Chipperfields „Ökone“ für München
Die Bayerische Versorgungskammer bekommt eine neue Zentrale vom frisch gekürten Pritzker-Preisträger David Chipperfield. Das 3-teilige Ensemble in Holz-Hybrid-Bauweise ist ein klares Bekenntnis für nachhaltiges Bauen und eine Absage an die rein ikonische Hochhaus-Architektur.
Als 2019 das Büro von David Chipperfield als Sieger des Wettbewerbs um das neue Hauptquartier der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) hervorging, gab es auch kritische Stimmen. Zu unscheinbar, ja fast langweilig sei das dreiteilige Ensemble, das im Münchner Stadtteil Bogenhausen entstehen soll. Als Referenzpunkt diente dabei das in direkter Nachbarschaft stehende Hypo-Hochhaus – eine Ikone, die seit einigen Jahren unter Denkmalschutz steht. Mit einer Höhe von 114 Metern und seinem futuristischen Erscheinungsbild zählt der Tower von Walther und Bea Betz seit seiner Fertigstellung im Jahr 1981 zu den Wahrzeichen von München. Die ausgefallene Form mit den außenliegenden Stützsäulen und den abgehängten Geschossen war ein statischer Kraftakt und stammt aus einer Zeit, als die Endlichkeit von Ressourcen und das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen noch Nebensache waren.
Der Neubau für die BVK nimmt sich in seiner Erscheinung deutlich ruhiger aus. Kein Wunder, schließlich gilt Chipperfield als Meister der Zurückhaltung. Das Projekt, das von STRABAG Real Estate entwickelt wird, besteht aus drei unterschiedlichen Baukörpern. Zwei Türme – einer 100, der andere 60 Meter hoch – und dazwischen ein verbindender Riegelbau. Insgesamt eine große Baumasse, die durch ihre transparente Erscheinung durchlässig und leicht wirkt.
Common Ground als Bindeglied
Die abgestuften Kubaturen sollen die urbane Textur ergänzen und zugleich einen öffentlichen Raum schaffen, der als städtebauliches Bindeglied dient. „Während der höhere Turm die bestehenden Hochhäuser entlang der Straße komplementiert, schafft die offene Gestaltung des Erdgeschosses einen fließenden Übergang zum Denninger Anger, einem im Osten des Grundstücks anschließenden Park“, heißt es in der Projektbeschreibung von David Chipperfield Architects.
Während der höhere Turm die bestehenden Hochhäuser entlang der Straße komplementiert, schafft die offene Gestaltung des Erdgeschosses einen fließenden Übergang zum Denninger Anger.
David Chipperfield Architects, Architekturbüro
Mit dem neuen Durchgang vom U-Bahnhof Richard-Strauss-Straße auf der einen und dem Park auf der andern Seite, vermitteln die begrünten Außenanlagen der Landschaftsarchitekten Atelier Loidl zwischen der neuen Zentrale und der Stadt. Es entsteht ein „Common Ground“, wie Chipperfield den verbindenden öffentlichen Raum nennt, der in seiner Architektur einen besonderen Stellenwert einnimmt. So lautete auch der Titel der 13. Architekturbiennale in Venedig, die unter seiner Leitung stattfand.
Absage an extrovertierte Entwürfe
Zu den Besonderheiten des Entwurfs zählt auch die Konstruktion, die als Holz-Hybrid umgesetzt wird. Neben aussteifenden Elementen in Beton kommen vorgefertigte Stützen und Träger in Brettschichtholz zum Einsatz. Dies verbessert nicht nur die Klimabilanz des Gebäudes, die natürlichen Holzoberflächen sorgen auch für ein gesundheitsförderndes Raumklima.
Mit dem eher zurückhaltenden Konzept konnte sich das Büro Chipperfield gegen wesentlich spektakulärere Hochhausbeiträge durchsetzen. Der Vorschlag von Hadi Teherani Architects etwa war ein kristallähnlicher Monolith mit sternförmigem Grundriss, ein anderer Beitrag setzte auf verspiegelte Prisma-Solitäre. Die extrovertierten Entwürfe maßen sich zwar mit dem ikonischen Hypo-Hochhaus, entsprachen allerdings nicht ganz der Corporate Identity der Bauherrschaft, wie die Jury in ihrem Urteil erklärte.
Eine Zentrale vom Pritzker-Preisträger
Als öffentlich-rechtlicher Pensionsversicherungsträger verortet sich die BVK eher im Understatement und setzt bei ihren Kapitalanlagen vermehrt auf Nachhaltigkeit. Aspekte, die letztlich für den Beitrag des geadelten britischen Architekten sprachen. Eine Entscheidung, über die man sich jetzt vermutlich noch mehr freut, als Sir David Alan Chipperfield Anfang März der Pritzker-Preis verliehen wurde.
Mit gewohnter Bescheidenheit kommentierte der 69-Jährige die höchste Auszeichnung, die man als Architekt erreichen kann: „Ich nehme diese Auszeichnung als Ermutigung, meine Aufmerksamkeit weiterhin nicht nur auf die Substanz der Architektur und ihre Bedeutung zu richten, sondern auch auf den Beitrag, den wir als Architekten zur Bewältigung der existenziellen Herausforderungen des Klimawandels und der gesellschaftlichen Ungleichheit leisten können.“
Der Hypo-Tower an der Richard-Strauss-Straße bekommt mit der neuen BVK-Zentrale vielleicht keine Ikone mit Wow-Effekt als Nachbarn, sondern vielmehr eine „Ökone“ im Sinne der „Econic Architecture“. Diese setzt weniger auf die plakative Außenwirkung und mehr auf die ökologische und soziale Verträglichkeit von Bauprojekten.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: David Chipperfield Architects