Das parametrische Office
Der Entwurf für das Pariser Bürogebäude Saint Denis zeigt, was im Holzbau durch parametrisches Design möglich ist. Architekt Arthur Mamou-Mani ist ein Shooting-Star in dieser neuen Disziplin. Wir haben ihn in einem Online-Meeting getroffen.
Es ist über das Zoom-Fenster nicht zu übersehen. Das algorithmusgestützte Design ist Arthur Mamou-Manis Welt. Er sitzt vor seinem Schreibtisch, hinter und neben ihm türmen sich die helixartigen Modelle, die er zur Veranschaulichung abwechselnd vor den Bildschirm holt. Ein Herzensprojekt, für das er unzählige Skizzen und Grafiken, aber kein Modell parat hat, ist der Entwurf für das Bürohaus im Pariser Vorort Saint Denis.
Ganz in der Nähe, in einer der Hochhaussiedlungen der Banlieue, ist sein Vater großgeworden. Triste Architektur sei das, in der Menschen nicht wirklich gedeihen können. „Mit meinem Entwurf wollte ich dem symbolisch etwas entgegensetzen, das menschlich und organisch ist.“ Eine Art urbane Waldlichtung, eine Oase inmitten der Stadt.
Organische Form aus dem Computer
Der gebürtige Pariser betreibt in London das mit vielen Preisen ausgezeichnete Büro Mamou-Mani, das auf parametrische Architektur und digitale Fertigung spezialisiert ist. Was man genau unter parametrischem Design versteht, zeigt folgender Vergleich: Beim herkömmlichen Entwurf zieht der Architekt eine Linie von A nach B. Beim parametrischen Design dagegen werden bestimmte Parameter und Regeln (Algorithmen) festgesetzt und aufgrund derer wird die Linie vom Computer generiert.
Es ist ein bisschen wie das Komponieren eines Musikstückes.
Arthur Mamou-Mani, Architekt
So entstehen oftmals sehr organische Formen, wie sie auch in der Natur vorkommen. Stellvertretend für so eine „parametrische Bewegung“, wie er es nennt, hält Mamou-Mani ein Modell des Galaxia Temple vor die Kamera und schmunzelt: „Es ist einfach und kompliziert zugleich.“ Die Basis des Konstrukts bildeten einfache Holzlatten aus dem Baumarkt. „Wir verwendeten den Computer, um die Kräfte zu berechnen, die in der Struktur wirken.“ Daraus ergab sich die Länge und Stärke der Latten, die Größe der einzelnen Dreiecke und die Art der Verbindungsteile.
Voxel: ein Pixel mit Volumen
Ein französischer Developer, der den Tempel des Burning Man Festivals in der Wüste von Nevada sah, war begeistert. Mamou-Mani und sein Team sollten an einem Wettbewerb für ein Bürohaus in Saint Denis teilnehmen, und die parametrische Raumschaffung in einem anderen Kontext anwenden. Gemeinsam mit Bauingenieuren, Umwelttechnikern und Holzbauexperten entwarfen sie ein Gebäudekonzept, das auf der angenommenen Einheit Voxel basiert. „Es ist ein Pixel mit Volumen, daher der Name“, erklärt er.
Diese Grundeinheit ergab sich aus den Fixgrößen Grundfläche, zulässige Bauhöhe und dem Ausbauraster von 1,35 Metern. In einem Video zeigt der Digital Craft-Experte die unzähligen Spielarten im Volumen, die sich durch diese Matrix ergeben. „Ein Vorschlag von uns zeigte eine öffentliche Plaza, die sich mitten durch das Gebäude windet. Es ist ein bisschen wie das Komponieren eines Musikstückes.“
Leichtkonstruktion aus Massivholz
Ähnlich wie beim Building Information Modeling (BIM) wurden alle relevanten Daten in ein System gespeist. Anhand des entstandenen digitalen Modells ließ sich der kleinstmögliche Materialeinsatz bei der größtmöglichen Stabilität errechnen. So ergab sich eine Leichtkonstruktion aus Massivholz, die ganz ohne betonierten Aussteifungskern auskommt. Dieser optimierte Materialeinsatz spart Kosten und zugleich wertvolle Ressourcen. „Die Architektur der Zukunft nutzt die Intelligenz des Computers“, postuliert Mamou-Mani.
Die gesunde Arbeitsumgebung, die das Holz schafft, und seine CO₂-Neutralität lassen für ihn keinen Zweifel: „Holz ist zu Hundert Prozent das Baumaterial unserer Zeit.“
An der modularen Fassade lassen sich die einzelnen Voxel gut erkennen. Die äußere Holzstruktur dient zum Teil als Sonnenschutz und ist der Glasfassade vorgelagert. Manche dieser Holzelemente sind isoliert und bilden an bestimmten Stellen der Hülle die Außenfassade. „Diese isolierten Origami-Wände schaffen eine Reihe an Meeting-Räumen, die weniger einsichtig sind, und spielen mit dem Rhythmus des Gebäudes“, heißt es im Entwurf.
Organismus im stetigen Funktionswandel
Mit diesem Prinzip des „wachsenden Volumens“, das aus fest definierten Einheiten besteht, sieht sich der Architekt in der Tradition der japanischen Metabolisten. Am geteilten Bildschirm googelt er sich durch die Bauwerke dieser Bewegung und klickt auf Kisho Kurokawas Capsule Tower. Ein Gebäude als lebendiger Organismus, das im stetigen Funktionswandel einzelne Zellen abstoßen und neue hinzufügen kann. „Die Coronakrise hat gezeigt, dass wir neue Raumkonzepte brauchen, die flexibel und wandelbar sind“, erklärt der Architekt.
Diese isolierten Origami-Wände schaffen eine Reihe an Meeting-Räumen, die weniger einsichtig sind, und spielen mit dem Rhythmus des Gebäudes.
Arthur Mamou-Mani, Architekt
Eine Flexibilität, die er mit dem parametrischen Konzept von Saint Denis maximieren möchte. Mit dem durchgängigen Einsatz von Raumteilern aus Holz und Glas entstehen flexible Work Spaces, die jederzeit neu konfiguriert werden können.
Entwurf ohne Umsetzung
Gemäß dem Schicksal vieler, sehr aufwändig erarbeiteter Wettbewerbsbeiträge, bleibt der Entwurf Saint Denis vorerst in der Schublade.
„Der Entwickler hat kalte Füße bekommen“, bedauert Mamou-Mani. Der innovative Holzbau sei noch mit einigen Unsicherheiten verbunden, da blieben viele lieber beim altbekannten Stahlbeton. „Alle Arbeit umsonst?“ Nein, da ist sich der Architekt sicher. „Die Struktur für den Galaxia Temple hätte ursprünglich ein Hotel werden sollen. Auch für Saint Denis wird sich noch eine Bestimmung finden.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos und Visuals: Mamou-Mani Ltd.