Wohntraum im Kriegsrelikt
Düstere Vergangenheit, wohlige Zukunft: Das Projekt Buitenplaats Koningsweg macht einen deutschen Militärstützpunkt aus dem Zweiten Weltkrieg zur grünen Wohn- und Kultur-Anlage. Zu einem außergewöhnlichen Paradies in grandioser, niederländischer Naturlandschaft.
Wer ohne Vorwissen durch die neue, weitläufige Wohnanlage Buitenplaats Koningsweg spaziert, kommt kaum sofort auf die Idee, dass dieser Ort im Zweiten Weltkrieg Militärstützpunkt der deutschen Besatzer war. Mit Bunkern, die aus der Luft wie Bauernhäuser aussahen, um ihren wahren Zweck zu verschleiern. Und mit Quartieren für „Blitzmädels“ und andere Wehrmachthelfer, die hier, im Umfeld des „Fliegerhost Deelen“, untergebracht waren.
Faszinierende Verwandlung
Obwohl historisch interessierte Besucher hier nach wie vor Spuren der früheren, düsteren Tage finden: Das 14,5 Hektar große, in den Veluwe-Wald eingebettete Gelände am Stadtrand von Arnheim hat eine wundersame Wandlung erlebt. Denn das niederländische Top-Büro MVRDV, Landschaftsgestalter Buro Harro und Bauträger KondorWessels Projecten haben es zu einem grünen Wohntraum gemacht. Zu einer außergewöhnlichen Anlage, die Altes nützt, Nachhaltigkeit forciert, und viel Platz für Natur, Kultur und Kreatives bietet.
Die Geschichte von Buitenplaats Koningsweg begann mit zwei Militäreinrichtungen. Beide wurden nahe beim größten, von den Besatzern in den Niederlanden eingerichteten Flugplatz errichtet: Die „De Zeven Provinciën“ Gebäude (1941 / 1942), die Arbeits- und Angestelltenwohnungen beherbergten. Und der düstere Bunkerkomplex „Kamp Koningsweg Noord“ (1943 und 1944).
Um den Stützpunkt vor den Augen von Kriegsgegnern zu verbergen, wurden Häuser und Bunker im dichten Grün des Waldes verborgen oder als landestypische Höfe getarnt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zwar noch viele Veränderungen vorgenommen. Dann wurden jedoch alle verbliebenen Gebäude in die Liste nationaler Denkmäler aufgenommen.
Der Masterplan, den MVRDV und Buro Harro erstellten, würdigt die finstere Vergangenheit, ebnete zugleich jedoch den Weg in eine helle Zukunft: Bestehende Gebäude – wie etwa durch Ziegelfassaden getarnte Betonbunker – aber auch nach dem Krieg hinzugefügte Bauten wurden erhalten. Änderungen wie neue Türöffnungen und Dachgauben blieben dabei durch ihre dunkelgrauen Oberflächen deutlich erkennbar.
Camouflage als Stilmittel
Die von den Besatzern gezielt auf Verschleierung des Kriegszwecks ausgerichtete Architektur der ursprünglichen Anlage fand Eingang in die Neugestaltung. Das Ziel: Moderne Eingriffe, die Aufmerksamkeit auf die Geschichte lenken und „die Integrität dieser Tarnung bewahren“.
„Unsere Antwort war, die Veränderungen überdeutlich zu machen. Die klare Abgrenzung zwischen alten, neuen und rekonstruierten Elementen sowie unerwartete Details wie meterdicke Bunkerwände helfen, die Geschichte des Ortes intuitiv zu interpretieren“, schildert MVRDV-Gründungspartnerin Nathalie de Vries. Und Harro de Jong von Buro Harro erklärt: „Die Umgestaltung begann damit, die Veluwe-Waldlandschaft wie eine Decke über das Gelände zu ziehen. Ähnlich wie die Kaserne und der Flugplatz getarnt wurden, um sich nahtlos in die Umgebung einzufügen.“
Viel Platz für Wohnen & Kultur
Das Großprojekt Buitenplaats Koningsweg umfasst 40 historische Gebäude, drei nahezu identische Wohnblöcke mit jeweils sieben Reihenhäusern, sowie sieben zu Wohnzwecken umgebaute Bestandsgebäude. Unterschiedliche Grundrisse schaffen Wohnraum für verschiedenste Bedürfnisse. Einige der alten Bauten wurden renoviert und in Büros und Ateliers für Kreative verwandelt. Ein gemeinschaftlicher Bereich beherbergt unter anderem ein Restaurant, eine Bar und Aufenthaltsräume. Und das ist längst nicht alles, was sich jetzt dezent in die wiederbelebte Naturlandschaft des Areals einfügt.
Als besonderes Highlight wartet Buitenplaats Koningsweg mit elf so genannten „Follies“ auf: Für Ferienvermietungen gedachte Einheiten mit skurrilen Designs, die auf Tarnung und Verkleidung anspielen. Von verschiedenen, im Rahmen eines eigenen Wettbewerbs ausgewählten Studios entworfen, entstand hier Extravagantes. So etwa ein eigenwilliges Baumhaus oder ein faszinierendes kleines Holzkonstrukt.
Freiraum für Mensch & Natur
Die Begrünung wurde bewusst minimal gehalten: Schmale Wege sorgen dafür, dass die Natur zwischen den Gebäuden ungehindert gedeihen kann. Zäune, die das Gelände einst umschlossen, wurden entfernt, um der Tierwelt freien Zugang zu bieten. So wurde das zuvor stark bepflasterte, trostlose Areal zu einem ruhigen, grünen Ort der seinen Bewohnern beste Lebensqualität verspricht.
Die drei von MVRDV entworfenen, in der letzten Phase der Umgestaltung errichteten Wohntrakte richten sich in Lage, Form und Größe nach den Gebäuden, die einst ihren Platz einnahmen. Dass es sich um Rekonstruktionen handelt, verraten ihre grauen Schieferdächer und Wände. Auf eine leichte Anhebung gesetzt, haben die Neubauten zwar keine Gärten. Sie verfügen aber über kleine Terrassen, die nur minimal vom Wald und den gemeinschaftlichen Außenbereichen abgegrenzt sind.
Neues mit Nachhaltigkeit im Blick
Bei den entsprechenden Entwürfen wurde besonders auf Nachhaltigkeit geachtet: Die Wände und Dächer der Gebäude bestehen aus Holzrahmen. Wo Beton zum Einsatz kam, wurde Kies bei der Mischung teilweise durch recycelten Zuschlagstoff ersetzt. Und die schwimmenden Decks wurden aus recyceltem Kunststoff hergestellt.
Dank Sonnenkollektoren und hohen Isolierwerten sind die 15 Einheiten im mittleren Teil jedes Blocks im Betrieb komplett und die sechs weiteren in Randlage nahezu energieneutral.
Einladung zum Auto-Verzicht
Parkplätze für die Bewohner befinden sich unter jedem Gebäude. So konzipiert, dass sie das Aufladen von Elektroautos ermöglichen. Selbstverständlich finden sich dort auch viele Fahrrad-Stellplätze. Schließlich bemühen sich die Planer des Büros MVRDV – wie etwa auch beim autofreien Wohnquartier „Traumhaus Funari“ in Mannheim – darum, die Nutzer ihrer Projekte zu nachhaltiger Verkehrsmittelwahl zu ermutigen. Ein Vorhaben, das in der weitläufigen, von Naturlandschaft umgebenen Anlage am Stadtrand vermutlich gute Chancen auf Erfolg hat.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Daria Scagliola, Jannes Linders / MVRDV