Ein Eigenheim als Brückenschlag
Ein Wohnhaus, das sich in fünf Metern Höhe über den Waldboden spannt? Was weniger nach Eigenheim als nach Hängebrücke klingt, wurde einer ebensolchen nachempfunden. Das Bridge House des Architekturbüros LLAMA macht seinem Namen also alle Ehre.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Gebäude mit minimalem Einfluss auf ihre natürliche Umgebung zu errichten. Sei es, das Fundament auf einzelne Steher zu setzen, sei es, diverse Auskragungen in den Entwurf zu integrieren. Die Idee, die LLAMA Urban Design für ein Wohnhaus im kanadischen Muskoka hatten, hat dann allerdings doch eher Seltenheitswert. Die Vision von Mariana Leguia und ihrem Mann Angus Laurie, den Gründern des Architekturstudios: Ein Holzhaus in Form einer Brücke. Ein Haus, das so wenig Bodenkontakt wie möglich aufweist. Ein Haus, das sich deutlich von allem abgrenzt, was in der Umgebung architektonisch zu finden ist.
Nachdem das Ehepaar aus seiner Wahlheimat Peru nach Kanada zurückgekehrt war, wollte es dem Großstadttrubel von Toronto entfliehen und entschied sich, nach Muskoka ans Ufer des Lake Mary, fünfzehn Auto-Minuten von Huntsville entfernt, zu ziehen. Eigener Entwurf und Bau des Eigenheims inklusive. Es entstand das Bridge House mit 230 Quadratmetern Grundfläche. Konkret mit 38 Metern Gesamtlänge und sechs Metern Breite.
Erdverankert
Auf beiden Seiten auf massiven Betonfundamenten ruhend, erstreckt sich das Haus zwischen großen Ahornbäumen fünf Meter über einem Hohlweg. Die Hauptstruktur wird von zwei großen Balken auf beiden Seiten des Hauses getragen, die in den Fundamenten verankert sind. Auf ihnen liegt der im Aufriss trapezförmige hölzerne „Brückenboden“.
Zusätzlich aufgehängt ist das Bridge House auf zwei, von Stahlträgern gehaltenen, umgedrehten V-Trägern aus Douglasien-Brettschichtholz, von denen einer zudem als Außentreppe zur 185 Quadratmeter großen Dachterrasse fungiert. Die Aufhängung ermöglicht es der Konstruktion, auf 18 Metern Länge als erdverankerte („echte“) Hängebrücke über dem Waldboden zu schweben.
Zentral-Ofen
Wände und Dach des Hauses wurden aus Zeder errichtet, einer in der Umgebung heimischen Baumart, die aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften und ihrer Fäulnisbeständigkeit ausgewählt wurde. Innen fiel die Wahl auf Sperrholzplatten aus Ahorn.
Die 12 Meter langen Glasfronten auf beiden Seiten des Hauses machen aus dem Koch-/Ess-/Wohnbereich eine „Projektionsfläche für die subtilen Bewegungen der Natur“, wie es seitens der Architekten heißt. Das Spiel von Licht und Schatten, das durch die sich im Wind bewegenden Bäume entsteht, schafft eine sich ständig ändernde Stimmung im Inneren des großen Raums, der bewusst sparsam mit Mobiliar ausgestattet wurde. Herzstück ist hier der freistehende Holzofen – ein in kanadischen Wintern durchaus brauchbares Utensil. Insbesondere bei einem nicht unterkellerten Fußboden …
Spiegelzimmer
Die Glaswände des Wohnbereichs können vollständig geöffnet werden. Die dem See zugewandte Westseite öffnet sich so zu einem Balkon, auf der anderen befindet sich die Treppe zum Dach. Die „Enden“ des Hauses sind auf beiden Seiten exakt gleich – wiewohl spiegelverkehrt – gestaltet. Hier befinden sich jeweils ein Eingang, zwei Schlaf- und ein Badezimmer sowie ein Abgang zum Kellerraum im Betonfundament.
Entlang der waldseitigen Hauswand verlaufen zwei Flure von den Eingängen zum Wohnzimmer, die die anderen Räume miteinander verbindeen. Holzregale und -schränke bieten Stauraum für den minimalistisch gehaltenen Innenbereich des Bridge House.
Privatparadies
Von den, auf den „Brückenauslegern“ ebenerdig gelegenen, Schlafzimmern hat man direkten Zugang zum Wald. Ausgedehnten Spaziergängen steht hier nichts im Wege: Die Grundstücksgröße beträgt gut 20.000 Quadratmeter – privater Seezugang inklusive.
Ihr luxuriöses Privatparadies haben Mariana Leguia und Angus Laurie allerdings mittlerweile wieder – freiwillig – aufgegeben. Nach kurzer Wohndauer boten sie ihr Brückenhaus zum Verkauf an. Kostenpunkt: knapp 3,9 Millionen kanadische Dollar, umgerechnet rund 2,6 Millionen Euro.
Text: Michi Reichelt
Bilder: A-Frame/Ben Rahn