. Wie gern erzählt wird, soll dort gar Steiermarks berühmtester Sohn, Hollywood-Star und Kaliforniens Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger, seine (inzwischen Ex-)Frau Maria Shriver um ihre Hand gebeten haben.
Am 2020 vom „Referat Hochbau“ ausgeschriebenen Wettbewerb hatten sich 53 Büros beteiligt – mit mitunter überaus innovativen und spektakulären Entwürfen (wie etwa jenem der Wiener Smartvoll Architekten). Pittino & Ortners Vorschlag ging als Sieger hervor. Gewünscht war ein Gebäude, das Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt.
Umweltfreundliches Ausflugsziel
So werden nun beispielsweise Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen verwendet, während der See als Rückhaltebecken zum Hochwasserschutz dient. Und Photovoltaik-Anlagen sollen den Eigenstrombedarf der neuen Anlage decken.
Für den Bau nach Pittino & Ortner Plänen wurden hauptsächlich umweltfreundliche Materialien eingesetzt. Auch Teile des abgerissenen, einst sehr beliebten „Ausflugsgasthaus Kling“ finden sich im Neubau wieder. Und der im Sinne des Hochwasserschutzes verwendete Beton weist, offiziellen Angaben zufolge, geringen CO2-Ausstoß auf.
Hotspot für alle Jahreszeiten
Um umweltfreundliche Anreise zu fördern, wurden die Frequenz der Buslinie 48 vom Grazer Bezirk Gösting aus erhöht, Radwege ausgebaut und Ladestationen für E-Bikes und E-Autos errichtet. Außerdem sollen Rad-, Boots- und Schlittschuh-Verleih, sowie Toiletten für Seebesucher das ganze Jahr über Gäste zum „Waldcafé Thalersee“ locken.
Übrigens: In gewisser Weise passen die Begriffe „Kaffeehaus“ und „Wien“ durchaus auch zu diesem Pittino & Ortner Projekt in der Steiermark. Denn bei den Pächtern des neuen „Waldcafé Thalersee“ handelt es sich um die Wiener Gastronomen Manuel Köpf und Andreas Knünz. Also um die Betreiber der gefragten „WIRR“-Lokale in den Bezirken Neubau und Ottakring der Bundeshauptstadt. Ihr kulinarisches Konzept soll neben frischen Bio-Genüssen, kreativen Drinks und Hausmannskost auch vegetarische und vegane Vielfalt ans idyllische Ufer des Sees bringen.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Pittino & Ortner